„Heartstrings and Hamstrings“ ist das fünfte Album des in New York lebenden Spoken Word und Homo Hop Künstlers Harvey Katz aka Athens Boys Choir. Über die neue Platte, den Einfluss der Saturn-Wiederkehr, Pfeiffersches Drüsenfieber, Knutschen mit Unbekannten und mehr hat Atlanta Athens mit ihm gesprochen.

Atlanta Athens: An Deinem neuen Album „Heartstrings and Hamstrings“ hast Du mehrere Jahre lang gearbeitet. Was für eine Platte ist es geworden? Harvey Katz: Die meisten Stücke sind Spoken Word mit Musik unterlegt, dazu gibt es ein paar Geschichten und ein bisschen Homo Hop als Gegengewicht zur Poesie. Das Album spiegelt zum Teil meine eigene Entwicklung über die letzten Jahre wieder. Die Texte darauf sind persönlicher denn je.

Schon vor dem Erscheinen des Albums hattest Du angekündigt, dass es darauf um deinen persönlichen „Saturn Return“ gehen würde. Nach astrologischer Auffassung ist das ein Ereignis, das etwa alle 28 bis 30 Jahre im Leben eines Menschen eintritt. Dann stürzen oft viele Dinge in sich zusammen und die Weichen für den nächsten Lebensabschnitt werden neu gestellt. Wie war das? Saturn war einfach nur mies zu mir. Mein Saturn Return fiel in das Sternzeichen Jungfrau.

Das heißt? Es ging vor allem um Gesundheit und um Kommunikation. Erst habe ich mir beide Hände gebrochen, danach hatte ich eine Schulter-OP, dann war ich ein ganzes Jahr lang krank. Zum Ende hin zog ich von Georgia nach Brooklyn, New York, habe noch einmal das Herz gebrochen bekommen und lernte schließlich neue Wege, um meine Bedürfnisse und Wünsche zu kommunizieren. Im Großen und Ganzen hat Saturn seinen Job erledigt. Du sollst daraus Lehren für Dein weiteres Leben ziehen und ja, das habe ich!

Wie hat sich das auf Deine Arbeit ausgewirkt? Ich erinnere mich bei jedem Stück daran, wo ich war, als ich es geschrieben habe. Ich schreibe oft, wenn ich unterwegs bin. Daher verbinde ich jedes Stück mit entweder einer Stadt, einem Highway oder einer Jahreszeit. In den letzten Jahren hatte ich viel mit Depressionen zu kämpfen aber das Album ist weniger traurig als alle davor. Jedes Stück hat mir soviel Freude bereitet und ich hoffe, dass die beim Zuhören durchkommt.

In einem der Stücke auf der Platte,  „Saturn’s Back“, geht es um Deine Identität als Transmann. Du verknüpfst darin die Saturn-Wiederkehr mit dem Prozess, der Dich zu der Person gemacht hast, die Du heute bist. Kannst Du uns mehr von der Idee hinter dem Stück erzählen? Ich habe es früher gehasst, transgender zu sein. Es war ein steiniger Weg dahin, wo ich heute bin – mich so zu akzeptieren wie ich bin und mich selber zu mögen. Ich habe den Druck von außen gespürt, „normal“ sein zu müssen, bis ich verstanden habe, dass die natürlichste Art zu sein bedeutet, sich zu verändern. Während meines Saturn Returns habe ich in mir eine Art Stolz auf die Person entwickelt, die ich bin. Ich verstand auch, dass die Probleme, die ich mit meiner Identität hatte, nicht aus einem internen Dialog rührten, sondern aus einem mit der Außenwelt. Ich habe die Stärke erkannt, die es für mich gebraucht hat, der Mann zu werden, der ich heute bin und habe auch gelernt, diese Stärke zu würdigen. Und wahrscheinlich – hoffentlich – werde ich in zehn Jahren nicht dieselbe Person sein, die ich heute bin.

In „When I was 14 I was Closer to Fine“ sagst Du „It hurts my heart when people get too cool for their own histories“, also etwa „Mir tut es im Herzen weh, wenn Leute zu cool für ihre eigene Geschichten werden.“ Was genau meinst Du damit? Ich habe selber lange Zeit versucht, jemand zu sein, der ich nicht bin, vielleicht sogar den größten Teil meines Lebens. Bis vor ein paar Jahren zumindest. Mit Blick auf queere communities habe ich das Gefühl, dass sich dort viele Leute für Sachen schämen, die sie früher toll fanden, besonders in Bezug auf ihre popkulturelle Vergangenheit. Ich war nicht cool und es ist mir auch egal. Wahrscheinlich werde ich nie cool sein. Meine queere Geschichte ist zugleich Klischee und wunderschön und sie hat mir ein ums andere Mal das Leben gerettet.

Auf dem Album ist mit „Jumping on Ophrah’s Couch“ auch ein sehr süßes, aber auch ein bisschen verzweifeltes Liebesgedicht. Hast Du die Person, um die es darin geht, das Stück mal hören lassen? Die Person, für die ich das Stück geschrieben habe, hat, soweit ich weiß, das Stück nie gehört. Das passt zu meinem unglaublich passiv-aggressiven Flirtstil, der – surprise, surprise! – nicht sehr gut funktioniert.

Das verstehe ich sehr gut. Lass uns lieber zu einem anderen Thema kommen: Wie ist die Musik für dieses Album entstanden? Ich habe die gesamte Musik selber komponiert. Zunächst hatte ich mit jemand anders zusammen an der Platte gearbeitet. Die Person hat dann aber leider mein Geld genommen und sich selbst einen „verlängerten Urlaub“ gegönnt. Daher musste ich alles noch mal neu machen. Am Ende hat es sich aber doch als Segen erwiesen. Ich hatte vergessen, wie wirklich gerne ich Musik schreibe.

Oh nein, das hört sich ja schrecklich an. Du hast mir auch erzählt, dass Du ein Jahr lang Pfeiffersches Drüsenfieber hattest, nachdem Du Dich mit einem Kuss angesteckt hattest… Die Krankheit war sehr erschöpfend. Alles fühlt sich so unüberwindlich an. Ich war völlig leer. Meine Karriere und dieses Album haben definitiv eine Weile lang darunter gelitten, aber jetzt bin ich zurück und fühle mich stärker als je zuvor. Ich habe eine leichte Phobie vor Bazillen entwickelt aber bin gleichzeitig glücklich, sagen zu können, dass ich nicht mehr so große Angst habe wie früher, mit fremden Leuten zu knutschen.

Das wiederum klingt doch gar nicht so schlecht… Vielen Dank für das Interview! 

Das Album „Heartstrings and Hamstrings“ erschien am 22. Januar bei Crunks Not Dead Records. Anhören und Runterladen könnt ihr die Songs hier.

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