Von Silvia Follmann

Berlin im Sommer, eine junge Frau und eine Krankheit, vor der man zu lange die Augen verschließen kann, das ist der Nährboden, aus dem das literarische Debüt der Berliner Autorin Nicola Karlsson erwächst. Doch Tessas Sommer war eigentlich schon vorbei, bevor er begann. Der Weg, den sie bis zur letzten Seite des Buches zurücklegt, ist mit unbestimmter Sehnsucht, quälenden Erfahrungen und zu vielen Drogen gepflastert. Die Hauptstadt wird dabei zur austauschbaren Kulisse, denn Karlsson zeigt Sucht nicht als modernes Programm einer hedonistischen Hauptstadt-Jugend, sondern als Flucht aus dem Hier und Jetzt, die weder Alter noch Wohnort kennt. Und doch erzählt der Text auch von einer Generation, die alles haben könnte. Vor lauter Um-sich-selbst-Drehen, aber manchmal einfach umkippt.

Nicola Karlsson

Ihre Wohnung ist so verrümpelt wie ihr Inneres. Dort hält sie es kaum aus. Doch auch draußen warten vor allem Enttäuschungen und immer öfter die alte Säuferin von nebenan. Tessa ekelt sich. Manchmal gibt es auch diese schönen Momente. In einem kühlen, dunklen See irgendwo hinter der polnischen Grenze mit Frieder, das Vertraute mit Nick, alleine tanzend auf dem Dancefloor. Doch der See ist von ihrem Alltag weit weg, Frieder mit einer Anderen verheiratet und eine Affäre, die sich nur auf ihren Unwillen allein zu sein stützt. Auch die Beziehung mit Nick ist ihr schon lange entglitten, er kann weder ihre Eifersucht noch ihre Selbstzerstörung ertragen und alleine zu sein birgt für Tessa weder tanzend noch in einer anderen Situation ein Glücksgefühl. Und nicht mal die verdammte Miete ist bezahlt.

Dann ist da noch Uwe, ein schäbiger Koksdealer, den sie vor allem zu dem Zeitpunkt aufsucht, als sich ihre Abwärtsspirale schon fast durch den Grund gebohrt hat. Mit ihm erlebt sie gemeinsam Abende, an die sie sich später oft nur mit Scham erinnern kann. Glücklicherweise war sie dabei so dicht, dass das auch nicht mehr zählt. Was man nicht mit Sicherheit weiß, ist so auch sicher nicht passiert. Ein System, das für Tessa zunächst aufzugehen scheint. Lügen fällt Tessa leicht, gut kann sie es nicht. Nichts an ihren Geschichten ist wasserdicht und doch gibt es keinen in ihrer Nähe, der sich ernsthaft mit ihrem Zustand auseinandersetzen will oder kann. Nicht einmal sie selbst.

Zwischen Zwielicht und Bürgertum baut sich ein Setting um die Protagonistin auf, das zum Schauplatz einer Krankheit wird, von der Nicola Karlsson unerbittlich und ohne Willen zu einem Ausweg in Form einer Psychologisierung der Geschehnisse erzählt.

Wer in diesem Buch eine Wertung oder eine erklärende Biografie sucht, wird das bis zur letzten Seite vergebens tun. Karlsson zeigt einen Ausschnitt aus einem Leben, das erkrankt ist, erkrankt an sich selbst und an einem Lösungsansatz, der für die Protagonistin zum Treibsand wird. Es ist teilweise peinigend bis nervtötend, Tessa durch diesen Sommer zu begleiten. Warum hört sie nicht auf? Warum schüttelt sie keiner, warum muss sie permanent aus eigener Kraft ins Messer rennen? Aber es gibt kein Darum und keinen heilsversprechenden Ausblick. Die widerliche Säuferin wird es am Ende nicht schaffen. Tessa schon. Zumindest für die nächste Zeit.

Man mag das Buch als einen neuen Berlin Roman oder ein Porträt einer Generation lesen, letztlich ist es aber vor allem ein Blick durch das Schlüsselloch auf das Leben einer jungen Frau, für die es keine Vor- und keine Nachgeschichte gibt. Nur diesen einen Sommer in Berlin.

Nicola Karlsson, Tessa, Graf Verlag, 304 S., 18 Euro.