Von Dominique Haensell

Chimamanda Ngozi Adichies Lesung am 16. Mai im Palais der Kulturbrauerei in Berlin ist restlos ausverkauft. Wer die nigerianische Autorin nicht schon durch die Erfolgsromane Purple Hibiskus und Half of a Yellow Sun kannte, hatte dank ihres neuen Buches Americanah und Beyoncé in den letzten Monaten ausreichend Gelegenheit, auf sie aufmerksam zu werden.

cover_adichieChimamanda Ngozi Adichie
„Americanah“
Aus dem Amerikanischen von Anette Grube
S. Fischer, 605 S., 24,99 Euro.

Adichie ist eine besonders profilierte Vertreterin so genannter „Afropolitans“, einer neuen Generation weltläufig agierender Kulturschaffender mit afrikanischen Wurzeln. Mit Preisen überhäuft und auf allen einschlägigen Buch-Shortlists positioniert, fiel die junge Autorin jedoch auch durch ihre meinungsstarke öffentliche Persona auf, die vor digitalem Millionenpublikum über die Gefahr hegemonialer Diskurse oder Feminismus in Nigeria sprach. Ein Ausschnitt aus einem ihrer TED-Talks wurde denn auch auf Flawless gesampelt – dem Killertrack auf Beyoncés jüngstem Bombenalbum.

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Am Abend der Lesung bildet sich am Eingang eine beachtliche Traube Hoffungsvoller, „Suche dringend Tickets“-Schilder haltend, um Wartelistenplätze feilschend, den Einlass bekniend. Wer Glück hat, schafft es dann doch noch in den Saal, in dem zwar alle Stühle und Treppenstufen besetzt sind, aber niemand stehen muss. Nicht nur die Szenen am Eingang sind untypisch für eine literarische Lesung. Der Eindruck, einem außergewöhnlichen Event beizuwohnen zieht sich durch den ganzen Abend.

Das Publikum summt in freudiger Erregung und bricht in stürmischen Beifall aus, als die Autorin nur angekündigt wird. Als Chimamanda Adichie dann selbst die Bühne betritt, ist die Popstar-Analogie perfekt: In einem leuchtend gelben Blusenkleid und mit elegant aufgetürmten Braids scheint Adichie ganz die Fashion-Ikone, als die sie von der moderierenden Journalistin Susanne Weingarten vorgestellt wird. Flankiert von Weingarten und der Schauspielerin Anna Thalbach, wird Adichie in der nächsten knappen Stunde durch einen etwas seltsamen Ablauf geführt, in dem die Moderatorin den Löwenanteil der freien Redezeit mit holprigen Fragen und vermutlich unnötigem Dolmetschen füllt und die von der Autorin in einem wunderbar ironischen, tiefen Timbre intonierten Passagen aus Americanah in unglücklichem Kontrast mit den piepsig vorgetragenen, teils ungeschickt, teils falsch übersetzten Auszügen der deutschen Ausgabe stehen.

Überhaupt kommt an diesem Abend vieles nichts zusammen. Es lässt sich eine eindeutige Kluft ausmachen: Auf der einen Seite die PR-Maschinerie des Verlags, welchen den Abend in das starre Korsett einer klassischen Buchvorstellung zwängt, die diesen „exotischen“ Shootingstar der Weltliteraturszene in die deutsche Kulturlandschaft einführen soll. Auf der anderen Seite sitzen im Publikum durchaus informierte und interessierte Menschen – Studentinnen, Lehrerinnen, Fans, zahlreiche Aktivistinnen- und Interessengruppen von AfricAvenir bis zur Inititative Schwarze Menschen in Deutschland. Sie alle sind gekommen, weil sie sich mit den Positionen, die Adichie öffentlich vertritt, auseinandersetzen, sich vielleicht von dieser Veranstaltung auch einen wichtigen Diskursimpuls erhofft haben.

Doch diese Debatte bleibt weitgehend aus: Während der kurzen Interviewrunde, ertönt im Saal einmal Unmut angesichts der deutschen Konnotation des „Rasse“-Begriffs. Adichie – für die so gut wie nicht übersetzt wird – springt ein, ahnt die Thematik, spricht die Notwendigkeit von Benennungen ein und schlägt vor, darüber zu reden. Doch dazu soll es nicht kommen. Auch die etwa zehnminütige offene Fragerunde am Ende, soll sich laut Moderation nur auf „richtige“ und am besten buchbezogene Fragen begrenzen. Dass sich daran kaum jemand hält, ist einer der stärksten Momente der Veranstaltung.

Nach Ende der Lesung wird die Autorin von einem großen Teil des Publikums umlagert, offene Fragen und Autogrammwünsche werden geäußert. So begeistert und spontan ist der Andrang der Menschen, dass es sich die Veranstaltungsleitung nicht nehmen lässt, in aller Strenge darauf hinzuweisen, dass sich nun umgehend von rechts eine ordentliche Schlange zu bilden hätte.

Schlichtweg seltsam mutet auch die Wahl der interviewenden und dolmetschenden Weingarten und der designierten Hörbuchstimme Thalbach an. Beide scheinen bestenfalls naiv und der Thematik fremd zu sein, beide tun sich schwer, nigerianische Namen auszusprechen und hören nicht auf, mit dieser Unprofessionalität zu kokettieren.

Die Stimmung im Publikum nach der Veranstaltung ist zweigeteilt, einerseits herrscht Freude darüber, dass dieser Autorin und ihren wichtigen Anstößen Raum gegeben wurde. Andererseits ist es enttäuschend, dass der interessanteste Teil der Veranstaltung so knapp bemessen und von der unglücklichen Moderation überschattet war. Eine anwesende nigerianische Dolmetscherin bringt es auf den Punkt: Gab es wirklich niemand anderen für diesen Job? Äußerst kurios ist auch der Umstand, dass offizielle Pressemeldungen noch Joy Denalane als Moderation genannt hatten. Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass selbige nie darüber informiert wurde.

Während der Fragerunde meldet sich ein junger Mann aus dem Publikum. Im Namen von Each One Teach One e.V lädt er Adichie zu einem Empowerment-Event mit Schwarzen Berliner Jugendlichen ein. Die Autorin bedankt sich lächelnd: Müsste sie nicht bereits morgens zum nächsten Termin in die nächste Stadt, sie wäre gerne dabei. Zurück bleiben also der Eindruck eines teils unbefriedigenden Abends (wie auch die Mädchenmannschaft berichtet) und die Hoffnung,  dass Adichie ihr Versprechen einlöst und die nächste Begegnung mit dieser Autorin in einem wechselseitig inspirierenderem Rahmen stattfinden kann.