Nach einer Studie des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) wählen weniger als 1 Prozent der Jugendlichen einen für das Geschlecht nicht typischen Beruf. Peter ist einer von ihnen – er arbeitet als Krankenpfleger und kümmert sich um alte Menschen.
Von Melanie Behr

Behutsam legt Peter* die Hand auf die Schulter von Frau Fischer* „Guten Morgen, Frau Fischer, Grüezi“. Frau Fischer öffnet die Augen und lächelt. Das Lachen ist etwas schief und es kommt kein Wort über ihre Lippen. Sie streckt Peter die linke Hand entgegen und drückt sie fest. „Frau Fischer hatte vor sechs Wochen einen Schlaganfall“ erklärt Peter. Seitdem ist ihre rechte Seite gelähmt und sie kann nicht mehr sprechen. Peter erzählt, was nun als nächstes passiert. Er wird der weißhaarigen Dame zuerst im Bett die Beine und den Intimbereich waschen und anziehen, ihr dann an die Bettkante helfen und sie in einen Rollstuhl umsetzen. Gemeinsam fahren sie zum Waschbecken und er wird ihr dabei assistieren, sich Gesicht und Körper zu waschen und sich anzuziehen.

Typische Frauenberufe haben keinen hohen gesellschaftlichen Status

Peter hat seine Krankenpflegerausbildung vor 12 Jahren in Deutschland abgeschlossen und arbeitet seitdem mit PatientInnen nach Schlaganfällen, Schädel-Hirn-Traumata, Hirnblutungen und anderen neurologischen Erkrankungen. Seit sechs Jahren ist er in einer Rehaklinik in der Schweiz angestellt. „Eigentlich hatte ich mit 16 eine Lehre zum Grosshandelskaufmann begonnen, aber das hat mir nie großen Spass gemacht. Während meines Zivildienstes habe ich gemerkt, wie gerne ich mit Menschen arbeite. Dann habe ich einfach umgesattelt und eine Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht. Dass dies als ein typischer Frauenberuf angesehen wird, war bei meiner Entscheidung nicht wichtig.“

Alltag im Krankenhaus (Situation nachgestellt), Foto: Melanie Behr

In der Schweiz ist dies jedoch immer noch ein entscheidender Faktor bei der Berufswahl. Nach einer Studie des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) wählen weniger als 1 Prozent der Jugendlichen einen für das Geschlecht nicht typischen Beruf, wie z.B. Pflegefachmann oder Automechanikerin. Viele typische Frauenberufe haben keinen hohen gesellschaftlichen Status, sie bieten wenig Aufstiegschancen und werden im Vergleich zu anderen Berufen schlechter bezahlt. Dies macht sie für Männer als Beruf häufig unattraktiv.

Schminken wird Männern nicht zugetraut

Auch im Pflegebereich selbst ist es schon so, dass viele Männer die technische Seite bevorzugen“, erklärt Peter. „Sie arbeiten häufiger auf Intensivstationen oder im OP- und Anästhesiebereich. Es hat so eine handwerkliche Seite. Vielleicht können sie das ja nach außen besser verkaufen.“ Gerade streift er den Waschhandschuh über die gelähmte Hand von Frau Fischer und führt den Arm langsam über ihre weniger betroffene Seite. Sie soll wieder lernen, die beginnende Aktivität in ihrem schwachen Arm zu nutzen. „Use it or lose it“, erklärt Peter und lächelt dabei. „Es braucht schon viel Zeit, mit den Patienten so langsam zu arbeiten und sie zu unterstützen vieles selbst zu machen.“ Das lässt sich im Pflegealltag nicht immer umsetzen. Es ist aber wichtig, es ständig wieder aufzugreifen und es zu versuchen. Frau Fischer kämmt sich mit der linken Hand durch das Haar. Peter hilft ihr an den Stellen, die sie nicht erreichen kann. „Haare frisieren oder schminken werden einem als Mann häufig nicht zugetraut, aber das kann man genauso lernen wie meine weiblichen Kolleginnen rasieren lernen müssen.“

Als Mann ist man in einem Pflegeteam häufig der Exot. Fragt man die weiblichen Kolleginnen von Peter, finden sie es gut, wenn ein Mann im Pflegeteam ist. Er wirke einem Ungleichgewicht entgegen, sagen sie. Gerade, wenn es um die Intimsphäre der PatientInnen geht, ist es häufig angenehmer, wenn das gleiche Geschlecht pflegt. So werden die Männer, wenn es möglich ist, dann auch bei Männern eingesetzt. Und natürlich kann man ihn bei „Spezialitäten“ rufen. Manchmal ist ein Patient aufgrund seiner Erkrankung distanzlos oder zudringlich, hierbei wirkt ein Mann anders auf den Patienten, er wird als Schutz geholt. Auch bei schweren PatientInnen unterstützt er, z.B. beim Umsetzen in den Rollstuhl, mit seiner körperlichen Kraft. Der Mann als Retter in der Not. So lebt ein Teil des Klischees auch in diesem untypischen Setting weiter.

Es existiert die Ansicht, alle männlichen Pfleger seien schwul

Ein weiteres Klischee, mit dem Peter immer wieder konfrontiert wird, ist es, homosexuell zu sein. Obwohl Männer in der Pflege mittlerweile ’normaler‘ geworden sind, werde schon manchmal genauer hingeschaut, wie das Verhalten oder die Gesten sind, berichtet Peter. Manchmal haben Angehörige Mühe damit, dass die Pflege ein Mann macht, da sie es sich selbst nicht für sich vorstellen könnten. „Bei einer Fortbildung hat mir ein Schweizer Kollege aus dem Kanton Obwalden erzählt, dass in seinem Heimatort die Ansicht herrsche, alle männlichen Pfleger seien schwul“, sagt Peter. So gibt es auch in der neurologischen Rehaklinik, in der er arbeitet, kaum Schweizer Pflegefachmänner. Die meisten männlichen Krankenpfleger oder Pflegehilfen kommen aus Deutschland oder Frankreich.

Frau Fischer sitzt nun gewaschen und angezogen im Rollstuhl und wird nach draußen in den Frühstücksbereich geschoben. Dort wartet schon eine Logopädin, die mit Frau Fischer zusammen das Frühstück zubereitet und aufpasst, dass sie sich beim Essen nicht verschluckt. „Wir von der Pflege helfen auch oft den Patienten beim Essen. Das braucht viel Zeit“, erklärt Peter. Essen richten, Essen eingeben oder darauf achten, dass sich der oder die Patientin nicht verschluckt dabei, wenn das Schlucken schwer fällt. Sonst ist die Gefahr groß, dass Teile der Nahrung in die Lunge geraten und sich eine Lungenentzündung entwickelt.

Peter verabschiedet sich noch schnell von Frau Fischer. Er muss zum nächsten Patienten. Dort ist Duschen geplant. Frau Fischer lächelt schief. Peter streichelt ihr sanft über die Schulter. „Ich mag meinen Beruf. Ich arbeite gerne mit Menschen. Wichtig ist es, dass die Professionalität nicht verloren geht und man nicht zu kumpelhaft mit den Patienten umgeht. Das Verhalten sollte immer von Respekt, Menschenwürde und Ganzheitlichkeit geprägt sein.“ Peter schaut noch kurz Frau Fischer beim Essen zu, dann muss er weiter. Er hat bis zur Pause noch viel zu tun.

* Alle Namen von der Autorin geändert