Zwei Stunden von Manhattan entfernt hat sich die Künstlerin Morgan J. Puett eine eigene Welt gebaut, in der das Kochen, Essen und Abspülen ebenso Kunst ist wie die Arbeit an einer neuen Installationen. Ein Ausflug in die Catskill Mountains und ins 19. Jahrhundert.
 

 

„Wir haben in Mildred’s Lane dieses Wort: to shoo. Es ist Teil von Morgans Südstaatenvokabular und bedeutet: etwas vorbereiten oder aufhübschen – auf eine sehr bewusste Art.“ Das erzählt mir Liz auf der Fahrt vom Busbahnhof hinaus zum Grundstück im Wald hinter dem Delaware River. Vor dem Fenster: die Lebkuchenhäuser und grünen Hügel der Catskill Mountains. „To shoo“, das bedeutet in Mildred’s Lane: alles ist Kunst. Die Frage, mit welchem Porzellan man den Tisch deckt, wie das Essen auf dem Teller arrangiert oder das Bett gemacht wird ebenso wie die Entscheidung, welche Worte für welche Dinge verwendet werden.

Wir biegen in eine verschlungene Schotterpiste ein, die sich zwischen Bäumen und bemosten Felsen durch den Walt windet und verlassen das 21. Jahrhunderts. Am Ende des Pfades, dessen Schlaglöcher nur von KennerInnen der Bodenbeschaffenheit sicher navigiert werden können, stehen mehrere Holzhäuser und eine Scheune. In einem alten Baum vor dem Haus hängt eine Lichterkette. Dahinter nichts als Wiese und Wald. Es ist sofort klar: hier gelten andere Regeln.

Der „Grafter’s Shack“, in dem ich untergebracht bin, ist eine Kunstinstallation, die Morgans Familiengeschichte aufrollt. Seit vier Generationen imkert ihre Familie in Georgia.

 

 

1997 kaufte die Designerin und Künstlerin Morgan J. Puett das acht Quadratkilometer große Grundstück, zu dem auch ein kleiner Bach und der Wald gehören. Zuvor war es zehn Jahre lang unbewohnt gewesen. Sie und ihr damaliger Partner, der Künstler Mark Dion, suchten nach einem Ort fernab des hektischen Treibens von Manhattan – und fanden ihn zwei Stunden entfernt in den Wäldern Pennsylvanias. Anfangs gab es nichts außer dem verfallenen alten Farmhaus und ein paar Scheunen, nicht mal Wasser und Strom. Die beiden lebten in einem alten Pferdestall, befreundete KünstlerInnen, die von Beginn an regelmäßig zu Besuch kamen, schliefen in Zelten. Inzwischen lebt Morgan mit ihrem 14 Jahre alten Sohn Rabbit das ganze Jahr über hier draußen, in einem Haus, das sie selbst entwarf und in dem jedes kleinste Detail ihre ästhetische Handschrift trägt – bis hin zum Geschirr und dem Arrangement des Gemüses im Kühlschrank. Mildred’s Lane ist Morgans Welt. Von ihr geplant und mit Unterstützung ihrer FreundInnen und Familie über Jahrzehnte aufgebaut.

Während wir das Auto auf dem Schotterplatz vor dem Haus abstellen, erklärt mir Liz das Programm. Sie ist für den Komfort der BesucherInnen verantwortlich, „Ministry of Hospitality“ heißt das hier. Seit ein paar Jahren kommen im Sommer StudentInnen hierher, um auf dem Gelände zu arbeiten und zu leben. Viele der über die Farm verstreuten Installationen und Projekte sind so entstanden. „Hier begegnen sich Menschen, die sich sonst nie treffen würden und arbeiten zusammen. Hierarchien versuchen wir weitgehend abzubauen. Jede Arbeit ist Teil des größeren Prozesses, es ist eine holistische Erfahrung.“ Da kann es passieren, dass man beim Abspülen auf einmal neben einem Kurator der Tate Modern steht und mit ihm die Teller trocknet.

Kochen, Putzen, Wäsche waschen, einen Gartenteich anlegen oder gemeinsam Essen, das ist hier ebenso Teil der künstlerischen Arbeit wie die Projekte und Installationen, an denen die Fellows gemeinsam mit älteren KünstlerInnen arbeiten. „Workstyles“ nennt Morgan diese Dinge, Kunst als das „Tun von Tätigkeiten“ gemeinsam mit anderen. Das tägliche Leben soll mit der gleichen ästhetischen Aufmerksamkeit angegangen werden wie sie sonst im Atelier zum Einsatz kommt. Das bewusste Zusammenleben an einem Ort als Gesamtkunstwerk – choreografiert von Morgan.

