Das schwedische Sexkaufverbot gilt als Allheilmittel gegen Prostitution und Frauenhandel. Die Wissenschaftlerin Dr. Susanne Dodillet zweifelt die Erfolgsmeldungen der schwedischen Regierung stark an.

Was ist das Sexkaufverbot?
Das „Gesetz zum Verbot des käuflichen Erwerbs sexueller Dienstleitungen“ – in den Medien auch „Schwedisches Modell“ oder Sexkaufverbot genannt – ist Teil eines Gesetzespakets, das Gewalt gegen Frauen bekämpfen soll. Dazu gehören etwa auch Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Das Gesetz sieht vor, dass das Anbieten von Prostitution legal ist, und nur die Inanspruchnahme bestraft wird, also die Freier. „Förderung der Prostitution“ und das „Schaffen eines Arbeitsumfeld“ sind ebenfalls strafbar. Es ist 1999 in Kraft getreten.

Wie wird im Prostitutionsgesetz Prostitution definiert?
Das Sexkaufverbot verbietet den Erwerb sexueller Dienste für eine Gegenleistung innerhalb eines begrenzten Zeitraums. Schon der Versuch ist strafbar. Außerdem ist es verboten, Sex mit einer Person zu haben, die dafür von einer dritten Person eine Gegenleistung erhält. Was es in dem Bereich noch geben darf sind Stripclubs, bei denen Kunde und Tänzerin physisch getrennt bleiben. Dort darf kein Alkohol ausgeschenkt werden, es ist sehr reglementiert. Das Gesetz ist zwar geschlechtsneutral formuliert, aber in den ganzen Studien und in den politischen Debatten wurde immer so getan, als seien alle Prostituierten Frauen und alle Freier Männer. Die Rhetorik hinter dem Gesetz – Prostitution sei per Definition frauenfeindlich – funktioniert auch nur für diese Art von Prostitution. Und dadurch wird in der Öffentlichkeit auch keine andere Prostitution wahrgenommen oder als Problem beschrieben.

Welche Gruppen haben an dem Gesetz damals mitgewirkt?
In den 90er Jahren gab es in Schweden kaum Sexworker-Organisationen, so wie Hydra in Deutschland, an denen SexworkerInnen beteiligt sind. Fast alle Sozialprojekte sollten die Prostitution bekämpfen. StreetworkerInnen, die Prostituierte dazu bewegen sollten, aufzuhören. Solche Projekte dominieren bis heute in Stockholm, Malmö und Göteborg. In Malmö gibt es mittlerweile ein Projekt, dass auch Kondome verteilt, also Frauen bei der Sexarbeit hilft, aber die Organisationen, die sich am Gesetz beteiligt haben und die Wissenschaftler sind solche, die Aussteige-Projekte betrieben. Die schwedische Sozialwissenschaft zur Prostitution kommt von Wissenschaftlern, die ausschließlich zu Aussteigeprojekten geforscht haben und die hauptsächlich mit Prostituierten gesprochen haben, die aussteigen wollen und Hilfe gesucht haben. Andere Prostituierte, die nicht in Kontakt mit der Polizei oder mit SozialarbeiterInnen kommen, werden in Schweden kaum wahrgenommen. Prostituierte, die selbständig arbeiten, ohne Kontakt mit Behörden, sind nicht erfasst.

Die Regierung hat das Gesetz evaluiert und sagt, es sei sehr erfolgreich, weil es Prostitution und Frauenhandel stark eindämmen würde. Sie zweifeln diese Erfolgsgeschichte an. Warum?
Diese Regierungsevaluation, die von der amtierenden Justizministerin Beatrice Ask von der bürgerlich-konservativen Moderata Samlingspartiet 2008 in Auftrag gegeben und 2010 veröffentlicht wurde, ist wissenschaftlich gesehen eine Katastrophe. Sie ist durchzogen von Faktenfehlern, einseitigen Analysen und Darstellungen. Das liegt daran, dass diese Evaluation nie eine echte Evaluation sein sollte, sondern nur dazu dient, das Gesetz zu stützen. Solche staatlichen Evaluationen haben Auftragsbeschreibungen von der Regierung. Und in der Auftragsbeschreibung zur Evaluationdes Sexkaufverbots stand schon drin, dass das Gesetz nicht in Frage gestellt werden darf, sondern, dass nur untersucht werden soll, wie es besser implementiert und ergänzt werden kann. Schwedische Regierungen können das Sexkaufverbot kaum in Frage stellen, weil dann ein Symbol der schwedischen Gleichstellungspolitik und des Selbstbildes wegfallen würde. 

