Foto: Malin Schulz

Ihr erstes Album beschreibt Frau Kraushaar als crazy Dada-Hörspiel-Platte. Mit deren nervigen Ohrwürmern hat sie sich im Frühjahr 2009 in die Herzen aller DIY-Fans gesungen. Jetzt veröffentlich die Hamburger Künstlerin ihr zweites Album und Herzprojekt auf dem „Die Sterne“-Label Materie und präsentiert uns damit Hits und eine Neuordnung von Folklore. Wir haben uns mit ihr über das neue Album „The Power Of Appropriation“ unterhalten.

Missy: Frau Kraushaar, du hast vor kurzem deine neue Platte veröffentlicht, die sich thematisch mit Aneignung beschäftigt. Was ist das eigentlich?

Frau Kraushaar: Aneignung ist sich etwas zu Eigen machen, besitzen oder erlernen. Das Aneignen von Musik ist ein Prozess, der Musik umformuliert und uminterpretiert und bis ins Politische reicht. Es sind, vereinfacht ausgedrückt, Coverversionen von älteren Liedern mit ein paar theoretischen Drehs mehr. Damit beschäftige ich mich schon seit meinem Kunststudium an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, seit rund sechs Jahren. Pop Art, der Diskurs von Stefan Römer und die konzeptionelle Appropriation-Art der 1970er Jahre waren wichtige Einflüsse für mich.

Dein Album heißt „The Power Of Appropriation“, wobei man „Power“ mit Macht oder Kraft übersetzen kann. Welche Bedeutung hat das Wort „Power“ für dich?

Ich würde mich semantisch eher für die Kraft, die Energie der Aneignung entscheiden.

Wenn man sich mit poststrukturalistischen Theorien auseinandersetzt, ist das Machtvolle an Aneignungsprozessen ein wichtiger Faktor. Zum einen als subversive Strategie sich ein Schimpfwort anzueignen, als auch beispielsweise als rassistische Handlung (http://riotgrrrlberlin.tumblr.com/post/21153082319/inappropri8-thenightiswonderful-rosierr). Wie reflektierst du das in deinem Aneignungsprozess?

Ich würde da musikalische Aneignung gerne von anderen Aneignungsprozessen wie sie sich zum Beispiel in der Gentrifizierungsdebatte finden, trennen. Das ist eine andere Form von Inbesitznahme. Zum einen handelt es sich bei Musik ja um Kunst, die mit ihrer Veröffentlichung in einen gesellschaftlichen Dialog eintritt – als Künstlerin möchte ich andere Personen beeinflussen und einen Prozess in Gang setzen. Zum anderen, sind die Urheber_innen der Stücke im Booklet genannt und die Stücke unter deren Namen bei der GEMA registriert, d.h. die Gelder gehen nicht an mich sondern die Urheber_innen. Deswegen sehe ich meine Aneignungen auch als Fortsetzungen, als Hommage an die ursprünglichen Stücke.

Wie verändern sich die Lieder durch den ‚kraus‘schen Filter‘?

Durch meine Aneignung verändern sich die Faktoren Raum, Zeit, Interpret_in, Publikum und auch der Kontext in dem das Lied gehört wird. Steht Frau Kraushaar im Golden Pudel Klub und singt die Lieder spät nachts oder steht 1963 eine 10 Köpfige Millitärband in einem Fernsehstudio in Tel Aviv? Das ist natürlich ein Unterschied. Dadurch verändert sich aber nicht nur die Hörsituation, sondern auch die Bedeutung der Lieder.

Das erste Video zur neuen Platte: Frau Kraushaar & Herr Kratzer: Istanbul Konstantinople

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Das ist ein sehr spannender Prozess. Du hast dich für die neue Platte thematisch jedoch nicht nur mit Aneignung, sondern auch mit einer bestimmten Art von Musik auseinander gesetzt. Was hast du über ‚Volksmusik‘ herausgefunden?