Später am Abend in Morgans großem weißen Atelier, von der Decke hängen überall die Kleider, die sie selbst entwirft und näht. Morgan trägt ein wadenlanges Kleid aus grober Baumwolle und eine dicke runde Brille, mit den Knopfaugen und den wuscheligen Haaren sieht sie aus wie eine ältere Version von Huckleberry Finn.“Das ist alles Teil einer großen feministischen Idee,“ sagt sie und packt mir mit einer kleinen, aber starken Hand an die Schulter. „Wir müssen das Häusliche wieder als Teil der kreativen Sphäre begreifen.“ Auch wenn es vielleicht so wirkt, wenn man die viktorianischen Schnitte ihrer Kleidung, die antiken Möbel und ausgestopften Tiere betrachtet, die ihre Welt bevölkern, sie ist nicht primär an der Vergangenheit interessiert, sagt sie. Eher daran, eine Zukunft zu entwerfen, in der Kunst und Leben sich so weit wie möglich überschneiden. Und feministische Theorie, sagt sie, sei eben der „verflucht noch mal radikalste Entwurf“ dafür.

Arbeit als Kunst, „workstyles“ statt „lifestyles“, das ist eine der zentralen Doktrinen von Morgan, also von Mildred’s Lane. Eine andere ist, dass KünstlerInnen sich nicht verschanzen dürfen. Deswegen gibt es seit einigen Jahren den „Town Friday“. An diesem Tag bringt Morgan ihre Fellows in das eine halbe Meile entfernte Narrowsburg – ein winziger Ort bestehend aus Hauptstraße, ein paar Läden und zwei Kneipen –, um dort Vorträge und Diskussionen in ihrem großen weißen Atelier zu veranstalten. Vor ein paar Jahren hatte sie eine Autopanne. „Da ist mir aufgefallen: Alle meine Freunde sind in New York. Ich kann hier niemanden anrufen.“ Danach fing sie an, sich in der Gemeinde zu engagieren, ist zu den Town Meetings gegangen. „Du kannst hier nicht leben und dich von den Menschen abschotten.“ Inzwischen kennen sie alle hier in der Gegend und umgekehrt.

Was sagen die Narrowsburger dazu, dass eine Künstlerkolonie auf ihrem Flecken Erde gelandet ist? Morgan denkt strategisch. „Kunst, uaghhh! Ich sage immer: tu das verdammte Wort ins Regal und lass es da stehen,“ schimpft sie und schwenk das Rotweinglas so heftig, dass ich fürchte, es landet gleich auf dem weißen Leinen, mit dem hier der ganze Boden ausgelegt ist. „Das Wort steht wie eine Barriere zwischen den Menschen und dem, was wir tun. Ich verwende es so selten wie möglich.“ Neben dem „Town Friday“ führte sie den „Social Saturday“ ein, an dem Mildred’s Lane offen ist für alle angemeldeten BesucherInnen. Dann gibt Morgen Führungen für die Gäste, im Anschluss wird draußen auf der Terrasse ein Festmahl serviert.

Das hölzerne Haupthaus mit der Gemeinschaftsküche und der Bibliothek hat Morgan selbst entworfen und über zehn Jahre gebaut. Von innen ist der dreistöckige Bau komplett mit Stahlplatten verkleidet, die Morgan mit Chemikalien dunkel korrodiert hat. Eine Technik, die sonst für die Patina von Schmuck verwendet wird. Die Türen sind Schiebetüren, wie die in der Scheune nebenan. Die Bücherregale in der dunklen Bibliothek, die man vom Pfad aus als erstes betritt, reichen bis zur Decke. Auf manchen liegen nur Brettspiele, auf anderen Tierpräparate, Schädel oder Pinsel. Ein Skelett steht neben einem alten roten Samtsofa, der Boden ist mit dicken Teppichen ausgelegt. Ein 19. Jahrhundert Kuriositätenkabinett. Kein gnädiger Ort für StauballergikerInnen.Die große Gemeinschaftsküche, die sich hinten zu einer Terrasse auf die Wiese hin öffnet und in der wechselnde Köchinnen – hier heißen sie „digestion choreograoher“ – gemeinsam mit den StundentInnen die Mahlzeiten für alle zubereiten, hat deckenhohe Fenster. Es ist ein Museum für eklektisches Porzellan, Einmachgläser und Lebensmittel. Ein Museum, das ständig in Benutzung ist.

