„Howard, do you have latent homosexual tendencies?“ – „No, of course not!“ – „So you say. Yet, here I am!“ sagt Star-Trek-Schauspieler George Takei in Howards Sexphantasie.

Auf den ersten Blick ist die amerikanische Physikerserie Big Bang Theory eine konsequent heterosexuelle Angelegenheit. Die Handlung dreht sich um das Leben der  Astrophysiker Leonard Hofstadter, Sheldon Cooper, Howard Wolowitz und Rajesh Koothrappali zwischen Battlestar Galaktica, Heisenbergscher Unschärferelation, Thai Food und Comicbuchladen. Nur: in der Nerdwelt der männlichen Hauptfiguren fehlt das, wonach sie ständig verzweifelt suchen: Frauen.

Leonard, Howard und Rajesh sind immer auf der Suche nach Sex, nur kurzfristig unterbrochen durch eine Runde „Mystic Warlords of Ka’a“ oder „Halo“-Nacht. Rajesh kann nicht mit Frauen sprechen, ohne Alkohol getrunken zu haben – trotzdem hat er mehr unverbindlichen Sex als Leonard und Howard.

Howard ist der König der Anmachsprüche. Sprüche wie „Well, if you like space stuff, I design components for the International Space Station. Which is in space. Where, I’m sure you know, no one can hear you scream“ lassen Frauen allerdings eher schreiend weglaufen, als sie anzuziehen.

Sowohl Howard als auch Leonard sind auf der Jagd nach Frauen bereit, erstaunliche Erniedrigungen und berufliche Risiken in Kauf zu nehmen, wenn auch nur die Möglichkeit von Sex im Raum steht.

Aber: Howard, der selbsternannte „Ladies’ Man“, findet sich in seinen eigenen Sexphantasien nicht nur Katee Sackhoff, sondern auch George Takei gegenüber, was als latent homosexuell oder verwirrt aufgefasst wird.

Leonards Psychologen-Mutter diagnostiziert eine „ersatz homosexual marriage“ zwischen Howard und seinem engen Freund Rajesh – als Reaktion auf eine unterstellte Unfähigkeit der beiden, Beziehungen zu Frauen einzugehen. Howard und Rajesh streiten das vehement ab – um unmittelbar in stereotypes Pärchen-Gezänk überzugehen.

Auch Rajeshs Eltern beschweren sich: „The closest thing we have to a daughter in law is that Jewish boy Howard!“. Seine Schwester ergänzt: „For many years, we thought he was the clarinet enthusiast in the family.“

Rajesh widerspricht oft den Erwartungen an männliches Verhalten. Seine World-of-Warcraft-Figur ist eine Frau, als die er Sex mit männlichen Figuren hat. Wenn sich die Gruppe verkleidet, steckt im Zweifel er im Frauenkostüm – oder ist Aquaman, der auf einem rosa Seepferdchen reitet. Er findet Sandra Bullock, Beyoncé und „Eat Pray Love“ genauso interessant wie Vampire und Zombies.

Howard und Rajesh lösen bei ihrer Umwelt Irritationen aus – ihre enge Freundschaft wird als homosexuelle Beziehung gedeutet. Die Kombination von „that Jewish boy“ und „daughter-in-law“ illustriert die Verwirrung, die Abweichungen von traditionellen Geschlechtermodellen auslösen: der homosexuelle Mann wirkt weniger männlich, feminisiert, und der Mann, der mit „eigentlich weiblichen“ Eigenschaften auch nur spielt, wirkt schwul.

Unübertroffen bleibt jedoch die Irritation, die von Sheldon Cooper ausgeht. Er hat wenig bis kaum Interesse an sozialen Kontakten, die über seinen unmittelbaren Freundeskreis hinausgehen – und für sexuelle Beziehungen überhaupt nichts übrig. Nachdem Sheldon reihenweise Avancen enthusiastischer Erstsemesterinnen ignoriert hat, fragt Penny, sichtlich beunruhigt: „What’s his deal? Is it girls? Guys? Sock puppets?“ – „Honestly, we’ve been operating under the assumption that he has no deal.“ – „Come on, everybody has a deal.“ – „No, not Sheldon.“

Sheldon unterscheidet sich so von allen anderen Figuren der Serie, selbst seiner Freundin Amy Farrah-Fowler, die zwar ähnliche Vorbehalte gegenüber Menschen hegt und mit ihrem Überlegenheitsgefühl überall aneckt, jedoch gern über Selbstbefriedigung und attraktive Männerhintern spricht. Viele Eigenschaften Sheldons treffen auf Unverständnis bei seinen Mitmenschen – soziale Konventionen müssen für ihn oder von ihm erschlossen werden wie Regeln in einem unbekannten Spiel. Drehbuchautor Chuck Lorre sagt über die Figur: „Sheldon has chosen not to play the relationship game either way – heterosexual, homosexual, bisexual, any sexuality.“ Lorre vermischt hier Beziehung und Sexualität, doch bleibt die Tatsache bestehen, dass beides, Beziehungen und Sexualität, Spiele sind, die man spielen kann – oder eben nicht. Sheldon, der das Spiel ablehnt, verweigert sich Konzepten, die für seine Mitmenschen im Umgang miteinander essentiell sind („we’ve been operating under the assumpion…“). Obwohl weder Penny noch Leonard, Howard oder Rajesh sexuelles Interesse an Sheldon haben, würden sie ihr Verhalten ihm gegenüber ändern, je nach dem, mit wem er schläft. Ohne ein Signal sind Sheldons Freunde orientierungslos.

Der Witz ist hier auf Seiten der Verwirrten. Als Sitcom mit eingeblendeten Lachern kann Big Bang Theory klar markieren, was wann wie als Witz gemeint ist. Es wird zwar über Sheldons Umgang mit der Welt gelacht, jedoch ebenso über diejenigen, die in seinem Verhalten an ihre Grenzen stoßen.

Anders ist es bei Howard und Rajesh: hier erfolgt der Witz auf Kosten des weiblichen Mannes; die Männer, die sich wie ein altes Ehepaar streiten, machen sich lächerlich, der Mann auf dem rosa Seepferdchen ist an sich lustig. Im Geek-Setting von Big Bang Theory ist wenig „normal“, doch an die klaren Grenzen von Homo und Hetero, von männlichem und weiblichem Verhalten klammert die Serie sich krampfhaft – leider. Entspannter wäre witziger gewesen.

Hanna Leister