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Der Mai ging schneller vorbei als ich schauen konnte. Gern hätte ich noch etwas über Frauenbilder in der Popmusik geschrieben, aber das wäre dann auch eher was für ein Buch als für einen Blogeintrag. So will ich in meinem letzten Beitrag hier als Missy-Gast noch etwas zu einer Frau schreiben, die zu den Ikonen des Genres gehört und die demnächst ein neues Album veröffentlichen wird: Laurie Anderson.

Sie stammt wie Gudrun Gut nicht zufällig aus einer Generation, in der man voller Hoffnung war, dass sich die Frauenbilder im Pop diversifizieren werden – und sich auch Räume jenseits des Singer-Songwritertums öffen, in denen die Frauen aus der zweiten Garde heraustreten können und eigene Akzente setzen (Ein kleiner Videoexkurs dazu am Ende des Artikels).

Laurie Anderson 2009 / Foto: Steffi Loos / Fotokombinat.net
Laurie Anderson 2009 / Foto: Steffi Loos / Fotokombinat.net

Die meisten dieser Frauen waren um die 20 und durch Punk / New Wave zum Musikmachen animiert worden, ihre musikalischen Vorbilder hießen u. a. David Bowie und Marc Bolan, an weiblichen Vorbildrollen gab es kaum jemand außer Nico und Pattie Smith. Anderson dagegen kam nicht nur aus der Kunstszene, sondern blieb Zeit ihres Schaffens eine Multimediakünstlerin. Als sie 1981 ihre erste Single „O Superman“ aufnahm, war sie schon 34, ihr erstes Album folgte ein Jahr später.

Video: Laurie Anderson – Oh Superman

Halb gesprochene, halb gesungene kritische Kommentare und philosophische Betrachtungen zum Zeitgeschehen und zur menschlichen Natur, in Geschichten verpackt, wurden zu Andersons Markenzeichen, ebenso wie der innovative Einsatz von oft selbst entwickelten elektronischen Instrumenten und manipulierten Mikrofonen. In ihren Texten spricht sie auch immer wieder feministische Themen an, wie z. B. die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen in „Beautiful Red Dress“.

Laurie Anderson Homeland Cover
Laurie Anderson Homeland Cover

Andersons Alben erschienen von Anfang an auf dem Major Label Warner. Das hat sie ohne Unterbrechung bis heute unter Vertrag, auch wenn die Verkaufszahlen ihrer Alben nicht den auf diesem Level kommerziell üblichen Umsatzzahlen entsprechen. Für den Konzern ist die weit respekierte Anderson ein „Token Artist“, mit dem das Label zeigen kann, dass es auch an Kunst interessiert ist und nicht nur an Gewinn.

Video zur Homeland-Tour

Auch das neue Album Homeland ist auf dem Warner-Unterlabel Nonesuch erschienen. 2007 konzipiert und 2008 uraufgeführt, entwickelte sie sowohl Musik als auch Texte weiter, über einen Politkwechsel in ihrem Land hinaus. Denn ursprünglich war das Ganze ein Kommentar zur USA in der Bush-Ära – im weitesten Sinne. Sie knüpft mit diesem ersten Studioalbum seit neun Jahren an ihre politische Arbeit United States I—IV an. Homeland beschäftigt sich mit Kritik an der Rekrutierungspolitik im Irakkrieg – und diesem im Ganzen – , über Betrachtungen zur Macht von Regierung, Banken und Technologie über den Menschen, erzählt aber auch Fabeln von der Entstehung der menschlichen Erinnerung und Geschichten von lieblosen Beziehungen. Referenzpunkte reichen dabei über den ganzen westlichen Kulturkanon von Aristophanes bis Oprah Winfrey.

Video: Gutes aktuelles Interview mit Laurie Anderson (englisch)

Das Album beginnt mit für das ungeübte westliche Ohr arabisch anmutenden Instrumenten und Gesang – in Wirklichkeit sind es aber Musiker der Band Huun-Huur-Tu aus der autonomen russischen Provinz Tuwa, die im Süden an die Mongolei grenzt (mit denen übrigens auch Nina Nastasia gearbeitet hat). Sie verleihen dem Song eine tiefe Schönheit, die in anderen Songs immer wieder auftaucht, auch mit anderen musikalischen Mitteln und Mitmusikern, die von New Yorker Jazz- und Rockmusikern bis zum britischen Elektronikmusiker Kieran Hebden alias Four Tet reichen, erzeugt, z. B. bezaubernden Streichersätzen und elektronischen Beatmustern. Letztere nehmen hin und wieder auch Fahrt auf. Mal singt und spricht Anderson ihre schweren, böse-ironischen, liebevollen, kritischen oder poetischen Textpassagen in sanfter, warmer Stimme darüber, mal mit etwas mehr Schärfe. Einmal geht sie in den “audio drag”-Modus: Sie benutzt ein manipuliertes Mikrofon, um in ihr auf dem Cover abgebildetes männliches Alter Ego Fenway Bergamot zu schlüpfen.

Video: Laurie Anderson / Only An Expert / Maybe if I Fall

Das Album erscheint in Deutschland am 2. Juli. Vorher wird der Song „Only An Expert“, eine ironische Betrachtung von – zumeist männlichem – Expertentum, das festlegt, wann es sich um welches Problem handelt, als Single ausgekoppelt. Homepage von Laurie Anderson hier.

Bis demnächst vielleicht auf Popkontext. Vielen Dank an die Missy-Redaktion für die Einladung und überhaupt für eine tolle Zeitschrift.

Eure Barbara

P.S. Hier der oben versprochene kleine Musikexkurs in die 80er:

The Slits – (Ausschnitt aus Don Letts Punkrock Movie, Film von 1978)

The Slits – Typical Girls (1979)

The Raincoats – Fairytale in the Supermarket (1979)

Lydia Lunch -Gloomy Sunday (1980)

Marine Girls – A Place In The Sun (1983)

Eurythmics – Love Is A Stranger (1983)

Siouxie and The Banshees – Dazzle (1984)

Malaria! You, You (1985)