Volksmusik behandelt für viele Menschen relevante Themen wie Liebe, Trauer, Tod, Sehnsucht und liefert dazu Einblick in die sozio-kulturelle Herkunft des Liedes. Die Songs der Platte aber unter einem Genre zusammenfassen ist schwierig, dazu sind sie zu unterschiedlich und eklektizistisch ausgewählt. Aber ich war durchaus auf der Suche nach der Struktur eines erfolgreichen Popsongs. Ich interessiere mich zum Beispiel sehr für die Popmusik der 1960er Jahre, bei der man zum Teil richtig tolle Kompositionen und Instrumentierungen finden kann, aber oft auch krasse Stereotype: die Frau im unschuldigen Kleid, die Wilden, die Bösen, die Sauberen. Diese Aspekte eines Popsongs, finden sich aber nicht nur in den europäischen oder westlichen Hits, sondern genauso in hebräischer Klezmermusik aus Tel Aviv, wie bei „Shomer Ha Chomot“. Es hat mich begeistert, diesen klassischen Gestus des Pop der bis zu sexy Fernsehauftritten geht, auch bei einer israelischen Militärkapelle zu finden.

Du singst auf dem Album in acht unterschiedlichen Sprachen. Sprichst du die alle?

Nein, das nicht. Um die Texte zu verstehen, habe ich sie mir von Freunden und Bekannten übersetzten lassen, so dass ich wusste, um was es inhaltlich geht. Sie haben mir auch geholfen, die richtige Aussprache zu treffen. Die ist zwar nicht perfekt geworden, aber das ist gut so, man darf den Aneignungsprozess ruhig hören. Ich habe mir die Lieder also phonetisch angeeignet, wie das in der Popmusik der 1960er Jahre Gang und Gebe war. Dalida, Mina und France Gall sind dafür berühmte Vorbilder. Das waren europäische Stars, die zwar kein Deutsch konnten, es aber phonetisch reproduzierten. So sind erfolgreiche Lieder in unterschiedlichen Übersetzungen durch die Charts von Land zu Land gewandert.

 

Mina – Heißer Sand auf Französisch

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Aber nicht nur auf deiner Platte, sondern auch bei deren Beschreibung spielt Sprache eine wichtige Rolle. Schnell landete ich bei Begriffen wie ‚Weltmusik‘ und ‚Volksmusik‘. Wie stehst du zu solchen Begrifflichkeiten?

Das sind schon so Aua-Begriffe. Besonders bei ‚Weltmusik‘ denkt man wohl an einen einbeinigen Migranten aus einem fernen Land mit einer fremden Religion, der ganz ungewohnte Musik macht. Aber ich finde es schon wichtig sich wieder zu fragen, was Volksmusik und Folklore eigentlich sind. Da sind wir doch bei einer wichtigen Debatte, die dringend neue und offenere Gedanken nötig hat.

In den Liedern finden sich zahlreiche Filmreferenzen. Darunter die Filme von Wong Kar-Wai, der „Perfidia“ gleich mehrmals verwendet hat.

Wong Kar-Wai zählt mit zu meinen Lieblingsfilmemachern, der perfekt elegante Filme mit perfekt eleganter Musik kombiniert. Aber eigentlich habe ich nicht bewusst Filmmusik ausgewählt.

Mon Amour Mon Ami“ soll also nicht auf den Soundtrack von „8 Frauen“ verweisen?

Für mich persönlich nicht. Den Film habe ich gar nicht gesehen. Ich kannte die Sängerin, Marie Laforêt, aus der Plattensammlung meiner Mutter und mochte das Lied schon als Kind. Mit diesem Titel hat Marie Laforêt ein sehr schönes Chanson gemacht, den ich stellvertretend für die klassische Liedform des Chanson ausgewählt habe.

War der Arbeitsprozess im Gegensatz zum ersten Album, für das du Texte und Musik selbst geschrieben hast, grundsätzlich anders?

Eigentlich gar nicht. Ob ich mich jetzt intensiv mit meinen eigenen Aufzeichnungen und Kompositionen beschäftige oder mit denen anderer, war für mich kein großer Unterschied. Ich habe einfach immer mehr Informationen und Gedanken zu den Stücken zusammen getragen und je mehr ich gesammelt hatte, desto mehr wurden die Lieder auch zu meinen Eigenen.

Wie lange hat der Aufnahmeprozess gedauert?

Über ein Jahr. Jedes Lied war wie ein kleiner Lebensabschnitt. Für ungefähr einen Monat gab es nur dieses eine Lied, diese eine Sprache, dieses eine Land, diese eine Idee. Solange, bis es perfekt war.

Go see the faboulus Liveshow here:

14.6. Würzburg Kellerperle

15.6. Nürnberg Hemdendienst

18.6. Zürich, Schweiz Boschbar

20.6 Biel, Schweiz – Biotop

27.6. Hamburg – Golden Pudel Klub

Die neue Platte von Frau Kraushaar, The Power Of Appropriation, erschien am  25.05.2012 bei Materie Records und Rough Trade.