Wie so viele mediale Ereignisse läuft auch die Sexismusdebatte in Gefahr, zum Strohfeuer zu werden, boulevardesker Zündstoff, der doch nie genug Hitze generiert, um des Pudels Kern zum Schmelzen zu bringen.
Statt sich mit der basalen Schieflage eines gesellschaftlichen Fundaments zu befassen, das Sexismus zur Tagesordnung werden lässt, wird reißerisch berichtet, über Lustfeindlichkeit sinniert und eifrig weiter distanziert. Eine beliebte Abwehrreaktion mündet häufig in der Frage, ob denn nicht auch Männer Opfer von Sexismus sein können. Na klar, denkt sich so mancher und packt auch schon gleich aus: Von der penetranten Ische im Club, die einem zu nah auf die Pelle gerückt ist. Von der Chefin, die so süffisant grinst und einen aus Prinzip nicht leiden kann. Von den unerreichbaren Waschbrettbäuchen in den Männermagazinen.

Solche und andere Situationen werden sicherlich als äußerst unangenehm empfunden. Und tatsächlich beziehen auch sie sich auf das Geschlecht der betroffenen Person, sind unfair und voller Stereotype. Sexistisch, so sind sich viele feministische Theoretikerinnen einig, sind sie allerdings nicht. Denn laut dieser Definition findet ein sexistischer Akt nicht im luftleeren, neutralen Raum statt. Er kann als solcher erst identifiziert werden, sobald er ein gesellschaftliches Bezugssystem anspielt, das diese Handlung nicht nur legitimiert, sondern sich durch diese Legitimation auch die eigene Vormachtstellung sichert.

Das Ideal einer egalitären Gesellschaft ist noch lange nicht erreicht und das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern wirkt sich trotz haufenweise Schulabbrechern, Berufssöhnen und allgemeiner Männeridentifkationskrise immer noch recht großzügig zugunsten der Herren der Schöpfung aus. Daran haben ein schlappes Jahrhundert Frauenwahlrecht und eine paar Jahrzehnte wissenschaftlicher Diskurs leider auch nicht viel ändern können. Dass es in der heutigen Diskussion tatsächlich Stimmen gibt, welche die Sexismus-Debatte als heimliche puritanische Verschwörung gegen das letzte bisschen Jux und Tollerei interpretieren (denkt an die Raucher!), muss fast als mutwilliger Versuch gelesen werden, die Diskussion auf einen Nebenkriegsschauplatz zu verlagern und das eigentliche Problem feuchtfröhlich zu umschiffen. Denn Sexismus hat fast gar nichts mit linkischen Flirtversuchen, aber umso mehr mit unhinterfragten Machtpositionen zu tun, mit institutionalisierter Unterdrückung und mit Privilegien, die nicht aufgegeben werden wollen.

Das Problem an einer aufgeregten Berichterstattung ist nicht nur die Tendenz, Sexismus mit Sex gleichzusetzen, sondern der Reflex, diese Formen von Sexismus von sich zu weisen, sich davon zu distanzieren oder sich gar zu Unrecht beschuldigt und in Sippenhaft genommen zu fühlen. Blöde Sprüche, Betatschen oder Vergewaltigen, das machen die anderen, oder vielleicht sogar die ganz anderen, die aus den fremden Kulturkreisen.

Eine ähnliche Dynamik lässt sich in dem Versuch ablesen, Sexismus-Vorfälle mit Gegenbeispielen zu kontern. Selbst wenn alle Situationen, in denen Männer diskriminiert oder zum (sexualisierten) Objekt gemacht werden, aus der überwältigenden Masse an Gegenbeispielen herausgepickt und aufgeführt werden würden, das eigentliche Problem bliebe davon ohnehin unberührt. Gewalt wird nicht besser, nur weil sie manchmal irgendwie auch andere betrifft und Gleichberechtigung bedeutet nicht, dass alle die gleichen beschissenen Erfahrungen machen müssen.

Stellen wir uns eine Situation vor, in der ein alleinerziehender Vater an einem Spielplatz von anderen Müttern belächelt und bevormundet wird. Obwohl dem Mann hier Deutungshoheit und Selbstbestimmung abgesprochen wird, handelt es sich dennoch nicht um Sexismus, sondern um ein geschlechtsspezifisches Vorurteil. Was fehlt, ist die soziale Macht, das Ungleichgewicht, das zementiert wird. Die Diskriminierung findet hier in einem weiblich konnotierten Raum statt, in der Frauen eine zahnlose Macht besitzen. Achtbar vielleicht, aber ohne gesamtgesellschaftliche Auswirkungen. Eine diskursmächtige Mütterlobby hat dieses Land noch nicht gesehen, anders lassen sich Kitaplatzmangel und Elterngelddesaster kaum erklären.

