Von Chris Köver

(English below)

Einfach mal locker machen und cool auf das Geschehen schauen, statt ständig gegen Benachteiligung anmotzen? Würden wir auch gerne. Aber Sexismus ist kein individuelles Wahrnehmungsproblem, das verschwindet, wenn wir es nur lässig genug anschweigen.

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Ich habe ein Problem. Ich wäre gerne entspannter. In meiner selbst gewählten Rolle als feministische Kommentatorin auf das Zeitgeschehen wird von mir erwartet, mich über all jene Dinge aufzuregen, die in Deutschland zwischen den Geschlechtern schief laufen. Ungleichheit anprangern, in Wort und Bild darüber referieren, wo Frauen und Mädchen auch heute noch nicht gleichgestellt sind etc. etc. Ich will das allerdings gar nicht mehr, ich werde langsam müde davon, mich aufzuregen und ich habe auch keine Lust mehr, ständig auf die allgegenwärtige Abwertung von Frauen in unserer Gesellschaft hinzuweisen. Ich will lieber lässig mit gekreuzten Armen an der Wand oder an etwas anderem lehnen und entspannt auf das Geschehen schauen.

Insofern traf mich der Beitrag, den Mirna Funk vergangene Woche unter dem Titel „Die Barbie-Feministinnen“ im Freitag veröffentlichte, an einem wunden Punkt. Funk vertritt darin die steile These, der Feind der jungen Frauen säße inzwischen vor allem in ihrem eigenen Kopf, die Rechte um Selbstbestimmung seien längst errungen, die Kämpfe gewonnen. Zeit, sich mal locker zu machen. Der Kopf, in dem Funk den Feind ausmacht, ist dabei vor allem ein westdeutscher, denn für die jungen Frauen, die in der DDR groß wurden, sei all das, was junge Feministinnen heute mit viel zu schriller Stimme forderten und einklagten eh schon selbstverständlich: Kinder bekommen und trotzdem arbeiten, finanziell unabhängig sein, Sex haben wann, wie oft und mit wem man will ohne dafür als Schlampe zu gelten – was halt sonst noch so auf der Agenda steht.

Was Mirna Funk eigentlich fordert: mehr Souveränität. Den Dingen nicht mit Geschrei oder Anklage begegnen (blöde Anmachen, sexistische Übergriffe, zweifelhafte Verteilung von Haus- und Erziehungsarbeit nicht immer gleich so unangenehm beim Namen nennen und am Ende noch mit dem Finger in irgendwelche Richtungen zeigen), sondern eben: lässig. Lässig an den Porsche gelehnt, mit cooler Zurückhaltung, maximal vielleicht noch mit dem Humor der eigentlich (intellektuell) Überlegenen, die über all das höchstens müde lachen kann. Denn Baby, it’s not me, it’s you. Im Wissen um die eigene moralische wie sonstige Vormachtsstellung, die Frauen wie Mirna Funk längst für sich ausgemacht haben, bleibt für Männer, die schmierig kommen, nur noch Mitleid oder gleich die komplette Nichtbeachtung.

So locker zu reagieren, ist für Frauen heute in der Tat wesentlich einfacher als vor, sagen wir, 30 Jahren. Die gröbsten Basics sind verankert, Frauen dürfen wählen und sogar gewählt werden, ein eigenes Konto haben, selbst entscheiden ob und wann sie Kinder haben wollen usw. Tolle Sache.

Was Funk nur leider übersieht, ist dass die Verhältnisse auch heute noch so begriffen sind, dass sich nicht benachteiligt zu fühlen, für viele noch nicht ausreicht, um es auch nicht zu sein. Sexismus ist eben kein individuelles Wahrnehmungsproblem einzelner (westdeutscher) Frauen, die einfach eine Überdosis patriarchaler Denkmuster verabreicht bekommen haben und jetzt an den Spätfolgen leiden. Es ist eine gesellschaftliche Machtstruktur, ebenso wie Rassismus oder Homophobie. Solange bestimmte Sichtweisen in einer relevant großen Zahl anderer Köpfe verankert sind, ist es im Zweifelsfall herzlich egal, wie lässig die betreffende Person wogegen lehnt und wie laut sie schweigt – ihr wird es nichts nützen.

