„She’s lost control“ ist nicht nur der Titel eines großartigen Songs von Joy Division, sondern auch der eines Films der Regisseurin Anja Marquardt, der im Forum auf der Berlinale läuft. Ronah arbeitet als “sexual surrogate“: Sie therapiert mit ihrem eigenen Körper Männer, die Angst vor Intimität haben – Sex inklusive. Als sie sich in einen ihrer Patienten verliebt, gerät ihr Leben komplett außer Kontrolle.

© SLC Film LLC

Für ein Regiedebüt ist Marquardts Film beeindruckend. In dieser intensiven Charakterstudie wird vieles offen gelassen, nichts tot diskutiert, die Zwischentöne betont. Brooke Bloom liefert als Ronah eine bewegend-zerbrechliche Leistung und wir fühlen mit dieser traurigen Heldin, wenn sie mal wieder in einem anonymen Hotelzimmer auf den nächsten Klienten wartet, in ihrem schäbigen Apartment alles vor die Hunde geht oder sie sich durch New Yorks Häuserschluchten kämpft. Am tragischsten an ihr ist, dass sie Männer therapieren will, aber selbst so einsam ist, dass sie keinen Menschen hat, der mit ihr Abend isst und ihr gerade mal der unpersönliche Kontakt zu ihrer oberflächlichen Nachbarin bleibt. Glücklicherweise verzichtet „She’s lost control“ auf pseudopsychologische Erklärungen, um Ronahs Verhalten zu deuten und vermeidet somit jegliche Klischees. Absolut sehenswert.

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Vulva 3.0

Es beginnt auf einem gynäkologischen Stuhl:  Eine Ärztin „optimiert“ die Vagina einer Frau und kommentiert dies mit den Worten „Total amerikanisch, aber schön ist die jetzt.“ Schon in dieser ersten Szene von „Vulva 3.0“ wird einem der ganze Wahnsinn der vor allem durch die Werbung aufoktroyierten weiblichen Selbstoptimierungsmaschinerie bewusst, der schon seit einer Weile einen weiteren Bereich erobert hat: die Genitalzone. Der Dokumentarfilm von Claudia Richarz und Ulrike Zimmermann leistet dazu einen wertvollen und kritischen Beitrag, denn er zeigt sehr unterschiedliche Standpunkte und bereichert damit den gesellschaftlichen Diskurs über dieses wichtige Thema. Etwa die Arbeiten der Verlegerin Claudia Gehrke, die sich dem Thema Vulva mit künstlerisch höchst anspruchsvollen Fotografien über einen Zeitraum von 25 Jahren gewidmet hat.

Der Film schafft es, mit relativ nüchternen Bildern die absurden Auswüchse etwa der visuellen Optimierung der weiblichen Genitalien zu zeigen, wenn beispielsweise der Fotograf und Bildbearbeiter Ulrich Groller in seinem langweiligen Büro sitzt und mit Photoshop an Porno-Fotos von Schamlippen herumretuschiert. Richarz  und Zimmermann haben zwischen die Dokuzenen Illustrationen geschnitten, sie zeigen die ästhetische Dimension der Vulva. Ein guter Kunstgriff, denn sonst wäre der Film zu sehr Schulfunk statt Doku.

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Aimer, boire et chanter (Life of Riley)

© A. Borre

Sandrine Kiberlain und André Dussollier in „Aimer, boire et chanter“ © A. Borrel

George Riley erhält sein Todesurteil: Er ist schwer krank und hat nicht mehr lange zu leben. Eine Nachricht, die seinen Arzt, seinen besten Freund und seine Ex-Frauen bzw. Geliebten in helle Aufregung versetzt und zu endlosen Debatten führt. Das ist der Plot von Alain Resnais‘ „Aimer, boire et chanter (Life of Riley)“, das auf einem Theaterstück von Alan Ayckbourn basiert. Der Kniff an der Geschichte: George bleibt ein Phantom, das nie auftaucht, über ihn wird lediglich munter geplappert.

Resnais hat sein Sechs-ProtagonistInnen-Ensemble rund um Muse und Ehefrau Sabine Azéma mit ihren Liebesirrungen und Wirrungen in einer theaterartigen Kulisse – die Story ist vornehmlich im britischen York angesiedelt – platziert. Weil die spartanische Kulisse wenig von den Dialogen ablenkt, kann man sich völlig auf diese konzentrieren. Wenn die dann wenigstens lustig wären, wie es das Genre verspricht! Man muss vermutlich Boulevardkomödien mögen, um dem Witz dieses Filmes etwas abgewinnen zu können. Dem 91-jährigen Resnais ist mit dem gediegenen „Aimer, boire et chanter (Life of Riley)“, das von Liebe und Tod erzählt, leider nur ein durchschnittlicher Film gelungen, dessen Unterhaltungswert deutlich unter dem seiner früheren Ayckbourn-Verfilmungen  wie „Smoking/No Smoking“ liegt.

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