Bevor der Filmwahnsinn morgen offiziell losgeht noch rasch eine Empfehlung für drei  ungewöhnliche Debütfilme mit Nachhall, die einem also noch Tage danach immer wieder in den Sinn kommen: Da wäre zum einen „Hemel“ von der Regisseurin Sacha Polaks. „Hemel“ bedeutet Himmel und ist der Name einer jungen Frau, die ihre Partner beim Sex schneller wechselt als Bohlen seine Ehefrauen.  Vertraulichkeit entwickelt sie nur gegenüber ihrem Vater Gijs, mit dem sie seit dem Tod ihrer Mutter zusammenlebt. Die eigenartige, arg intime Beziehung zwischen den beiden lässt keine Verbindlichkeit in ihren jeweiligen Affären zu. Dies ändert sich jedoch als sich dieser George-Clooney-Abklatsch von einem Vater ernsthaft verliebt…Hemel, setzt ihre Sexualität ein, um zu provozieren und immer wieder auszuprobieren, ob der Lebensentwurf ihres geliebten Gigolo-Vaters womöglich auch ihr passt. Bis auch sie sich ein wenig verliebt…Lieblingsszene: Hemel erklärt einem entsetzten christliches Liebespaar, das mit dem Sex noch bis zur Ehe warten will, da sie es  „nicht eilig haben“, dass es beim Sex doch nicht darum geht „noch den Bus zu kriegen“… Der Film erinnert mich streckenweise an einen herrlich irritierenden Film der letzten Berlinale – „Brownian Movement“ mit Sandra Hüller, ein Film, der ebenfalls zum Nachsinnen über weibliche Sexualität, Freiheit,  Einsamkeit, Selbstbestimmung und den eigenen Lebensentwurf einlud.

Hier der holländische Trailer, für einen ersten Eindruck oder für diejenigen unter Euch die dieser schön anzuhörenden Sprache mächtig sind:

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Ebenfalls im gewohnt eigenwilligen Forumsprogramm zu finden ist „Keep me upright“ – eine essayistische Dokumentation der bewundernswerten Regisseurin Zoé Chantre über ihr Leben mit Skoliose. Die Arbeit an ihrem Film half ihr sichtlich ihren eigenen Lebensentwurf zu finden – für Chantre gibt es  keinen anderen Weg, als den Versuch mit ihren Einschränkungen zu leben und sich zu mögen, wie sie nun einmal geboren wurde. Und jeder merkt rasch: Mir geht es ähnlicher, als ich auf den ersten Blick annehmen würde, schließlich sind auch wir zum körperlichen Verfall und letztlich zum Tode Verurteilte. Dieser Eine-Frau-Film – der also ohne Crew und mit so wenig Equipment wie möglich entstand – beeindruckt nicht zuletzt durch die animierten Zeichnungen der jungen Künstlerin, die häufig, wenn sie eine Schmerzattacke hat, zum Stift greift: Es entsteht ein verspieltes audiovisuelles Tagebuch, eine Assoziationsflut von Bildern, Sprachen, Tönen – als Modegag gedachte Reissverschlüsse auf den Rücken von Passantinnen und die abgeworfene Hauthülle eines Insekt oder ein eingezäunter Baum in der Innenstadt bekommen auf einmal eine ganz andere Bedeutung…

Noch ein Film mit Nachhall, diesmal aus der Sektion „Perspekitve Deutsches Kino“: „Rodicas„, der erste Dokumentarfilm von Alice Gruia. Die junge Regisseurin begleitet ihr eigene Großmutter (88) und deren Freundin, die ebenfalls Rodica heißt und zwei Jahre jünger ist, einige Zeit durch ihre Wahlheimatstadt Sydney. Die beiden jüdisch-rumänischen Frauen haben sich nach dem Weggang aus Europa dort kennengelernt. Im Film gehen sie gemeinsam shoppen, checken Cafés und stecken ständig ihre Köpfe wie Teenager zusammen – obwohl sie beide auch sehr unterschiedlich sind. Allmählich tritt auch ihre teilweise sehr schmerzvolle Vergangenheit zutage und dennoch ist der Film auch eine kleine Ode an die Lebensfreude oder wie die eine Rodica, die eigentlich furchtbare Angst vor dem Sterben hat, einmal sagt: Wenn es ein Leben nach dem Tod gibt, so werde ich es leben! Kurz nach den Dreharbeiten ist diese rüstige Frau tatsächlich gestorben.