Sexismus betrifft auch nicht ausschließlich weiße, westdeutsch-geborene Journalistinnen, die Feuilletonartikel dazu schreiben, ob sie sich vorstellen können, Kinder zu bekommen. Er betrifft auch: die Transfrau, die auf der Straße offen angestarrt wird und sich mit deutschen Behörden anlegen muss, weil es deren Vorstellungshorizont sprengt, dass ein Mensch ein anderes als das ihm bei der Geburt zugewiesene Geschlecht leben kann. Die Studentin mit türkischem Nachnamen, die in den Wohnungsbewerbungen gleich aussortiert wird, weil der Vermieter in ihr eine bombenschmeißende Kopftuchträgerin vermutet. Jede dicke oder lesbische oder nichtweiße Frau, also eigentlich alle, die nicht in die vorgefertigten Ideen von deutscher Fraulichkeit passen.

Sexismus betrifft auch jede Frau, die im Laufe ihres Lebens mal von ihrem Ex- oder derzeitigen Freund oder Mann verprügelt werden wird – das ist jede vierte Frau in Deutschland und zwar quer durch alle Bildungs- und sonstige Schichten. Offene Gewalt gegen Mädchen und Frauen ist die brutalste Form, in der sich Sexismus und Frauenhass in der Gesellschaft äußern – und für diejenigen, die so gerne einwenden, man solle bitte nicht bei jedem nackten Frauenarsch auf einem Plakat und bei jedem sexistischen Witz im deutschen Fernsehen gleich Reizworte schreien, sei hier noch einmal wiederholt: Es gibt keinen „richtig schlimmen“ und „weniger schlimmen“ Sexismus, denn die gleiche Logik, die dazu führt, dass wir es total okay finden, wenn nackte Fantasie-Frauenkörper zum Verkaufen von allem von Sprudel bis Linoleum genutzt werden, kommt auch zur Anwendung, wenn Frauen geschlagen, vergewaltigt oder missbraucht werden. Es sind einfach unterschiedlich brutale Ausdrucksformen des Umstandes, dass es in unserer Gesellschaft an Respekt für Frauen fehlt – an dem Respekt, der ihnen als Menschen eigentlich selbstverständlich zustehen sollte.

Und das betrifft jede Frau immer und überall, egal wie angesprochen sie sich davon fühlt.

Wie Sexismus noch auf viel subtilere Weisen wirkt, davon können Frauen berichten, die Schallplatten auflegen, Schlagzeug spielen, Maschinenbau studieren oder als Programmiererinnen arbeiten – also in einem Bereich ambitioniert sind, der nicht gemeinhin dem Schema „F wie typisch feminin“ entspricht. Wie sich diese Vorurteile auf das Verhalten und die Leistungen von Mädchen und Frauen auswirken, hat die Neurowissenschaftlerin Cordelia Fine in „Die Geschlechterlüge“ sehr genau (und im übrigen auch lustig) aufgeschrieben und als „Neurosexismus“ benannt. Wer nämlich glaubt, dass ihr Geschlecht einen Unterschied mache in Hinblick auf ihre Fähigkeiten, Matheaufgaben zu lösen, Code zu schreiben, konfrontativ aufzutreten oder kleine flauschige Tiere zu hegen – für die wird das auch einen Unterschied machen. Frauen haben in Bereichen, in denen sie krass unterrepräsentiert sind, ob sie das wollen oder nicht, einen anderen Stress als in solchen, die für sie vorgesehen sind.

Man merkt schon, das mit der Lässigkeit geht nicht ganz auf.

Denn die gesunde Reaktion auf all diese Umstände ist nicht etwa Coolness, sondern Wut. So ein richtig tief gehendes Angepisstsein. Wut ist etwas, das Frauen ungern zugestanden wird, weil es das Gesicht so unschön verzerrt, und nicht so sanftmütig rüberkommt. Wut lässt sich allerdings hervorragend in die Energie übersetzen, die es braucht, um gegen die Dinge vorzugehen, die diese Wut auslösen.

Wenn die Fragen und Rechte, mit denen Feministinnen sich beschäftigen, nicht nur in der Welt von Mirna Funk, sondern auch in der restlichen Welt beantwortet und ausgehandelt sind, wenn diese Kämpfe mal keine Rolle mehr spielen, dann kann ich vielleicht endlich selbst auch mal so lässig sein. Bis dahin finde ich es irgendwie lässiger, über die Probleme zu sprechen, die da sind.


Translated by Katy Derbyshire

Just relax and take a cool look at what’s going on, instead of constantly complaining about discrimination? We’d love to. But sexism isn’t a problem of individual perceptions that will go away if we just have the nonchalance not to talk about it.

I have a problem. I wish I was more relaxed. In my self-imposed role as a feminist commentator on modern life, I’m expected to get upset about all the things that go wrong between the sexes in Germany. To denounce inequality, to lecture in words and pictures about all the areas where women and girls aren’t yet on an equal footing, etc. etc. The problem is, I don’t want to do that any more, I’m getting tired of getting upset and I don’t feel like constantly pointing out the omnipresent devaluation of women in our society any more. I’d rather lean back with my arms crossed nonchalantly and watch things happen, relaxed.

