Heute stehen wieder die Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit ins Haus. Bei den Erzählungen über die BürgerInnenbewegung der DDR werden die feministischen Frauen zumeist vergessen. Dabei haben sie überall ihre Spuren hinterlassen. Zu Besuch im Frauenzentrum EWA in Berlin.

Foto: EWA

Die wandhohen Bücherregale sind von oben bis unten voll gepackt. Auf der linken Seite stehen Titel darin wie: „Naturheilkunde von A-Z“, „Die Frau und Russland“, „Das geheime Wissen der Frauen“. Auf der rechten Seite: „Meine Mutter Marlene“, eine Biografie von Ulrike Meinhof und „Der kleine Unterschied“. Am Ende eines Regalbodens liegt ein altes Brillenetui aus braunem Leder mit einer genauso alten Brille darin. Das Wissen einer vergangenen Zeit liegt zwischen den Büchern in dem etwa 20 Quadratmeter großen Bibliotheksraum in der ersten Etage des EWA e.V. in Berlin. In der Mitte der wandhohen Regale steht ein kleiner schwarzer Tisch vor dem Fenster, das von außen vollkommen von Efeu umrankt ist. Obwohl draußen der Berufsverkehr der Prenzlauer Allee vorbei zieht, bleibt es ruhig hier drin.

EWA, das ist ein Ort, der schon etwas in die Jahre gekommen ist. Der Name will nur auf den zweiten Blick an die christliche Schöpfungsgeschichte erinnern. Zuallererst heißt EWA „Erster Weiblicher Aufbruch“ und ist ein „Wendekind“, wie es in der Broschüre des Frauenzentrums heißt. Am 03. Dezember 1989 gründet sich der Unabhängige Frauenverband in der Berliner Volksbühne. Ein großer Tag für die gerade aufkeimende Frauenbewegung in der DDR. Einer der Beschlüsse an diesem Abend: Es soll ein Zentrum geschaffen werden, an dem es Platz für Kultur und ein Gedächtnis frauenbewegter Geschichte gibt, an dem all die Bücher zugänglich sind, an die vorher nur schwer ranzukommen war.

„Der Grundstock für die Bibliothek ist schon zu DDR-Zeiten privat zusammen getragen und hier dann öffentlich gemacht worden, damit alle Frauen die Möglichkeit haben, an die Literatur zu kommen.“ Barbara Hömberg ist die Projektleiterin des EWA e.V. und schon seit über 20 Jahren dabei. Ihr Büro liegt eine Etage tiefer, im Erdgeschoss des Hauses, hinter dem Café des Frauenzentrums, in dem sie gerade sitzt. Die 46-Jährige hat mittellange, lockige Haare, irgendwo zwischen Braun und Rot. An Hals, Ohren und Handgelenk trägt sie dezenten Silberschmuck. Wenn sie von ihrem Frauenzentrum spricht, dann klingt das, als würde sie Geschichten aus einer ziemlich engen und langen Freundschaft erzählen.

Hömberg kam als Praktikantin zu EWA: „Ich hatte Politikwissenschaften studiert und musste da ein Pflichtpraktikum absolvieren. Meine Schwerpunkte waren innerdeutsche Beziehungen und Frauenthemen – also stieß ich beim ersten Ost-West-Frauenkongress 1990 auf den UFV.“ Nicht gerade der beste Ort, um sich als Westfrau zu outen und auf Kontaktsuche unter Ost-Aktivistinnen zu gehen: „Manche West-Feministinnen sind da dermaßen arrogant aufgetreten, dass ich nur dachte: Wo ist das Loch, in dem ich verschwinden kann? Bloß nicht sagen, wo du herkommst!“

Schon da wandelten sich die Zeiten. Aus einem freudigen Aufbruch und gegenseitigem Kennenlernen, entstanden mit der näher rückenden Wiedervereinigung und dem Fehlen einer weiblichen Stimme darin, gegenseitige Skepsis und die private Suche nach Sicherheit. „Es stimmte ja nichts mehr! Da haben die Frauen, die das EWA gegründet hatten, sofort reagiert und angefangen, Beratungen anzubieten.“ Die Schmuckwerkstatt gab es im Haus zwar auch, aber voll seien vor allem die Beratungsangebote für das neue Scheidungs- und Arbeitsrecht gewesen. „Und die Selbstverteidigungskurse waren immer voll!“

