In der dritten Gastblog-Woche will ich mal ein bisschen philosophischer werden und euch mitnehmen in meine Überlegungen zu Utopien. Denn – und davon bin ich fest überzeugt – alle Menschen brauchen sie, feministisch orientierte erst Recht. Und ich denke, wir reden zuwenig darüber.
Wie komm ich jetzt wieder darauf? Nun, ich wurde vor kurzem erst wieder gefragt, was ich denn nach meinem Master zu tun gedenke. Wie die Berufsaussichten sind. Wenige Tage vorher las ich davon, dass Feminismus wieder mehr Gedanken an Utopien „verschwenden“ sollte. Das Ziel sei uns abhanden gekommen vor lauter Weg. Also gut, dann verschwende ich mal ein paar Gedanken.

Wenn ich ehrlich sein soll. Was ich nach meinem Master mit mir anfange, weiß ich nicht. Ein Doktorat wäre schön. Forschen, weiter in die Materie eintauchen, Wissen aneignen und generieren. Oder was praktisches arbeiten. Mal sehen. Ich will zuviel um es zu konkretisieren. Also tue ich erst mal nichts und erfreue mich daran, einfach nur studieren zu dürfen.
Und meine ideale Welt? Nun, ich gebe zu, mein idealer Tag spielt sich in einer Hängematte an einem Strand oder See ab. Nix mit Politik, keine Diskussionen, keine Forschung. Einfach Sonne und Nichtstun. Dabei genieße ich mein Leben, wie es jetzt verläuft durchaus. Ich gehe in Diskussionen auf, ich sauge neues Wissen in mich hinein, verarbeite es, hinterfrage es und diskutiere es wieder. Ich gehe auf die Straße für das, was mir wichtig ist und manchmal sitze ich nur Zuhause und klicke auf ein „vielleicht“, wenn ich im Facebook gefragt werde, ob ich an einer Demonstration teilnehme. Oder an einer Party. Ich kann und will ja auch nicht immer überall sein.

Ich glaube, es liegt im Wesen der Utopie, dass sie nur vom IST-Stand aus gedacht werden kann. Wenn ich Schmerzen habe, dann reicht es mir schon, in Zukunft ohne Schmerzen zu sein. Wenn ich gerade viel Stress habe, dann enthält meine Ideal-Welt definitiv mehr Hängematten und Mittagschläfchen als wenn ich mich langweile. Wenn ich eine gleichberechtigte Welt haben will, dann muss ich wissen, was mir an dieser hier nicht gefällt und davon eine bessere Welt ableiten. Und darauf hinwirken.

So zumindest der Plan, doch das Wesen der Utopien wirft zwei Problematiken auf. Einmal ist das Wie und Warum des IST-Zustandes nicht immer offensichtlich und so fließt viel Zeit und viel Arbeit in die Erforschung dessen und was wie funktioniert. Davon erhoffen Menschen sich, zu erfahren, wo sie ansetzen können und müssen um zu ihrer Utopie zu kommen. Um alte „Fehler“, die bereits erforscht sind, nicht zu wiederholen. Denn auch die Gegenwart war einmal nur utopische Zukunftsvorstellung und wir fangen nicht bei Null an. Je nach Intensität dessen, was wir herausfinden wollen und verstehen wollen, kann das ein ganzes Leben lang dauern. Mit der weltweiten Potenzierung des verfügbaren Wissens durch das Internet wohl auch noch länger. Und wann dann ansetzen mit den eigenen Umsetzungen?
Andererseits leben und gestalten wir immer auch den Ist-Zustand und das „Jetzt“ mit. Wo leben wir sonst, wenn nicht im Augenblick? Doch laufen wir dann nicht Gefahr zu wiederholen, das bereits getan wurde und nicht funktioniert hat? Wenn wir nicht davon wissen, was wann getan wurde und nicht funktioniert hat – ab wann können wir dann sagen „die Umstände haben sich verändert, die Zielgruppe ist eine andere, probieren wir es erneut“?

Wissen wir überhaupt, wo wir hin wollen? Können wir es je wissen, wenn mit den Erfahrungen die Bilder einer idealen Welt sich immer mit verändern? Müssen wir es wissen oder reicht die grobe Ahnung in welche Richtung es gehen soll und machen wir uns mal auf den Weg dahin?
Dürfen wir eine Utopie überhaupt erreichen? Gut, das widerspricht dem letzten Absatz, denn demnach kann eine Utopie nie erreicht werden. Einzelziele, Meilensteine vielleicht, ja. Aber Wenn sich die Utopie mit mir ändert, dann ist sie wie der Horizont wohl immer nicht erreichbar. Aber deswegen bleibe ich ja nicht stehen.

Und der Weg ist vielleicht doch das Ziel.