Es hätte so schön werden können. Gleich drei neue Bücher sind in diesem Frühjahr erschienen, die im weitesten Sinne das gleiche Thema haben – Wir Alpha-Mädchen von Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl, Neue deutsche Mädchen von Jana Hensel und Elisabeth Raether und Charlotte Roches Feuchtgebiete. Es sah so aus, als sei die „Dritte Welle“, wie die aktuelle Frauenbewegung in den USA genannt wird, auch in Deutschland angekommen. Endlich äußerten junge Frauen sich zu einem Thema, das lange Zeit als uncool/unsexy/unwichtig geächtet war: Feminismus. Endlich würden sie die öffentliche Diskussion über diese Fragen wieder von den Eva Hermanns und Frank Schirrmachers der Republik zurückerobern. Tolle Sache.

Stattdessen beobachten wir – zusammen mit dem Rest der Bundesrepublik – jetzt mit zunehmendem Ärger und Enttäuschung den öffentlichen Generationenkampf, der derzeit in den Medien inszeniert wird: JUNGE gegen ALTE FEMINISTINNEN bzw. DER NEUE gegen DEN ALTEN FEMINISMUS.

Dabei verhält es sich angeblich so: Die neuen Feministinnen sind hedonistische, geschichtsvergessene Girlies, die Emanzipation mit dem Tragen von Lipgloss und Stilettos gleichsetzen, sich nur für ihre eigenen Karrieren und Beziehungen interessieren und Pornografie und Prostitution „total geil“ finden. Die alten Feministinnen verstehen keinen Spaß, sind total unlocker, was Pornos und gekauften Sex angeht, kämpfen gegen die Verschleierung der muslimischen Frau und wissen nichts von den Problemen der jungen Generation.

Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass ein Großteil der Berichterstattung die vielen verschiedenen feministischen Positionen auf dieses Schema reduziert, befeuern auch einige der Protagonistinnen selbst diese Klischees. So werfen Jana Hensel und Elisabeth Raether in ihrem Buch Neue Deutsche Mädchen Alice Schwarzer vor, dass ihre Rhetorik „oll“ sei und sie sich und ihre Interessen von ihr nicht mehr repräsentiert fühlten. Als sei es je Schwarzers Anspruch oder Pflicht gewesen, für alle Frauen zu sprechen. Schwarzer, kaum souveräner, holte jetzt bei ihrer Rede zur Verleihung des Ludwig-Börne-Preises zum Gegenschlag aus und bezeichnete die jungen Autorinnen in einem Aufwasch als unpolitische „Post-Girlies“ und „Propagandistinnen eines Wellness-Feminismus“. Kaltherzig und egoistisch interessierten sie sich nur noch für ihre eigenen Belange, „Karriere und Männer“.

Muss das wirklich sein? Im Grunde ist es doch so: DEN FEMINISMUS als homogene Bewegung hat es nie gegeben, nicht Anfang des Jahrhundert während der „Ersten Welle“, nicht in den Siebzigern und nicht heute. Immer schon haben Feministinnen im Laufe der Geschichte viele verschiedene Positionen zu allen möglichen Themen vertreten. Es gibt die, die von einem grundlegenden Unterschied zwischen Männern und Frauen ausgehen und jene, die schon die Konstruktion eines solchen Unterschiedes sexistisch finden. Es gibt Feministinnen, die Pornografie als frauenfeindlich einstufen und andere, die es politisch finden, selbst in Pornos mitzuspielen. Feministinnen aus der weißen Mittelklasse kämpfen gegen ganz andere Probleme als Migrantinnen, lesbische und transsexuelle Feministinnen gegen andere als heterosexuelle.

Diese Meinungsverschiedenheiten und das gegenseitige Abarbeiten aneinander machen das Arbeiten manchmal verdammt anstrengend. Aber sie sind notwendiger Teil des Feminismus und wir wollen sie nicht missen. Als Feministinnen aus der weißen Mittelklasse der USA ihre Probleme zu den zentralen Anliegen der Frauen erklärten, mussten erst schwarze Feministinnen sie darauf hinweisen, dass die Kluft zwischen Männern und Frauen nicht die einzige Achse von Ungleichheit sei und dass sie sich vom weißen Mittelklasse-Feminismus nicht vertreten sahen. Wir machen notgedrungen Fehler und brauchen andere, die uns diese Fehler unter die Nase halten.

Diese Differenzen innerhalb des Feminismus sind aber keine zwischen jung und alt, sondern zwischen verschiedenen ideologischen Lagern – auch wenn einige Positionen unter Vertreterinnen einer Generation weiter verbreitet sein mögen als andere­. Wenn wir uns nun einreden lassen, es handele sich um ein Generationenproblem, hält uns das nur von wichtigeren Aufgaben ab.

Die Wahrheit ist: Wir wissen zu wenig voneinander. Die Zwanzig- bis Dreißigjährigen sind schlecht informiert über die Geschichte der Frauenbewegung und tappen deshalb allzu oft in die gleichen Fallen wie ihre Vorgängerinnen in den Siebzigern. Die ältere Generation sieht wiederum nicht, dass junge Frauen heute auch politisch aktiv sind – auch wenn dieser Aktivismus andere Formen annimmt als damals. Einige von uns arbeiten nach wie vor an den Themen, die schon für die „zweite Welle“ aktuell waren und es immer noch sind, wie etwa das Recht auf Abtreibung. Für andere ist es wiederum politische Arbeit, in einer Band zu spielen, eine Zeitschrift wie Missy herauszubringen, ein Frauenkulturfestival zu organisieren oder ein Buch über eine 18-Jährige zu schreiben, die sich passioniert mit ihren Körperflüssigkeiten beschäftigt. Wenn Alice Schwarzer jetzt sagt, in Deutschland sei von der „dritten Welle“ „auf einer politisch organisierten Ebene leider nicht wirklich etwas zu spüren“, dann ignoriert sie damit all die jungen Frauen, die seit Jahren politisch aktiv sind. Wer hat das Recht zu sagen, was richtiger und was falscher Feminismus ist?

In den USA hat die „dritte Welle“ schon Anfang der Neunziger Jahre begonnen, deshalb ist die Debatte dort schon weiter. Vertreterinnen beider Generationen haben sich bereits den gleichen Streit geliefert, die gleichen Vorwürfe gemacht und mittlerweile wieder vertragen. Aus den Fehlern, die dort gemacht wurden, hätten deutsche Feministinnen eigentlich lernen können. Schade, dass sie gerade dabei sind, sie alle noch einmal zu wiederholen.

Von Chris Köver

PS: Was bisher geschah…