Im Forum feierte gestern abend „727 Tage ohne Karamo“ von  der Österreicherin Anja Salomonowitz seine Weltpremiere….

Der poetisch-politische Dokumentarfilm  „Die 727 Tage ohne Karamo“ gibt dem kafkaesken Fremdenrecht und der unmenschlischen (in diesem Fall österreichischen) Abschiebepraxis Gesichter – Gesichter von sogenannten binationalen Paaren, die die Liebe ihres Lebens getroffen haben und deshalb mit dem Gesetz in Konflikt geraten.

Karamo ist der Name eines Mannes aus einem sogenannte Drittstaatland, der vor bald zwei Jahren aus Österreich abgeschoben wurde, seine tieftraurige Frau Susanne blieb allein mit den drei Kindern zurück. Ihre gemeinsame Tochter sehnt sich danach „mal wieder ihren Vater zu umarmen“.

Wie Teile eines Puzzles fügen sich die Erfahrungen diverser binationaler Paare, die in stets in Gelbtönen gehaltenem Ambiente in Szene gesetzt werden, in Salomonowitz‘ Film zu einem großen Ganzen zusammen. Das Gelb soll für ihren Lebensmut und Kampfgeist stehen und bewahrt den Zuschauer davor, Mitleid mit den sympathischen ProtagonistInnen zu haben – stattdessen regt sich bei den ZuschauerInnen ebenfalls politische Wut und Mitgefühl auf Augenhöhe.


So nehmen wir Anteil an dem Schicksal der nicht mehr ganz jungen Frau, die in ihrer einsamen Wohnung mit dem Papier um die Rückkehr ihres geliebten Partners kämpft: Sie musste ihren Liebsten, der ihr die Welt bedeutet, ihr Halt und Zuversicht gibt, ins Flugzeug, dass ihn vielleicht für immer von ihr fortbrachte, setzen.

Eine andere Österreicherin mit marokkanischem Geliebten bekommt einen wohldurchdachten Brief ihres Vaters, warum er ihr ein letztes Mal von einer Beziehung mit einem ausländischen Partner abrät und auch an ihrer etwaigen Hochzeit nicht teilnehmen würde. Seine väterliches Fazit: „Multikulti funktioniert nur bei Parties und Musik.“

Die von außen brutal gesetzten Grenzen ihrer Liebe bekommen auch häufig binationale Paare zu spüren, die am schönsten Tag ihres Lebens das Standesamt betreten: Mit Blumen im Haar darf die Braut der recht üblichen Abschiebepraxis Zeuge werden, den Partner kurz vor der Hochzeit auf dem Standesamt abzuführen – denn dort hat er natürlich alle nötigen Papiere dabei…

Doch auch wenn all die bürokratischen Hürden bis zur unvermeidlichen Heirat geschafft sind, steht den entwürdigten Paaren kein ungetrübter Honeymoon bevor:  Für den jeweils befristeten Aufenthaltstitel müssen die Liebenden Jahr für Jahr ein bestimmtes Einkommen vorweisen, weshalb beispielsweise die Mutter mit vier Kindern, die als Textilrestauratorin arbeitet, mindestens 50 Stunden die Woche arbeiten müsste, da ihr Mann keine Arbeitserlaubnis hat….

Zudem muss der ausländische Partner ständig Deutschkurse absolvieren und die Prüfungen in einem enggefaßten Zeitraum bestehen. Außerdem behält sich die Fremdenpolizei vor, jederzeit unangemeldet bei verheirateten Paaren zu erscheinen, um zu überprüfen, ob es sich nicht doch um eine Scheinehe handelt. Der Wäscheständer wird genaustens untersucht, die gemeinsame Küche durchforstet und verletztende Fragen müssen beantwortet werden. Als eine an Esprit kaum zu übertreffende Ehefrau süffisant gefragt wurde, wo sich ihr Mann denn aufhielte, antwortete sie spitz: Wo könnte wohl jemand um elf Uhr morgens sein, der von Beruf Koch ist? Damit handelt sie sich natürlich eine Vorladung ein….

Und die Mühlen der Behörden mahlen natürlich auch gerne mal langsam, mit seinem frühzeitig neu beantragten und mittlerweile abgelaufenen Aufenthaltstitel darf der junge Modedesigner aus Bogota nicht reisen, was für seine Karriere alles andere als förderlich ist, denn „Vienna is not a fashion city“….

Auch eine Mongolesin klagt darüber, was für lange Tage mit stark eingeschränkten Rechten sie überstehen muss, während sie auf die behördliche Entscheidung wartet.

Verbunden von Geräusch-Collagen, Musik und der vorherrschenden Farbe Gelb wachsen sich allmählich die von der Regisseurin eingefangenen Stimmen zu einer Einzigen aus und frau ist berührt von der gewaltigen Kraft der Liebe mit denen es viele der Paare schaffen, dennoch zusammenzubleiben – wenn auch häufig nicht an einem Ort.

Filmemacherin Anja Salmonowitz (Jahrgang 76), erhielt u.a. bereits 2007 auf der Berlinale den „Caligari Filmpreis“ des Internationale Forums des Jungen Films für ihren Film „Kurz davor ist es passiert“ – in dem es um Frauenhandel und Zwangsprostitution geht.

Mit dem wiederum im Forum präsentierten Film „727 Tage ohne Karamo“erschuf die hochtalentierte Regisseurin ein eindringliches Plädoyer gegen das unmenschliche Ausländerrecht. Ein ausgeklügelter Film von großer Kraft und Schönheit.