Text: Stephanie Drees

Freitag Abend, Berlin. Kino in den Hackeschen Höfen. Wie alles begann
Die Frau mit dem glitzernden Hosenanzug und der tiefen Stimme gibt recht energisch die Richtung vor: „Da rein, eine Platzanweiserin sagt dir, wo du sitzt. Die erkennst du schon.“ In der Tat. Ein lila Insignium mit der Aufschrift „Pornogräfin“ ziert ihr schwarzes T-Shirt. Es ist die Verleihung des ersten europäischen und – wohlgemerkt – feministischen Pornoawards. Und damit ein Novum im sexpositiven Flügel der Frauenbewegung. Dabei sind die Forderungen der Gegnerinnen und Befürworterinnen in vielen Teilen ähnlich: Die Produktionsbedingungen sollen mit allen Beteiligten abgestimmt werden, humane Arbeitszeiten und gerechte Entlohnung spielen eine wichtige Rolle. Und natürlich der gewaltfreie Umgang mit Frauen. Fünf Filmemacherinnen sind nominiert, fünf bekommen ihn auch. Die Queer-Porn-Avantgardistin Shine Louise Houston, Die Frauen-Porn-Veteranin Candida Royalle, Porn-Noir-Regisseurin Maria Beatty, „Female Fantasies“-Autorin Petra Joy. Und: die Sex-Aufklärerin Annie Sprinkle, die schon in den Siebziger Jahren mit der Öffentlichmachung ihres Scheidenkanals Aufmerksamkeit auf sich zog. „Alle sind Gewinnerinnen. Feministisches Prinzip“, sagt Hauptorganisatorin Laura Mérrit. Innerhalb dieses Prinzips haben einige mehr Glück als andere: Die dokumentierende Zunft darf in erster und zweiter Reihe des Kinos sitzen. Der ältere, männliche Sitznachbar blickt gebannt auf seinen leeren Block.

Preisträgerin der ersten Stunde: Candida Royalle ©PorYes Award

Ca. 21 Uhr. Bewegte Bilder auf einer Leinwand
Eine junge Frau lehnt sich über eine Brüstung, vor ihr die Skyline einer Stadt, hinter ihr ein Mann mit Engelsflügeln. Und der lüstern affizierte Blick einer Kamera. Die nimmt in Sepia-Tönen ein Balancespiel der Dominanz auf: Nach recht kurzer Zeit sitzt der fleischgewordene Himmelsbeglücker auf dem Boden und eine Cunnilingus-Szene folgt. Inklusive Nahaufnahme auf das ekstatische Gesicht der Protagonistin. Danach das atmosphärische Gegenprogramm: eine Domina im roten Lackkorsett sieht auf einer Toilette zwei Schwulen beim Sex zu. Und lässt sich ihren schwarzen Strap-On von einem der beiden lutschen. Gender-Aktivistinnen wie die gute alte Judith Butler hätten ihre Freude an solchen Szenen. Die visuellen Appetizer stammen aus Filmen der deutschen Regisseurin Petra Joy. „Female Fantasies“ oder „Sexual Suhsi“ gelten als Vorzeige-Befriediger eines bis vor wenigen Jahren streitbaren Bedarfs: Wollen Frauen Pornos sehen? Und wenn ja: Was für Porno? Die ultimative, lüsterne Gretchenfrage.

Ca. 22 Uhr. Auf zur World Domination
Sexpositive Feministinnen geben an diesem Abend zunächst auf die erste Frage eine mehr als entschiedene Antwort. Laura Mérrit sieht zufrieden aus. Resolut tritt sie auf die Bühne, wirft den graumelierten Haare in den Nacken und lacht. „Es wurde Zeit für diesen Preis!“. Und nach dem leidenschaftlichen Video-Grußwort einer Porno-„Schwester“ aus Toronto, die zum Gründungskern des kanadische Vorbild-Preises, des „Feminist Porn Awards“, gehört, wird klar: Hier geht es nicht erster Linie um individuelle Ehrungen. Hier zeigt die Speerspitze einer Bewegung mutig und ein wenig trotzig, dass die Zurschaustellung weiblicher Lust nicht nur richtig, sondern wichtig ist. Es ist die Selbstbehauptung der Frauen-Sexualität überhaupt. Candida Royalle ruft in einer Dankesrede ihre Begeisterung ekstatisch heraus: „Today we conquer the pornwold. Tomorrow we conquer the world!“ „PorYes“ ist eine Mischung aus einer strapse-tragenden, modernen Sufragetten-Kundgebung und einer queeren Gala. Doch mit was genau wollen Mérrit und ihre Mitstreiterinnen die Welt erobern?

Ca. 22. Uhr. S und M
Eine gestrenge Oberin im Korsett zieht eine junge Zofe unter einem Bett hervor. In Film-Noir-Tönen schwenkt die Kamera langsam von ihren schwarzen Schuhen zu ihrem Gesicht. In den Filmen von Maria Beatty sind BDSM-Praktiken in artifizielle, poetische Bilder verpackt. Die Kunst der Imagination, ein Raum, in dem fast alles erlaubt ist. Innerhalb von Qualitätsstandards. Die Regisseurinnen wollen weg von den Stereotypen des Mainstreampornos, in denen der ewige Wiedergänger „Cumshot“ das erklärte Ziel ist. Wichtiger sind erzählerische Mittel wie eine nachvollziehbare Handlung, weibliche Lust im Zentrum und kreative Szenarien. „Frauen wollen Vielfalt“, sagt Mérrit. Daher sind die Kriterien der Jury auch die Diversität von Alter, Geschlecht, Rasse und Körperlichkeit der Darsteller. Als die visuelle Demokratie an diesem Abend ein Ende hat, ist Laura Mérrit mehr als erregt: „Das ist ein historischer Moment“.

Feministische Porn-Filmtipps:

„Female Fantasies“, 2006 Regie: Petra Joy, Straberries Seductress
„Sexual Sushi“, 2005 Regie: Petra Joy, Straberries Seductress
„Superfreak“, 2006 Regie: Shine Louise Houston
„,Eyes of desire“, 1999, Regie: Candida Royalle, Femme Productions
„Under the cover“, 2007, Regie Candida Royalle, Femme Productions
„Boy in a Bathtub“, 2006, Regie: Maria Beatty, Bleu Productions
„Bandaged“, 2009, Regie: Maria Beatty, Bleu Productions