Von der Radikalfeministin zur Bürgermeisterin von Berlins hippstem Bezirk – Monika Herrmann im Gespräch über Netzfeminismus, Frauenräume und die Geschichtslosigkeit der jungen Generation.
Von Myriam Raboldt und Isabella Hobe

Auf ein Gespräch über Feminismus mit Monika Herrmann. (Foto: Boris Niehaus)

Die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg ist bekannt für ihre relativ unkonventionelle Politik: Monika Herrmann möchte einen Coffeeshop in ihrem Bezirk eröffnen lassen, setzt sich für ein Verbot sexistischer Werbeplakate ein und unterstützte lange das Anfang April geräumte Refugee-Protest-Camp am Oranienplatz, weshalb sie sich mehrmals mit Berlins Innensenator Henkel anlegte. Feminismus ist für sie einst der Zugang zur Politik gewesen: zunächst im Rahmen autonomer Strukturen, später in der Parteipolitik. Doch welche Rolle spielt der Feminismus heute für sie und ihre Politik? In ihrem sonnigen Büro in Berlin Friedrichshain erzählt die 49-Jährige, wie sie dort gelandet ist, wo sie heute steht.

Als Herrmann von 1985 bis 1995 Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin studiert, organisiert sie sich in linken, radikalfeministischen Gruppen und erzählt noch jetzt gern von jener Zeit mit all den Demos auf dem Kurfürstendamm in West-Berlin. Aber statt sich auf der Straße für Frauenrechte einzusetzen, entschied sie sich für den Weg in die Institutionen: „Allerdings darf man das nicht alternativ denken, denn wir brauchen immer beides: Sowohl den Kampf auf der Straße als auch Leute, die mit klaren Positionen in die Verwaltung und Parteien gehen“, sagt sie heute. „Nur so APO-mäßig, das find ich ein bisschen zu wenig.“

Außenparlamentarische Opposition (APO), Straßenkampf, Marsch durch die Institutionen – Herrmanns politische Sozialisation wird an ihrem Vokabular schnell deutlich. Sie ist in Berlin-Neukölln aufgewachsen und während die Eltern beide in der CDU aktiv sind, schlägt sie politisch früh ihren eigenen Weg ein. Als junge, lesbische Frau im Berlin der 1980er konnte sie sich quasi ins gemachte Nest setzen, denn die Feministinnen der Siebziger hatten viele Strukturen wie die Frauencafés schon erkämpft. „Selbst in der Uni hatten wir Frauenseminare!“

„Wir brauchen immer beides: Sowohl den Kampf auf der Straße als auch in den Institutionen.“

Ihr Feminismus ist der der Achtziger Jahre, die Forderung nach Frauenräumen gehörte damals zum Grundverständnis. Wurden mit dieser Women-only-Politik Trans-Belange zwar weitesgehend ignoriert, waren lesbische Anliegen in der feministischen Bewegung bereits sichtbar. Die Politisierung des Lesbisch-Seins trieb laut Herrmann aber auch absurde Blüten. „Das waren lustige Zeiten. Irgendwann begannen heterosexuelle Frauen aus politischen Gründen nur noch mit Frauen zu schlafen und sich als lesbisch zu bezeichnen“, erinnert sich Herrmann, die damals sowohl das Frauenkulturzentrum Begine leitete als auch Pressereferentin des Frauenhotels artemisia war.

Ihre Karriere in der Kommunalpolitik begann 1990 schließlich als Mitarbeiterin bei der damaligen Frauenbeauftragten von Berlin-Kreuzberg. „Mit unseren radikalfeministischen Kämpfen hatte das aber sehr wenig zu tun“, meint sie lachend. Die Frauenbeauftragten hätten damals nur eine „beobachtende Beratungskompetenz“ mit wenig Macht gehabt, eine Formalität zur Gewissensberuhigung sozusagen. Nachdem sie sich als junge Studentin sogar kurz bei der Jungen Union versucht, landet sie nun bei den Grünen, um so ihre politischen Anliegen in die Institutionen zu tragen.

