medieneliteGestern stellte die Mädchenmannschaft die Kampagne „One step too far“ vor, die gerade in Wales startet und für Sexismus gegen Frauen sensibilisieren soll. Ich verteilte den Link über Twitter und Facebook, er wurde retweeted und reshared von vielen meiner weiblichen Follower und weiblichen „Facebook-Connections“, darunter auch Freundinnen. Es schien mir, als ob die fleißigen Spreaderinnen sagen wollten: „Schaut her. Sowas passiert mir. Und zwar nicht selten.“ Von einigen weiß ich, welche ekelhaften Situationen ihnen widerfahren sind und, wenn sie davon berichten, wie selten leider das Verständnis von Männern dafür ist. Eine bekam auf die Schilderung sogar einen sexistischen Kommentar zurück. Klasse.

Nein, Männer sind nicht die Bösen in diesem widerwärtigen Spielchen und Frauen nicht per se Opfer. Das Hauptproblem von Sexismus sehe ich immernoch in der Internalisierung und Bagatellisierung von Sexismus auf beiden Seiten. Die Unterscheidung zwischen harmlosem Flirten und sexistischer Anmache fällt den meisten von uns sehr schwer. Und selbst, wenn wir es als Sexismus enttarnen können, problematisieren wir es viel zu selten, weil wir uns häufig damit abgefunden haben. Es gibt keine perfekte Anleitung für die Identifizierung und Bekämpfung von Sexismus in interpersonellen Kontexten. Puderzucker ist Sexismus auch im eigenen Bekanntenkreis, unter Freunden, ja selbst in einer Beziehung. Bärendienste for the win.

Ein besonderes Geschmäckle bekommt das Ganze in Verbindung mit anderen Unterdrückungsmechanismen.  Wenn Sexismus, Rassismus und Homophobie aufeinander prallen, eine intersektionale Identität mal wieder alles in die Waagschale haut, was sie zu bieten hat, dann weiß mensch gar nicht mehr, von welcher Seite das Problem nun anzugehen ist. Zum Glück(!) ist allen Unterdrückungssituationen eins gemein: Das Zusammenspiel von Macht und Ohnmacht. Das Puppentheater Hierarchisierung lädt ein zur nächsten Vorstellung. Kommen Sie zahlreich, geben Sie ihre Jacken an der Garderobe ab und seien Sie unser heutiger Zaungast, wenn es wieder heißt: Wie kann ich garantiert nichts für herrschaftsfreie Räume tun?

Es ist falsch, dem bipolaren Verhältnis von Macht und Ohnmacht auch noch die Opfer-Täter-Dichotomie zum Fraß vorzuwerfen. Wir sollten uns davon verabschieden, uns selbst zum Opfer zu erklären und die anderen zu Tätern. Denn wir spielen mit und teilen aus. Sogar als Betroffene tragen wir zur Perpetuierung von Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen bei.

Ich bin lesbisch. Ich habe Erfahrung mit Homophobie, Sexismus und Heterosexismus. Ich weiß, wie es sich anfühlt. Ich weiß mittlerweile auch, was dahinter steckt. Ich weiß allerdings in den seltensten Fällen, wie ich reagieren kann, ohne mitzuspielen. Ich habe vor fünf Jahren einen Typen verprügelt. Ich habe mich nicht besser gefühlt. Ich habe Typen beschimpft. Ich habe mich nicht besser gefühlt. Ich habe es mit einem müden Lächeln versucht. Ich habe mich nicht besser gefühlt. Andere verschütten Getränke, verteilen Ohrfeigen. Nichts davon löst irgendetwas in Luft auf.

Ob wir nun unseren Status als Opfer geltend machen wollen, um gehört zu werden oder es diesen miesen Ratten mal so richtig zeigen – wir drehen lediglich am Rad der Dichotomie. Wir fühlen uns ohnmächtig, obwohl wir der Machtausübung fähig sind. Allerdings: die anderen sind es auch. Denn der Wichser, der uns gerade an den Arsch gefasst hat, steckt eigentlich in derselben Ohnmachtsblackbox wie wir. Ohnmächtig, weil er nicht weiß, wie er die Frau dazu bringen kann, mit ihm zu reden oder auf ihm zu sitzen. Weil er sich nichts zutraut, traut er ihr im Gegenzug auch nicht viel mehr zu. Die Hand am Po ist eine Verzweiflungstat – Macht über Ohnmacht zu bekommen. Sexist_innen, Rassist_innen und andere _innen brauchen allerdings immer eine_n Mitspieler_in. Puppentheater Hierarchisierung. Der Vorhang geht auf. Eine ausgestreckte Hand lädt ein. Meistens nehmen wir die Einladung dankend an. Immer das gleiche Spiel. Wo uns doch sonst so schnell langweilig wird?!

Vorschlag für ein neues Spiel: Mehrheitsmythos. Unterdrückungsmechanismen finden nur solange statt, wie Unterdrücker_innen sich in der Überzahl denken, denn Mehrheit bedeutet Normalisierung und Normalisierung Legitimierung. Menschen reagieren in verschiedenen Kontexten verschieden – abhängig von sozialer Erwünschtheit.  Also einfach mal den Spieß umdrehen – beim nächsten Pfiff ein hörbar lautes Gespräch mit Freund_innen beginnen, ob sie jetzt auch von diesen Sexist_innen in der Zeitung gelesen hätten. „Die machen komischen Geräusche und sehen aus wie…“ (dabei die Pfeifer_in genau beschreiben).

Am Nebentisch sitzen junge Menschen und schwadronieren über Homosexuelle: „Ich bin ja tolerant, aber wenn die sich küssen …blablablabla“ – ein hörbar lautes Gespräch mit Freund_innen über Heterosexuelle beginnen: „Ich bin ja tolerant, aber wenn die sich küssen und so…“

Den Spiegel vors Gesicht halten, ist kein Kraftakt, erzeugt aber ungemein große Wirkung. Und: ich fühle mich nicht ohnmächtig, sondern habe Spaß. Anderes Beispiel gefällig? Hier entlang.

Auch sehr wirksam ist die direkte Konfrontation mit der eigenen Handlung, das explizite Sichtbarmachen des Macht-Ohnmacht-Gefälles, dass der/die Unterdrücker_in gerade versucht zu spielen. Ich habe das in einer bedrohlichen Situation geschafft. Drastischer, aber sehr lustig in einer anderen.

In den meisten Fällen hilft es schon, die Versuche des/der Unterdrücker_in nicht persönlich zu nehmen. Denn das ist genau das, worauf es hinaus laufen soll. Dass ich mich damit identifiziere. Mit diesem langweiligen Spiel.

Und nun seid ihr an der Reihe. Wie sieht euer Umgang mit Unterdrückungsmechanismen aus?