ARGE Dicke Weiber

Wenn Dickenhass Einzug in die Medizin hält

Bereits beim Schularzt/der Schulärztin ist die Sorge um die Gesundheit des dicken Kindes vornehmlich auf sein »Über«-Gewicht beschränkt. So muss man in den niederen Schulstufen vor der gesamten Klasse abgewogen werden und in den höheren Schulstufen mit 3-5 anderen gleichgeschlechtlichen Kindern. Vor den anwesenden MitschülerInnen wird das dicke Kind dann darüber belehrt, was es wann und wie essen darf und wie oft es sich bewegen soll. Es wird ihm mitgeteilt, dass es doch Diät machen soll und abnehmen müsse. Es wird ausgefragt was und wie es isst und wie viel es sich bewegt. Im Unterschied dazu wird ein »normalgewichtiges« Kind nicht gefragt wie viel es sich bewegt oder was es isst. Das dicke Kind wird vor allen beschämt und gedemütigt – die psychologischen Folgen solcher Demütigungen, die von Erwachsenen im Beisein anderer Kinder ausgeübt werden, sind ganz bestimmt ungesund. Doch diese Folgen scheinen niemanden zu interessieren und schon gar nicht die SchulärztInnen. Auch die körperlichen Folgen die eine Diät (also die schulärztliche Empfehlung) verursachen kann, werden nicht erläutert. Viele dicke Kinder fürchten sich bereits vor dem/der Schulärzt/in.

Im späteren Verlauf eines dicken Lebens vermeidet man Arztbesuche so gut es geht. Sucht man doch einmal einen Arzt oder eine Ärztin auf, wird man darauf hingewiesen, dass man abnehmen solle bevor auch nur irgendeine Diagnose gestellt wird – man nimmt also an, dass, wenn man dünn wäre, man auch keinen Schnupfen, keinen Husten, keinen verstauchten Fuß, keine schlechten Augen, etc. hätte. Das Dicksein ist dann Schuld für jede andere Krankheit. Doch die Ratschläge, die man dann von ÄrztInnen hört sind Magenbypass und andere Magenoperationen, Diäten und gerne auch Tabletten zur Fettverbrennung und Stoffwechselanregung. All diese Methoden sollen die »Gesundheit« dicker Menschen verbessern, doch die Nebenwirkungen jeder einzelnen von ihnen sind enorm und wenig gesund.

Wenn es den ÄrztInnen nicht um Gesundheit geht, worum könnte es dann gehen? Vielleicht um die Milliarden an Euro, die in den Wunsch nach der Traumfigur fließen? An den vermeintlichen Ratschlägen und chirurgischen Eingriffen verdienen ÄrztInnen nämlich sehr gut, aber auch die Pharmaindustrie und die Lebensmittelindustrie mit ihren Diätprodukten. Würde es wirklich um die Gesundheit von dicken Menschen gehen, dann müsste man eine dicke Patientin respektvoll behandeln indem man sie zuerst untersucht bevor man urteilt. Frau geht nicht zum Arzt/zur Ärztin weil frau dick ist, frau geht dorthin, weil frau krank ist und nein Dicksein ist nicht gleich krank sein – denn auch dünne Menschen sind krank.

Dicke belasten unser Gesundheitssystem

Es geht der Gesellschaft um das Schlagwort Gesundheit – doch Gesundheit ist eine sehr individuelle Sache. Es geht der Gesellschaft um das Schlagwort Kosten – dabei wird nicht berücksichtigt wie viel ein/e Sportler/in, ein/e Bauarbeiter/in oder ein/e gestresse/r Manager/in dem Gesundheitswesen kosten. Bewegung nutzt den Körper ab, Arbeit nutzt den Körper ab – Feldarbeit genauso wie Büroarbeit (hinterlässt Sehnenscheidenentzündungen, etc.), – Jeder Körper wird im Laufe seines Lebens abgenutzt bis er irgendwann stirbt. Diese Abnutzungen kosten dem Gesundheitswesen viel – besonders wenn wir alt werden. Nicht ein einzelner Faktor an sich ist es, der dem Gesundheitswesen viel Geld kostet – es wird aber nur einem Faktor zu Lasten gelegt und zwar dem Dicksein. Wie könnten wir denn auch Menschen, die täglich arbeiten, Menschen, die täglich Sport betreiben oder Menschen, die für unsere Ernährung sorgen indem sie Bauernhöfe bewirtschaften, etc. für das was ihnen rechtmäßig zusteht verantwortlich machen?