Für Herrmann heißt Feminismus vor allem Frauenpolitik. (Foto: Boris Niehaus)

Als Hobby nennt Monika auf ihrer Website „Kommunalpolitik“. Dass sie durch und durch Politikerin ist, merkt man auch daran, dass sie sogar den verschiedenen feministischen Stoßrichtungen Parteiprofile gibt: Die Art und Weise, wie die angestrebte und überall gepredigte Vereinbarkeit von Familie und Beruf umgesetzt wurde, nennt sie „sozialdemokratischen Feminismus“. Dabei spuckt sie den Begriff fast aus, als sei er ein Schimpfwort. „Ende der Achtziger kam immer stärker dieser Leistungsgedanke auf: Du musst ackern, ackern, ackern – schön angepasst sein und Karriere machen, damit du dann über Familie nachdenken kannst.“ Auch ein paar Frauen aus der CDU seien bei dieser sozialdemokratischen Emanzipationsbewegung dabei gewesen: „Die trugen alle Hosenröcke, das war sozusagen ihr Markenzeichen“, sagt Herrmann und lacht.

Doch was dabei aus dem Blick geraten sei, ist eine grundlegende feministische Kritik an der patriarchalen Gesellschaftsstruktur, findet sie. Eine Kritik, die immer auch eine antikapitalistische sein müsse: „Das patriarchale System, das über Macht und Ohnmacht funktioniert, ist der Verursacher für Ausgrenzung, ob auf Grund von Gender, Sexualität oder Nationalität“, sagt sie und es klingt nicht auswendig gelernt. Gleichzeitig werde der heterosexuelle weiße Mann zur Norm erhoben. „Das ist so eng mit der kapitalistischen Struktur von Privilegien verbunden, das kann man gar nicht getrennt denken!“

Wenn Herrmann von Männern und Frauen redet, klingt das ganz nach dem bei der jungen Generation aus der Mode gekommenen Differenzfeminismus, an dem der Leitgedanke der Genderstudies – „Geschlecht ist sozial konstruiert“ – vorbei gegangen ist. So geht auch sie von einer grundsätzlichen Verschiedenheit der Geschlechter aus: Frauen seien beispielsweise friedfertiger als Männer. „Da bin ich jetzt mal ganz biologistisch – und ich höre schon meine Freundin protestieren –, aber ich glaube tatsächlich, dass es einen Unterschied macht, ob du Kinder in die Welt setzt oder nicht, zum Beispiel in Bezug auf Umwelt oder Krieg.“ Ihr ginge es daher nicht um Gleichmacherei, sondern um Chancengleichheit für alle Geschlechter. Trotzdem: Feminismus ist und bleibt für sie vor allem Frauenpolitik.

„Ich bin nicht eingeschränkter, es ist eher andersrum“ (Foto: Boris Niehaus)

Für junge Frauen* heute, die eher im akademischen Dunstkreis von Queerfeminismus und Gender-Theorie sozialisiert wurden, mag das alles ziemlich oldschool klingen. Den hier nicht zu übersehenden Generation-Gap spricht die Politikerin auch selbst an – aus ihrer Perspektive. „Also wenn man sich jetzt mit Mitte 20 hinstellt und so tut, als würde man die Frauenbewegung neu erfinden, dann weiß ich nicht, was das soll, ehrlich gesagt.“ Ihre Kritik: FeministInnen heute seien zu wenig systemkritisch, und dazu völlig geschichtslos. Wer sich als Teil einer Bewegung versteht, solle sich auch mit ihrer Geschichte auseinandersetzen, findet sie. Und vieles, was jetzt neu diskutiert würde, sei in der Frauenbewegung der 1980er schon längst abgehakt gewesen, zum Beispiel, „dass der Maßstab des Feminismus doch nicht sein kann, dass wir dann alle da ankommen, wo Männer jetzt sind. Das hat so einen Bart!“

„Wer sich als Teil einer Bewegung versteht, sollte sich auch mit der Geschichte auseinandersetzen.“

Dass wir uns in Zeiten eines anti-feministischen Rollbacks befinden, da ist sich Herrmann sicher. Das merke man an der Art und Weise, wie derzeit in den Feuilletons Debatten über Homosexualität geführt werden oder an der Einführung des Betreuungsgeldes, der so genannten Herdprämie. „Wenn man sich das Tagesgeschäft der Politik anschaut, merkt man, dass wir auf dem ganz heftigen Weg des Rückschritts sind.“ Gerade in den Unternehmen und Bildungseinrichtungen würde uns nur vorgespielt, dass es eine Geschlechtergerechtigkeit gebe. „Wir haben eine Genderbeauftragte und wir haben dies und das, aber irgendwann werden die Frauen merken, dass wir doch eine ganze Menge verarscht worden sind in letzter Zeit.“