Den Geschlechtern werden gesellschaftlich nicht nur verschiedene Eigenschaften und Rollen zugeschrieben, sondern auch unterschiedliche Machtpositionen eingeräumt. Das hat meist nicht viel mit offener Frauenfeindlichkeit zu tun, sondern mit latenten Vorstellungen, Gewohnheit und Tradition. Wenn es eben nicht so viele Maschinenbauerinnen, Firmenchefinnen und Regisseurinnen gibt, glaubt die Volksseele nun einmal irgendwann, dass Frauen das nicht so gut können mit dem Entwerfen, Leiten und Filme machen und dafür eben natürlich und gottgegeben besser sind im Pflegen, Kommunizieren und Dekorieren. Das sind eben Klischees, könnte man jetzt sagen, Stereotype, unter denen Männer, die gerne Innenarchitekt werden wollen, ebenso zu leiden haben wie Frauen, die gerne als Ingenieurin arbeiten möchten. Dadurch wird aber leicht übersehen, dass erstere Berufsgruppe eine unweit mächtigere und sozial angesehenere Position einnimmt. Solange „typisch weibliche“ Berufe wie Sozialpädagogin, Altenpflegerin oder Hebamme im Vergleich zu männlich konnotierten, prestigeträchtigen und einflussreichen Berufen lächerlich gering vergütet, oder, wie Hausarbeit und Kindererziehung überhaupt nicht als Arbeit gewürdigt werden, solange ist Sexismus keine Spaß- sondern essentielle Streitfrage.

Das soll aber nicht heißen, dass Männer nicht auch unter dem institutionalisierten Sexismus gegen Frauen leiden können. Denn tatsächlich gibt es in einem autoritären System, in unserem Fall ein Patriarchat, eigentlich keine echten Gewinner. Wer möchte schon ein chauvinistischer Unterdrücker sein? Und auch als augenscheinlich passiver Nutznießer, dessen Privilegien dennoch aus der patriarchalischen Unterdrückung von Frauen und „unmännlichen“  Gruppen erwachsen, muss sich Mann einem rigiden und hart umkämpften Männerbild verschreiben. Innerhalb dieses Rahmens gibt es nicht viel Spielraum, ständig muss beinharte Männlichkeit bewiesen werden. Wehe dem Mann, der sich durch weibisches Verhalten ans Ende der Hackordnung befördert! Das Schimpfwort „Schwuchtel“ ist heutzutage schneller ausgeteilt als ein Jugendlicher „Rambo“ sagen kann. Da haben es umgekehrt viele Frauen, die männliche Eigenschaften oder Verhaltensweisen an den Tag legen oder einen „typisch männlichen“ Beruf ergreifen, sogar leichter. Zwar ist der Weg steinig und mit den Scherben so mancher Glasdecke gesät,  zwar riskieren diese Frauen als derogative „Lesbe“, „Schlampe“ oder „Karrierefrau“ abgestempelt zu werden. Am Ende jedoch wiegen die ökonomischen und persönlichen Vorteile, die aus einem selbstbestimmten Leben erwachsen, den Aufwand locker auf. Anders verhält es sich da bei Männern, die Gendergrenzen verwischen oder gar einen „typisch weiblichen“ Beruf ergreifen wollen. Neben der sozialen Scham, der sich so ein Mann aussetzt, wird er höchstwahrscheinlich auch kaum gesellschaftlichen Erfolg haben und denkbar schlecht entlohnt werden.

Ein unterbezahlter, von Alphamännern belächelter Erzieher wird also auch aufgrund seiner Geschlechterrolle diskriminiert, jedoch nicht weil er zu männlich ist, sondern weil er zu weiblich ist. Die gesellschaftliche Grundannahme, die diese Diskriminierung möglich macht, ist nun mal die Abwertung der Weiblichen zugunsten einer Aufwertung des Männlichen. Die Einschränkungen und Vorurteile, denen dieser Mann sich ausgesetzt fühlt, sind zwar real und betreffen ihn auch persönlich, sie sind aber nicht ihm gegenüber sexistisch, sondern immer noch gegen weibliche Geschlechterrollen gerichtet.

Der Feminismus wünscht sich natürlich keine reine Umkehr des Machtverhältnisses. Sein Ziel ist nicht erreicht, wenn auch Männer endlich Opfer sind. Es geht vielmehr um eine gesamtgesellschaftliche Emanzipation, darum, dass jedwede Unterordnung und Dominanz in unserer Gesellschaft keinen Platz haben sollte. Tatsächlich kann dies aber nur geschehen, wenn ungleiche Machtverhältnisse offengelegt und privilegierte Positionen hinterfragt werden. Und auch wenn ein westlicher, weißer Mann der Mittelschicht so einiges auf seinem Privilegienkonto angesammelt hat, betrifft das so gut wie alle Menschen in irgendeiner Form. Da können Feministinnen sich über Transmenschen stellen oder Eltern den Sohnemann lieber auf eine Migranten-freie Schule stecken oder ignorante Touristengruppen im verarmten Urlaubsland spottbillig Luxusurlaub machen. Alle genießen gesellschaftliche Privilegien, die anderen vorenthalten werden. Diese Realisation, dass der eigene Vorteil womöglich zulasten anderer entsteht, wird in vielen Fällen unangenehm sein, denn kaum jemand fasst sich gern an die eigene eingebildete Nase. Zu begreifen dass wir, bewusst oder unbewusst, von einem ungerechten System profitieren, ist vielleicht schmerzlich oder beschämend, aber es nun mal auch der wichtigste Schritt in Richtung einer, genau, besseren Welt.