So Mirna Funk’s piece entitled “Die Barbie-Feministinnen” in last week’s Freitag hit my sore spot. Funk expounds the daring theory that young women’s worst enemy is now in their own heads; our rights to self-determination were gained long ago, she claims, the battles have been won. Time to relax a little. The head in which Funk locates the enemy is above all a West German head – for young women who grew up in East Germany, she writes, everything today’s young feminists are demanding in far too shrill voices already goes without saying: having children and working, being financially independent, having sex when, how often and with whom they want without being seen as sluts – all the stuff that’s on the agenda.

What Mirna Funk is actually calling for is more calm. She’s telling us not to respond to things with uproar or accusations (not to always call dumb pick-up attempts, sexist harassment, questionable distribution of housework, and childrearing by such unpleasant names and end up pointing fingers), but instead: relax. Lean back against your Porsche, cool and contained, at most perhaps with the humor of the actually (intellectually) superior individual who can raise nothing more than a tired laugh at it all. Baby, it’s not me, it’s you. Having long since ascertained their own moral and general superiority, women like Mirna Funk have little to offer men who try it on except pity or complete disregard.

Reacting that calmly really is easier for women than it was, let’s say, thirty years ago. The basics have been anchored, women are allowed to vote and run for office, hold our own bank accounts, decide for ourselves whether and when to have children, and so on. Great stuff.

What Funk overlooks, though, is that today’s conditions are still such that not feeling disadvantaged is not yet the same, for many women, as not being disadvantaged. Sexism simply isn’t a problem of the perceptions of individual (West German) women who’ve gotten an overdose of patriarchal thought patterns and are now suffering the after-effects. Sexism is a societal power structure, as are racism and homophobia. As long as certain views are anchored in a relevant number of other people’s heads, in case of doubt it makes no difference how calmly a person leans back and how loudly she says nothing—it won’t help her a bit.

Sexism doesn’t only affect white female journalists born in West Germany who write newspaper articles on whether they can imagine having children. It also affects: the trans woman who gets stared at on the street and has to do battle with the German authorities because they can’t countenance that a person can live a different gender than that allocated to them at birth. The student with a Turkish surname who has close to zero chances of getting an apartment because the landlord assumes she’s a bomb-throwing hijabi. Every fat or lesbian or non-white woman, in other words every woman who doesn’t match the imaginary template of German womanhood.

Sexism also affects every woman who gets beaten up by her ex or her boyfriend or her husband in the course of her life—that’s every fourth woman in Germany, regardless of wealth, education, or social class. Open violence against girls and women is the most brutal form in which sexism and misogyny are expressed in our society—and for those who like nothing more than arguing we shouldn’t start using emotive terms over every naked female ass on a poster and every sexist joke on German TV, let me repeat once again: There is no “really awful” and “less awful” sexism, because the same logic that leads us to think it’s totally fine to used naked fantasy female bodies to sell everything from bottled water to linoleum is also applied when women are beaten, raped, or abused. They’re simply differently brutal forms of expression of the circumstance that our society lacks respect for women—the respect we are actually due as human beings.

And that affects every woman, at every time and everywhere, regardless of how affected she feels at any one moment.

Sexism works in far more subtle ways, as women can tell us who mix records, play drums, study mechanical engineering, or work as programmers—in other words have ambitions in areas not generally thought of as typically feminine. In Delusions of Gender (incidentally a very funny book), the neuroscientist Cordelia Fine takes a close look at how these prejudices affect girls’ and women’s behavior and performance, calling the phenomenon “neurosexism.” Anyone who thinks their gender makes a difference to their skills at solving equations, writing code, taking confrontational stances, or caring for fluffy animals—simply believing that will make a difference. In areas in which they’re starkly underrepresented, whether they want it or not, women experience different stress than in areas for which we’re considered more suited.

You’ve probably noticed by now—the whole nonchalance thing doesn’t quite cut it.

The healthy reaction to all these circumstances isn’t coolness, it’s anger. A really deep state of being thoroughly pissed. Anger is something women aren’t often granted; it distorts our pretty faces and doesn’t come across as all that docile. Anger is excellent though for transforming into the energy we need to act against the things that trigger that anger.

When the questions and rights that feminists work on are answered and negotiated not only in Mirna Funk’s world, but also in the rest of the world, when these battles no longer matter, then I might finally get to be that calm and collected. Until then, I find it kind of cooler to talk about the problems we face.