Das heißt, das Gesetz hat gar nicht, wie die Regierung sagt, dazu beigetragen, dass es nun in Schweden weniger Prostitution gibt?
Nein, es gibt dazu keine aussagekräftigen Statistiken. Hinzu kommen tiefgreifende Veränderungen in den letzten Jahren, die nichts mit dem Gesetz zu tun haben und die den Prostitutionsmarkt generell verändert haben: Der Durchbruch von Handy und Internet zum Beispiel. Nicht nur in Schweden, sondern auch in Ländern ohne Sexkaufverbot ist die Straßenprostitution im letzten Jahrzehnt zurückgegangen. Die einzigen Daten, die für die Evaluation erhoben werden, gehören aber zur Straßenprostitution. Auch abgesehen vom technischen Fortschritt ist es hier schwierig zu sagen, was das Gesetz eigentlich bewirkt hat. Wichtiger als das Gesetz scheinen die Polizeiaktionen im Anschluss. Und die gab es schon vor dem Gesetz. Auch vor dem Gesetz hat die Polizei patrouilliert und etwa mit Verkehrskontrollen Freier vertrieben. Dadurch wurde schon damals der Straßenstrich kontrolliert. Wie sich das Gesetz auf die Prostitutionsvermittlung über das kaum kontrollierbare Internet auswirkt, bleibt unklar.

Die Polizei behauptet, auch im Internet könne sie die Freier finden, weil Prostitution auch dort sichtbar sein muss, damit Freier das Angebot finden können.
Ja, das behauptet die Polizei, aber sie kann es nicht wirklich belegen. Dazu gehört, dass nur drei Städte in Schweden überhaupt eigene Polizeieinheiten für die Kontrolle von Prostitution und Frauenhandel haben. Und die in Göteborg wurde gerade abgezogen, um sich um rivalisierende Jugendbanden zu kümmern. Die Ressourcen der Polizei sind begrenzt, das Überwachen der Einhaltung des Sexkaufverbots hingegen zeitaufwendig.

Und was ist mit dem Einfluss auf den Menschen-, bzw. Frauenhandel?
Den Straftatbestand des Menschenhandel gab es, als das Gesetz eingeführt wurde, in Schweden gar nicht. Erst seit 2002 gibt es konkrete Gesetze gegen Frauenhandel und damit die konkrete Straftat. Und deswegen gibt es erst seitdem Statistiken dazu. Heutzutage gibt es Frauenhandel, wie viel oder wenig ist schwer zu sagen, wie viel oder wenig es ohne das Sexkaufverbot gäbe, gar nicht.

In Deutschland gilt Schweden ja als Vorzeigeland der Gleichberechtigung, zum Beispiel im Hinblick auf die Elternzeit. Wie beurteilen Sie das Gesetz in dem Zusammenhang?
Genau wie die Elternzeit gehört das Sexkaufverbot zur Gleichstellungspolitik mit der sich Schweden einen Namen gemacht hat. Das Sexkaufverbot ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, feministische Prostitutionspolitik zu machen. Sie hat deutlich moralisierende und paternalistische Züge. Schon bevor sich Schweden zum Vorzeigeland in Sachen Gleichberechtigung gemacht hat, wurde Prostitution in Schweden abgelehnt. Am Anfang des 20. Jahrhunderts aus einer christlich geprägten Weltanschauung, in den 1960er Jahren aus einer antikapitalistischen Haltung: gegen die Kommerzialisierung der Liebe. In Schweden gab es auch vor dem Sexkaufverbot vergleichsweise wenig Prostitution. All das wurde von der schwedischen Gleichstellungspolitik genutzt und umgedeutet.

Aber bis 1999 war Prostitution doch legalisiert?
Legal, aber nie gesellschaftlich akzeptiert. In den 50er und 60er Jahren wurde im Parlament gar nicht darüber geredet. In den 1970er Jahren gab es einen Abgeordneten von der liberalen Folkpartiet (Sten Sjöholm), der versucht hat, staatliche Bordelle einzuführen, um die seiner Meinung nach vorhandene Kriminalität in dem Bereich einzuschränken. Er wollte, dass die Prostituierten eine Sozialversicherung bekommen und Arbeitsverträge. Das gab es in Schweden noch nie. Dafür hat er nur vier Stimmen bekommen, alle anderen gut 300 Abgeordneten waren dagegen. Die Linken haben das Thema dann an sich gerissen und sozialistisch argumentiert, dass Prostitution eine besonders zynische Begleiterscheinung des Kapitalismus sei. Am Anfang wollte Schweden mit Sozialarbeit gegen Prostitution vorgehen. Und dann Ende der 1970er Jahre ging es los mit der feministischen Bewegung, die in Schweden nie so anarchistisch war wie in Deutschland, sondern sofort staatlich-sozialistisch.

Also hat das Gesetz gar nicht, wie die schwedische Regierung behauptet, die Einstellung der Bevölkerung zur Prostitution geändert, die war schon immer negativ.
Genau. Viele Menschen wissen auch gar nicht, dass nur die Freier bestraft werden, und Prostitution somit als männliche Gewalt gegen Frauen dargestellt wird. Auch in Schweden wird das Gesetz von Teilen der Bevölkerung in einem konservativen Zusammenhang gedeutet, und Prostitution im Ganzen als unmoralisch aufgefasst. So gesehen kann man das Gesetz als Schuss nach Hinten bezeichnen. Das Ziel war es ja feministisches Gedankengut zu verbreiten, mit einem Gesetz das verdeutlichen sollte, dass die Gesellschaft es verurteilt, wenn Männer ihre Position ausnutzen, um sich beim wirtschaftlich schlechter gestellten Geschlecht zu bedienen. Darum ging es eher, als um Prostitution einzudämmen.