 

Morgans Ideen sind das Fundament, auf dem hier alles gebaut ist. Sie ist die Regentin, Choreografin, Archivarin und Geschäftsführerin von Mildred’s Lane zugleich. „Meeting in zehn Minuten in der Scheune,“ brüllt sie über das Gelände und pfeift auf zwei Fingern, dass es über die ganze Wiese schallt. Die ersten drei Tage nach der Ankunft gibt sie den Neuangekommenen eine Einweisung. Jeder hilft bei allem. Hinterlasst so wenige Spuren wie möglich. Wenn ihr ein Buch aus dem Regal nehmt, stellt ihr es später wieder zurück. Wenn etwas herumliegt, hebt ihr es auf. „As you go“ nennt sie diese Praxis des Anpackens, wo angepackt werden muss. Und wenn gerade die jungen Männer in Mildred’s Lane sich dabei ungeschickt anstellen, wird sie schnell ungeduldig. „Man muss doch verdammt noch mal sein eigenes Geschirr spülen können. Ich gebe Frauen die Schuld. Die müssen anfangen, ihre Söhne anders zu erziehen.“

Morgan (die kleinste in der hinteren Reihe) mit ihren Fellows und dem britischen Künstler Robert Williams, der den aktuellen Sommerkurs geleitet hat.

Morgan, die in Georgia als Tochter eine Imkers aufwuchs, ist als Künstlerin etabliert. Sie hat im New Yorker MoMa, im Victoria and Albert Museum, der Tate Modern in London und vielen anderen Museen und Galerien auf der ganzen Welt ausgestellt. Die Aufträge und Stipendien, die sie bekommt, finanzieren die Arbeit und das Leben auf Mildred’s Lane (zusammen mit den Gebühren, die die StundentInnen ihrer Summer School zahlen). Geld bleibt dabei selten übrig. „Mein Konto steht eigentlich immer auf Null.“

An diesem Social Saturday kommt die New Yorker Kuratorin Joanna Ebenstein für einen Vortrag nach Mildred’s Lane. Die Fellows und Gäste sitzen an langen Tischen in der Scheune auf dem Boden, während Joanna Bilder von bizarren anatomischen Ausstellungen aus vergangenen Jahrhunderten an die Wand wirft. Danach wird gegessen. Ein Festmahl, das Athena, die Gast-Köchin nach einem Schwarz-Weiß Schema geplant hat. Gebackene weiße Rüben und Frühlingszwiebeln aus dem Garten, weißer Reis, weiße Pilze, schwarze Algen und dunkler Grünkohl. Dazu sehr viel Wein.

Die Einkaufsliste für das Schwarz-Weiß-Festmahl.
„Food Choreographer“ Athena in der Küche: Für sie ist Kochen und Essen eine Form von Kunst, ebenso wie Tanz.
Küchenstilleben. In den Eierschalen wird später Pudding serviert.

Morgan sitzt mit einem Glas Rotwein in der Hand auf Sofa etwas abseits im Dunkeln und schaut auf ihr Werk. Als ich mich zu ihr setze, erzählt sie mir von ihrem Plan. „Ich liebe Mildred’s Lane, aber es macht mich auch wahnsinnig.“ Milded’s Lane soll ein großes Wissensarchiv sein, in das jüngere KünstlerInnen kommen können, um Erfahrung aufzunehmen und ihr Wissen hier zu hinterlassen. Aber ihr Haus und ihr Leben ständig mit so vielen Menschen zu teilen, fällt ihr nicht immer leicht. Wie jede überarbeitete Mutter hat auch Morgan oft die Nase voll davon, Leuten hinterher zu räumen und sehnt sich nach Ruhe und Zeit für ihre eigene Arbeit, zu der sie hier kaum kommt. „Pass auf. Im Winter werde ich mich hier einschneien lassen. Ich feuere einfach den Typen, der den Pfad vom Schnee befreit, besorge mir genug Holz und Essen und habe dann zwei Monate lang meine Ruhe hier draußen. Das wird fantastisch.“

Mehr über die Geschichte von Mildred’s Lane und das Programm erfahrt ihr hier.