Als Paradebeispiel einer neuen Bewegung, die meint, sich nicht mehr mit Geschlechterfragen auseinandersetzen zu müssen, nennt Monika die Piratenpartei. „Sie haben immer gesagt: ‘Bei uns gibt’s keine Unterschiede, wir sind alle gleich’. Und wenn dann vierzehn der fünfzehn Parteimitglieder, die ins Abgeordnetenhaus einziehen, Männer sind, heißt es nur ‘naja, die Frauen wollten nicht’. Also, dieses Pseudo-Argument kannte schon meine Urgroßoma!“

Dabei versuchen die Piraten ähnlich wie die Grünen in den achtziger Jahren als junge Partei den „Marsch durch die Institutionen“, ohne ihre Visionen und Ideale auf dem Weg dorthin zu verlieren – und scheinen daran zu scheitern. Aber passiert das nicht sehr häufig? War eine Monika Herrmann am Anfang ihrer politischen Karriere nicht auch idealistischer, als sie es jetzt in ihrer Position als Bezirksbürgermeisterin sein kann? „Ich bin nicht eingeschränkter, es ist eher andersrum“, sagt sie und lacht. Nur die Methoden, die sie von den Demos und autonomen Strukturen her kenne, könne sie natürlich nicht in der Bezirksverwaltung anwenden. „Das heißt aber nicht, dass man anfangen muss, seine Zielstellung zu ändern!“

Herrmann ist nicht nur der Marsch zumindest in die Bezirksverwaltung gelungen, auch in der digitalen Welt ist sie längst angekommen. Sie tweetet im Minutentakt, ist bei Facebook sehr aktiv – in der U-Bahn, beim Kaffee trinken oder abends im Bett, „um runterzukommen“. Dinge klar zu benennen und öffentlich zu machen, davon sei sie eine große Anhängerin. Daher findet Herrmann auch die #aufschrei-Kampagne auf Twitter „gut und richtig“, sie habe selbst unter diesem Hashtag getwittert. Dass sie sich dadurch, dass sie so offen im Netz agiert, als Politikerin und auch als lesbische Frau angreifbar macht, ist ihr bewusst. Da kommt es schon mal vor, dass ihr das Frau-Sein abgesprochen wird oder sie mit „scheiß Lesbenfotze“ angeschrieben wird. Ihre Taktik: antworten, Konfrontation!

 

„Bürgersprechstunden via Twitter – idealer geht es doch gar nicht!“

Bei all dem kommt sie authentisch rüber – nicht nur wenn man ihr persönlich begegnet, sondern auch online. Neben Politik postet sie auch mal über den Tod der Katze oder ärgert sich auf Twitter, weil sie von einem Fremden als „Schlampe“ beschimpft wurde. Ob das wirklich so spontan und undurchdacht geschieht oder eben auch gute Selbstvermarktung ist, sei dahingestellt. Herrmann nutzt Social Media auch, um BürgerInnennähe und Dialog herzustellen. „Als die Szene Ende letzten Jahres der Meinung war, dass ich das Flüchtlingscamp am Oranienplatz räumen wolle, war das auf meinem Twitter-Account wie eine große Bürgersprechstunde. Idealer kann man es doch gar nicht haben!“

Das Camp wurde im April nach fast zwei Jahren doch geräumt: Einige der Geflüchteten hatten sich einverstanden erklärt, andere nicht, Herrmann wurde von der linksradikalen Szene scharf kritisiert. Die Räumung ist ein Beispiel für den politischen Spagat, den Herrmann zu bewältigen versucht. Sie will ihr Programm weiter durchziehen, egal, was politische GegnerInnen und die Presse über sie sagen. „Ich bin ich, nämlich eine linke Politikerin von den Grünen. Ich kann nicht so tun, als ob ich irgendwas anderes bin, das wäre absurd.“ Wem es nicht passe, könne sie ja in zwei Jahren wieder abwählen.