Auch jetzt turnt gerade im Keller eine Gruppe rüstiger Seniorinnen. Ganz so alt seien die Besucherinnen des Hauses im Durchschnitt nicht, aber doch eher um die 40, 50. Ab und an hätten sie Praktikantinnen da, die wüssten, was die jungen Leute interessiert und dann selbst etwas auf die Beine stellen. Oder etwa eine junge Autorin wie die Berlinerin Tania Witte für eine Lesung vorschlagen.

Und manchmal schlagen dann wiederum die Künstlerinnen, die für einen Abend bei EWA eingeladen sind, eine neue Veranstaltungsreihe vor: Tania Witte will ab diesem Herbst ein- oder zweimal im Monat einen Spoken Word-Abend organisieren, auf den Barbara Hömberg schon ganz gespannt ist. „Wir sind offen für alle möglichen neuen Ideen und bieten sehr gerne unsere Räume an!“ Die Lesung mit Witte fand erst kürzlich im Rahmen der Reihe „Lesbisches Leben in Berlin“ im EWA statt, deren letzter Programmpunkt heute der Abend „Lesbische Musikerinnen in Berlin“ ist.

Wenige Frauen sind gekommen. Draußen ist es noch hell, das Fenster zur Straße, vor dem die kleine Bühne steht, haben die Frauen mit einem roten Samttuch abgehangen. Die Wände wurden vor vielen Jahren einmal gestrichen. Gerade hängen Ölbilder der Berliner Künstlerin Alexia Carr an der Wand. Sehr viele große, bunte Bilder sind das, die sich mit dem kleinen Raum in hellem Eigelb beißen. Auf einem Bild liegt eine nackte Frau auf einem Tiger. An der Bar liegt eine Liste aus, in der sich die Frauen mit Namen für die Heinrich-Böll-Stiftung eintragen sollen, die den Abend finanziell unterstützt. Auch um Angabe des Alters wird gebeten und woher man von der Veranstaltung erfahren habe. 60, 34, 55, 60, 27. Über EWA. Über EWA. Übers Internet. Über EWA.

Es ist kurz nach 20 Uhr jetzt, der Abend kann beginnen. Chio Schumacher und Marlen Pelny von der Berliner Band Zuckerklub setzen sich auf die kleine Bühne. Wenn die beiden Musikerinnen erklären, dass beim Motzstraßenfest die Frauenbühne immer kleiner ist, als die Hauptbühne und es für die Frauen auf der kleinen Bühne nur eine Aufwandsentschädigung gibt, für die anderen allerdings eine richtige Gage, dann tönt vereinzelt ein „hmmhmm!“ aus dem Publikum. 15 Frauen sitzen da insgesamt. Alle scheinen sich ein bisschen zu kennen. Nicht alle sind einer Meinung, aber alle diskutieren wohlwollend.

Da ist es wieder, dieses Gefühl, das sich auch schon in der Bibliothek des EWA breit machte: Das hier fühlt sich gar nicht richtig nach der Großstadt Berlin an, die man kennt. Das hier ist eine Welt, in der noch nicht jede ein Smartphone hat, in der nicht ständig alle von einem Termin zum nächsten hetzen. Hier sind wahnsinnig viele Dinge uncool – ohne schon wieder retro und damit doch cool zu sein. Das fühlt sich gut an. Denn das EWA ist auch einer dieser Orte, an die man gerne zurück kehrt, hat man sie einmal entdeckt. Als das Konzert von Zuckerklub vorüber ist, hat sich der Verkehr auf der Prenzlauer Allee beruhigt, die Stadt ist etwas entspannter. Oder zumindest die Einstellung zu ihr.

Die Programmreihe „Lesbisches Leben“ geht im Herbst weiter – u.a. mit einer sehr empfehlendwerten Veranstaltung am 28. Oktober: Subversiv anders – Lesbenbewegung in der DDR.