Im Namen einer Petition gegen die Bildungsplanreform in Baden-Württemberg wird auf der Webplattform openpetition.de über die Kommentarfunktion homophobe Hetze verbreitet. Nele Tabler, Autorin und Bloggerin schreibt gegen die Petition und die Homophobie der KommentatorInnen an. Sie lebt selbst offen lesbisch im ländlichen Nordbaden und weiß einiges zu berichten.

 

Wann hast du die Petition entdeckt? Am 16. Dezember. Aber ich habe sie gar nicht selber entdeckt, sondern bin von einer Lehrerin darauf aufmerksam gemacht worden. Sie hat sich an mich gewandt, weil ich hier im Umkreis von 30 bis 40 km die einzige bekannte Lesbe bin, und das auch nur, weil ein Anzeigenblättchen einen Beitrag zu einem Buch von mir gebracht hat. Seitdem kennt man mich hier.

Wir, Missy, haben auch von einem Schüler Nachricht von der Petition erhalten, der erzählte, dass Eltern in seiner Klasse andere Eltern dazu aufrufen würden, diese Petition zu unterschreiben. Ja, so etwas hat sie auch erzählt. Auch dass die Petition in den Lehrerzimmern herumgereicht wurde und dass schon fast eine Art Gruppenzwang entstand, die Petition zu unterschreiben. Auch auf Elternversammlungen wurden Listen herumgereicht. Eine Mutter hat mir später erzählt, sie hat es unterschrieben, weil sie das Gefühl hatte, wenn sie das nicht tut, schadet sie ihrem Kind. Sie hat sich dann bei mir entschuldigt. Ich wusste gar nicht, wie ich darauf reagieren sollte, ich kann den Menschen ja auch nicht in fünf Minuten Zivilcourage beibringen.

Das eine ist die Petition an sich. Das andere sind aber die trans- und homophoben Kommentare unter der Petition. Waren die Kommentare von Anfang so schlimm oder wurde an einem Punkt auch mal sachlich über die Bildungsplanreform diskutiert?
Die Kommentare waren vom ersten Tag an so schlimm, und ich vermute, das hat Herr Stängle, der Urheber der Petition, auch so beabsichtigt. Ich bezweifle, dass es ihm wirklich um etwas Politisches ging, sonst hätte er einen anderen Weg gewählt. Auf einer Plattform wie openpetition.de eine Petition zu setzen, hat ja keinerlei juristische Konsequenzen. Selbst, wenn da drei Millionen Menschen unterschreiben, passiert in die Richtung gar nicht. Ich denke, er hat genau gewusst, was er da anleiert. Jetzt sind ungefähr 10.000 Kommentare online. Davon ungefähr 5.000, die einen Inhalt mit „pervers“, „pädophil“, „abartig“ etc. haben.

Openpetition.de ist aber doch ein öffentlicher Raum – genau wie die Straße, auf der auch gewisse Regeln gelten. Ich möchte auch nicht, dass jemand auf der Straße angespuckt wird. Genau, und die homophobe Stimmung auf der Plattform wird wieder in die Schulen getragen. Die Plattform ist allen zugänglich, auch den SchülerInnen. Nach Weihnachten sind die SchülerInnen in die Schule gekommen, haben geschaut, ob sie ihre LehrerInnen bei den Unterschriften finden und sich dann die ganzen Kommentare durchgelesen. Seitdem ist hier an den Schulen was los! Eine Sozialarbeiterin hat mir gestern gesagt, dass die Kommentare 20 Jahre Arbeit für Schwule und Lesben im ländlichen Raum zunichte gemacht. Sie muss wieder von vorne anfangen. Im ländlichen Raum gibt es keinerlei AnsprechpartnerInnen, keine Beratungsstellen, die dagegen steuern können, gar nichts. Die SchülerInnen kommen nicht hier weg, weil es keinen öffentlichen Nahverkehr gibt, aber sie kommen ins Internet.

Wer schreibt die Kommentare? Sind das nur ein paar christliche Fundamentalisten von der schwäbischen Alp? Hier in Baden-Württemberg gibt es zwar ein Zentrum von Evangelikalen, aber die Cousine von mir, die die Petition unterschrieben hat, lebt in Essen. Das geht quer durch alle Gruppen und alle Schichten. Trotzdem fordern eben bestimmte religiös motivierte Gruppen zum Unterschreiben auf, z.B. die russisch-orthodoxe Gemeinde oder die eine katholische Mission im Münsterland oder Millî Görüş. Es kommen Gruppen zusammen, die sonst nie ein Wort miteinander wechseln würden. In den Aufrufen ist die Sprache dann auch nicht mehr maßvoll, wie bei der Petition, da steht dann so etwas wie „Schwabens Kinder sollen verschwult werden“. Mein persönlicher Eindruck ist auch der, dass es zum Teil so eine Art Vordruck für die Kommentare gibt, weil die sich sehr ähneln, teilweise sind sie identisch bis hin zum selben Rechtschreibfehler.

Was soll openpetition.de tun? Sie haben nun endlich reagiert. Es sind wohl unabhängig voneinander einige Menschen an die BetreiberInnen der Plattform herangetreten. Die Kommentarfunktion ist seit gestern, 10. Januar, 20:26 Uhr gesperrt, die Kommentare werden nun durchforstet und von da an moderiert, sagen sie. Bisher hatten sich die BetreiberInnen der Plattform darauf berufen, dass sie das eigentlich nichts anginge und man die Debattenfunktion nutzen solle. Gestern Abend haben sie mir dann plötzlich eine Mail geschrieben, dass die Kommentarfunktion deaktiviert wurde. Wir müssen mal sehen, was nun passiert.

Was hältst du von der Gegenpetition, die gestern auf openpetition.de gestartet wurde? Ich bin da ausgeflippt, ich war richtig aggressiv. Ich unterschreibe nichts mehr bei openpetition.de, bis die sich Gedanken darüber gemacht haben, wie sie direkte Demokratie und Minderheitenschutz unter einen Hut bekommen. Es gibt zu dem Thema schon ganz viel Forschung und Lösungsansätze. Wer eine Plattform wie diese startet, muss sich doch auch mit der Forschung dazu auseinandersetzen. Außerdem entsteht nun ein Wettbewerb „Homophobie Ja oder Nein“, wer kriegt die meisten Unterschriften. Ich finde das unmöglich. Aus dem Grund wäre ich auch generell gegen eine Gegenpetition. Vielleicht wäre die jedoch zu einem späteren Zeitpunkt auf einer anderen Plattform in Ordnung gewesen, da hätte ich mich vielleicht noch überzeugen lassen.

Und was machst du?

Ich habe heute mal ein bisschen Pause gemacht. Ich werde jetzt auch anfangen, mich wieder verstärkt um mein anderes Projekt, den „Goldenen Medienpimmel“ zu kümmern.

Liebe Nele, ich danke dir für das Interview und wünsche dir alle Gute.

Weitere Infos zu Nele Tabler und zu openpetition.de auf  www.karnele.de.