Aber warum können wir dicke Menschen dafür verantwortlich machen? Weil die Meinung vorherrscht, dass man Dicksein ändern kann. Aber kann man nicht auch alles andere ändern? Man kann doch aufhören mit der Arbeit, man kann doch aufhören mit dem Sport, man kann doch auch aufhören Nahrungsmittel zu produzieren. Es wird völlig absurd, wenn man diesen Gedankengang weiterverfolgt. Jeder Mensch hat ein Recht unser Gesundheitssystem im Falle einer Erkrankung, eines Unfalls, etc. zu nutzen. Wenn wir eine Menschengruppe dazu verpflichten mehr zu zahlen – nur weil wir annehmen sie bräuchten das System mehr – wer garantiert dann, dass sobald dies geschehen ist nicht eine andere Gruppe dazu verpflichtet wird bis wir alle unsere eigenen Kosten übernehmen müssten und jede/r sich selbst die/der nächste ist. Es kann jede/n treffen auf einmal krank zu sein – Körper nutzen sich ab, Körper werden krank, Körper können sogar sterben und sie tun es auch – sie sterben. Unsere heutige Zeit ist geprägt von einem dualen Charakter: niemand darf krank sein aber alles und jedes wird als krank wahrgenommen – so werden beispielsweise Schwangerschaften eher als Krankheitszustand behandelt denn als natürlicher Prozess, ebenso wie dicke Menschen.

Was heißt gesund?

Mir als dicke Frau wird oft zugeschrieben ich sei nicht gesund, weil ich nicht so schnell gehen kann wie andere, weil ich nicht so viele Treppen steigen kann wie andere, weil ich nicht so hoch klettern kann wie andere, weil ich nicht so tanzen kann wie andere. Hier sieht man schon, dass man meine Gesundheit an der »Gesundheit« anderer misst – man vergleicht mich, meinen Körper, seine Möglichkeiten mit den Körpern anderer und behauptet, wäre ich anders würde ich das auch können was dieser spezifische Körper kann. Ich behaupte, das ist Blödsinn! Nur weil ich dünn wäre könnte ich auch nicht so schnell gehen wie diese Person oder so hoch klettern wie diese Person (insbesondere da ich Höhenangst habe – und jetzt will man mir doch nicht auch noch einreden ich hätte keine Höhenangst, wenn ich dünn wäre, oder?) Nur weil ich dünn wäre könnte ich auch nicht genauso tanzen. Es ist keine Eigenschaft des Dünnseins gut tanzen zu können, keine Eigenschaft des Dünnseins schnell gehen zu können, keine Eigenschaft des Dünnseins hoch klettern zu können. Wenn man dünn ist, ist man einfach nur dünn und wenn man dick ist, ist man einfach nur dick – es gibt nicht noch irgendwelche impliziten Eigenschaften, die sich hinter diesen Eigenschaften verstecken.

Ginge es tatsächlich um meine Gesundheit, würde man nicht von mir verlangen abzunehmen – denn das Gewicht, dass ich abnehmen müsste um so dünn zu sein wie diese Person wäre nicht mehr gesund – die Diät, die ich dann mein Leben lang machen müsste, würde sämtliche Organe in Mitleidenschaft ziehen, die übermäßige Bewegung, mit der ich nie mehr aufhören dürfte, würde in wenigen Jahren meine Gelenke angreifen, und meine Psyche – würde es mir wirklich gut tun jeden Tag meines Lebens auf alles zu verzichten? Und das Schlimme – es gäbe nicht einmal eine Garantie, denn Körper können sich gewöhnen, sie können ihren Stoffwechsel umstellen und ich mag dann zwar viele Kilos verlieren, wäre aber nie so dünn wie man mich haben wollte – soll ich mich wirklich verbiegen? Soll ich meine Gesundheit dafür aufgeben? Was ist Gesundheit? Und heißt Gesundheit wirklich »dünn« sein um jeden Preis?

Mein Körper ist wundervoll und Gesundheit ist für mich ein Wohlgefühl. Ich fühle mich wohl im eigenen Körper, mit mir selbst. Ich bin eine dicke Frau, aber ich bin nicht krank, ich fühle mich nicht danach. Dicksein tut nicht weh – wie man auf Dicke reagiert, wie man Dicke behandelt tut weh. Der Stress und der Hass auf den eigenen Körper tun weh – und zu diesen wird man regelrecht von den Medien, der Gesellschaft, gezwungen. Den Auslöser einer Krankheit nennt man meist Virus und der wird meist behandelt. Ich denke hier ist es ähnlich, wir müssen nicht das Dicksein behandeln um gesund zu werden und gesund zu bleiben, sondern alle Menschen die sich dickenfeindlich verhalten – die Gesellschaft selbst die mittels Medien Dickenfeindlichkeit postuliert – gehört behandelt.

Ich bin dick und gesund. Ich bin dick und bewege mich. Ich bin nicht immer gesund, manchmal bin ich dick und habe eine Erkältung, habe Husten, habe Halsweh, habe Kopfweh – aber ich habe das nicht weil ich dick bin. Ich finde aber auch, dass Körper krank sein dürfen. Jeder Körper ist ein guter Körper.

Dem Thema »Gesundheit mit jedem Gewicht« widmet sich das Health At Every Size Programm in den USA. Nähere Informationen auch unter: www.haesbook.com

Text: Malena (ARGE Dicke Weiber)