Das Gesetz soll gar nicht Prostitution bekämpfen, sondern Feminismus verbreiten?
Ja, mit diesem Ziel wurde das Gesetz 1998 verabschiedet. Am deutlichsten sagte das damals die linke Abgeordnete Gudrun Schyman. Es ginge um erzieherische Maßnahmen und nicht darum, wie viele Freier letztendlich verurteilt würden. Schyman gründete später eine feministische Partei, und ist in Schweden ähnlich bekannt wie Alice Schwarzer in Deutschland. Wenn ich noch mal auf die unterschiedlichen Deutungen des Sexkaufverbots zurückkommen darf: Die sind auch ein Problem für den Export des Gesetzes. In Deutschland zum Beispiel interessieren sich sowohl Christdemokraten, als auch die Emma dafür und arbeiten dann zusammenarbeiten. Feminismus vermischt sich dadurch wieder mit Sexualmoral. Das schadet Frauen letztendlich, weil es dann vor allem um die Kontrolle der Sexualität von Frauen geht.

Stellen Sie die Gleichstellungspolitik Schwedens generell in Frage?
Nein. Ich bin Feministin und ich finde sehr viel sehr gut. Auch dass man in Schweden deutlich macht, wie Prostitution von Machtstrukturen durchzogen ist, denn damit stimme ich völlig überein. Aber, dafür braucht man kein Verbot, dass muss die Zivilgesellschaft diskutieren. Und das ist nur die eine Seite. Die andere ist die, dass das Gesetz ohne die Betroffenen gestaltet wurde, was ich diskriminierend und respektlos finde. Und das Gesetz hat nun mal negative Konsequenzen für die Sexarbeiterinnen.

Welche negativen Konsequenzen wurden festgestellt?
Vor allem auf Straßenprostitution wirkt sich das Gesetz negativ aus. SexarbeiterInnen halten sich in versteckteren Gebieten auf und müssen sich schneller für einen Freier entscheiden, um die Kunden davor zu schützen, von der Polizei aufgegriffen zu werden. Dadurch wird die Arbeit prekärer und gefährlicher. Für Sozialarbeiter ist es schwieriger, SexarbeiterInnen zu helfen, weil sie im Verborgenen arbeiten. Sie suchen seltener von sich aus die Polizei auf, wenn sie Hilfe brauchen. Außerdem werden SexarbeiterInnen letztendlich doch kriminalisiert.

Aber es ist doch ein wichtiger Bestandteil des Sexkaufverbots, dass es SexarbeiterInnen nicht kriminalisiert.
Ja, aber es gibt noch andere Paragraphen. So ist zum Beispiel der Paragraph zu Zuhälterei sehr weit gefasst: Zuhälterei ist schon das Profitieren von Sexarbeit, nicht das kriminelle Ausnutzen der Prostituierten wie in Deutschland. Zwei Sexarbeiterinnen, die sich die Kosten für einen Raum teilen, können beide als Zuhälterinnen bestraft werden. Im Wohnungsrecht gibt es einen Paragraphen, der festlegt, dass Vermieterinnen, die in ihrer Wohnung Prostitution bemerken, kündigen müssen. Die Frauen riskieren also Obdachlosigkeit. Im Einwanderungsrecht ist festgelegt, dass ausländische Frauen, die sich prostituieren, ausgewiesen werden können. Es gibt noch einige weitere solche Paragraphen.

Wer außer Ihnen übt noch Kritik an dem Gesetz?
Petra Östergren und ich, wir sind beide Wissenschaftlerinnen. Seit ein paar Jahren gibt es eine Sexworker-Organisation namens Rose Alliance, die sich gegen das Gesetz ausspricht. Wir sind in der schwedischen Öffentlichkeit leider kaum sichtbar. Im schwedischen Parlament gibt es einen Abgeordneten der Mitte-Partei Fredrik Federley, der die Evaluation im Reichstag kritisiert, aber das sind Einzelstimmen.

Wie reagiert die schwedische Regierung auf ihre Kritik?
Gar nicht. Sie hat gerade die Höchststrafe für den Sexkauf von sechs Monaten auf ein Jahr erhöht und behauptet weiter ihre Erfolgsgeschichte. Aber im Socialstyrelsen, dem schwedischen Sozialamt, das für den Bereich zuständig ist, wachsen langsam Zweifel am Sinn des Gesetzes.

Dr. phil. Susanne Dodillet, geboren in Böblingen, lebt seit 2001 in Schweden und arbeitet am Institut für Pädagogik und Spezialpädagogik der Universität Göteborg. Sie hat über den Vergleich der deutschen mit der schwedischen Gesetzgebung zur Prostitution promoviert.

Zum ausführlichen Bericht zur schwedischen Regierungsstudie von Susanne Dodillet (und Petra Östergren)