Diese Woche wurde die österreichische Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger 80 Jahre alt. Wir gratulieren herzlich und holen unsere Lieblingsstreberin seit 1981 aus dem Archiv: Gretchen Sackmaier. Der Artikel erschien in Missy 02/2012.

Von Felicia Reinstädt

In der Schule ist Gretchen Sackmeier konstant Klassenbeste. Sie hat einen Notendurchschnitt von eins Komma sechs periodisch, nur Turnen und Zeichnen gehören nicht zu ihren Stärken. Das war’s dann aber auch schon mit der Konstanz in Gretchens Leben.

@ Elisabeth Moch

Im Gegensatz zu anderen Held*innen der klassischen Mädchenliteratur lässt die Wiener Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger ihre Romanfigur nämlich nicht in ein geordnetes Weltbild hineinwachsen. Als Gretchen vierzehn ist, kündigt die Mutter das häusliche Ideal der Sackmeier-Familie auf. Sie sucht sich einen Job und beginnt eine Ausbildung. Als der Vater stur an der heimischen Weltordnung festhalten will, ziehen die Sackmeier-Frauen kurzerhand aus.

Zusammen mit einer Freundin und deren Sohn gründen sie eine Patchwork-WG, in der alle Pflichten verteilt werden. „Feminismus ohne Mond und Magie“, nennt Gretchen einmal diese alltagstaugliche Form der Gleichberechtigung. Parallel beginnt dann auch Gretchens Entwicklung von der Außenseiterin zur selbstbewussten, jungen Frau. Dem Vater und dessen altbackenen Vorstellungen erteilt sie eine klare Abfuhr. Ähnlich hält sie es mit ihren Verehrern. Weder vom schönen Kalb-Florian noch vom soften Hinzel lässt sie sich zum „Bumsen“ oder zu vorschnellen Liebesbekundungen überreden.

„Gretchen Sackmeier“ von Christine Nöstlinger ist 2011 in einer Gesamtausgabe im Oetinger Verlag erschienen. Die Ausgabe enthält die drei Einzelbände „Gretchen Sackmeier“ (1981), „Gretchen hat Hänschen-Kummer“ (1983) und „Gretchen mein Mädchen“ (1988).

Männliche Besitzansprüche lehnt sie strikt ab, demonstratives Händchenhalten erst recht. Ein derart selbstbestimmtes Verhalten ist neu für die Jungs im Buch, aber auch für Jugendbücher an sich. Mit Gretchen erobert ein neuer Mädchentypus die Kinderzimmer der 1980er-Jahre. Ein Typus, der sich bis heute frisch liest und seit nunmehr dreißig Jahren in Sachen Emanzipation konstant Klassenbeste ist.