Das kanadische Game-Studio Silicon Sisters Interactive entwickelt Spiele speziell für Mädchen und Frauen. Aber brauchen die das wirklich? Ein Gespräch mit Gründerin Kirsten Forbes.

Missy Magazine: Sie haben die Vorlieben von weiblichen Gamern untersucht, um Spiele zu entwerfen, die speziell den Geschmack von Spielerinnen treffen. Spielen Frauen und Mädchen wirklich anders als Männer und Jungen?

Kirsten Forbes: „Geschmack” ist ein sehr subjektives Konzept. Deswegen haben wir uns nicht darauf konzentriert, sondern auf die Untersuchung der Präferenzen, die wir beobachten können. Wir sammeln Untersuchungen dazu, welche Arten von Spielen weibliche Spielerinnen kaufen, an welchen Stellen im Spiel sie am längsten verweilen, wie sie navigieren, welche Stimuli und welche Belohnungssysteme sie suchen. Diese Daten werten wir aus. Interessant ist: Viele der Studien aus den 1990er-Jahren haben Mädchen mit unerfahrenen SpielerInnen gleichgesetzt. Daraus wurde der Schluss gezogen, Spiele für Mädchen bräuchten klarere Anweisungen, viel positives Feedback und einfachere Steuerungsmöglichkeiten. Im Laufe der Nullerjahre hat sich das stark verändert, wir sehen jetzt viele erfahrene und anspruchsvolle Gamerinnen und können bessere Rückschlüsse darüber gewinnen, wo und wie sie gerne spielen. Trotzdem bleibt noch viel zu erforschen. Wir hatten jetzt 30 Jahre Zeit, um die Präferenzen von 18- bis 25-jährigen männlichen Gamern zu beobachten, die die Kernmärkte dominieren. Auto-, Schieß- und Sportspiele haben dadurch mittlerweile eine Superlative an Qualität erreicht. Bei weiblichen Mainstream-Gamern sind wir noch lange nicht so weit. Bislang gab es einfach kein Produkt, das 5 bis 7 Millionen Menschen gekauft haben, die größtenteils weiblich waren. Unsere Strategie im Moment ist daher: keine Vorannahmen machen und keine Geschlechterstereotype reproduzieren. Wir müssen experimentieren.

Ihr aktuelles Spiel School 26 richtet sich an Gelegenheitsspielerinnen und hier speziell an junge Mädchen und Teenager. Warum haben Sie dieses Segment gewählt?

In Studien zum Spielverhalten von Mädchen haben wir immer wieder den gleichen Kommentar gelesen – dass sie sich Spiele wünschen, die auf „echten“ Lebenssituationen basieren und sie für die Zukunft „üben“ lassen. Wir wissen außerdem nur zu gut, wie schwierig es für Mädchen im Teenageralter ist, eine Frau zu werden. Deswegen haben wir ein Spiel geschaffen, in dem es darum geht, soziale Situationen zu schaffen – mit dem Gedanken, dass diese „Soft Skills“ den Mädchen später im Berufsleben nützlich sein können und dass Mädchen ohnehin einen großen Teil ihrer Zeit damit verbringen. Wir wollten den Mädchen vermitteln, dass dieser Zeitvertreib durchaus legitim ist

Wie unterscheiden sich Ihre Spiele von der Vielzahl anderer Angebote, die für diese Zielgruppe bereits existieren – vom Ponypflegen bis zum virtuellen Styling?

„School 26“ berührt einige ziemlich heikle Themen für Teenager. Die meisten anderen großen Spielefirmen könnten mit Sicherheit kein Spiel veröffentlichen, in dem ein Junge erkennt, dass er schwul ist oder ein anderer Teenager eine Alkoholvergiftung bekommt. Ich denke, dass wir damit einen Beitrag dazu leisten können, diese Themen zu verhandeln, vielleicht können wir Mädchen damit zu einer neuen Perspektive verhelfen oder sie sogar dazu bewegen, im „echten“ Leben mit jemandem über diese Themen zu sprechen.

Sie und Ihre Geschäftspartnerin Brenda Bailey Gershkovitch arbeiten beide seit vielen Jahren in der Spieleindustrie. Was hat Sie dazu veranlasst, ein Studio zu gründen, das sich speziell an eine weibliche Zielgruppe richtet?

Die Videospiele-Industrie ist recht jung und in den 30 plus Jahren seit ihrer Entstehung waren nur etwa 20 Prozent der KonsolenbesitzerInnen weiblich. Dann gab es einen Schub in der technologischen Entwicklung – und mit diesen Veränderungen in der Technologie folgte auch eine demografische Verschiebung. Mittlerweile erleben wir, dass 40 Prozent der Online-GamerInnen weiblich sind, der durchschnittliche Social-Gamer ist eine 43-jährige Frau. Frauen haben die Spielewelt betreten und sie spielen andere Arten von Spielen als die auf den herkömmlichen Konsolen. Viele dieser Frauen sehen sich selbst gar nicht als Gamerinnen, sie haben einfach Spaß und vertreiben sich die Zeit. Und sie wollen gute Spiele.

Glauben Sie, weibliche Entwicklerinnen haben ein besseres Verständnis dafür, was Gamerinnen wollen?

Nein und wir arbeiten auch nicht nur mit Entwicklerinnen. Ein guter Designer oder eine Designerin muss die Leidenschaft und das Verständnis für die Zielgruppe mitbringen. Wer zum Beispiel ein Footballspiel entwickelt, wird ein tiefes Verständnis und eine Leidenschaft sowohl für den Sport wie für die Zielgruppe brauchen. Das Geschlecht ist dabei aber unwichtig.

Interview: Chris Köver

Das Interview mit Kirsten Forbes findet ihr neben vielen anderen interessanten Themen in der Rubrik Electric Ladyland der aktuellen Missy-Ausgabe!

Foto: Kirsten Forbes/ Silicon Sisters Interactive