Von Sandra Roncoroni
Einflussreiche Frauen und Männer strahlen, lächeln, blicken verschämt weg oder posieren genussvoll. Nur wenig weiter finden sich Randständige der Gesellschaft mit durchbohrten Körpern und melancholischen Blicken unter Bekannten und Befreundeten der Fotografin. Ihnen allen gemeinsam ist das Gefühl von unmittelbarer Nähe, das durch die Bilder in der betrachtenden Person erzeugt wird. Der Webauftritt der Fotografin Linda Pollari dokumentiert, wie vielschichtig sie arbeitet. Dass Portrait- und Reportagefotografie ihre Spezialgebiete sind, zeigt sich darin, wie ihre Bilder die volle Konzentration auf das Individuum zulassen, wodurch die Unterschiede zwischen den Abgebildeten sich deutlich hervorheben.

Die junge Fotografin lebt und arbeitet momentan in Zürich als Selbstständige. Direkt nach dem Studium hat sie in einer Werbeproduktionsagentur als Werbefotografin angefangen. Dort sieht der Alltag ganz anders aus. „Ich hatte dort einen fixen Arbeitsplatz und mehr oder weniger regelmäßige Arbeitszeiten“, erzählt Pollari. „Mit der Zeit kam das Gefühl, dass die Abwechslung und Herausforderungen durch die Routine etwas in den Hintergrund getreten sind. Ich hatte das Bedürfnis nach einem weiteren Schritt. Die Selbstständigkeit dient mehr zur Überbrückung, gleichzeitig ich bin gespannt, was dabei herauskommt.“

Bis es so weit ist, lässt Pollari die Welt auf sich zukommen. „Nichts ist planbar, nur bereit, entdeckt zu werden“, steht auf ihrer Website. „Ich möchte die Offenheit haben, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen“ erklärt sie auch beim gemeinsamen Gespräch in einer geschäftigen Café Bar in Bern. Dass sie Fotos so aufnimmt, wie sie ihr entgegenkommen, zeigen die Bilder von Zebra.

Eine junge Frau mit vielen Piercings im Gesicht und teilweise rasierten, teilweise schwarzen Haaren hat sie im Vorbeilaufen mal um Geld gebeten. Nicht wie viele Leute, welche sich unangenehm berührt abwenden würden, hat Pollari sie daraufhin einfach um ein Foto gebeten. Ist dann schnell nach Hause die Kamera holen gegangen und hat die Jugendliche, eben Zebra, fotografiert. „Ich weiß nicht, ob ich solche Leute anziehe, aber ich werde oft auf der Strasse angequatscht“, erzählt die Fotografin. Die Bilder auf ihrer Website beweisen, dass sie Recht hat und keine Angst davor, diese Personen ebenfalls um einen Gefallen zu bitten. “Dazu finde ich es spannend, was die Leute mir dabei erzählen, ich höre ihnen gerne zu“, erklärt Pollari.

Natürlich kommt es öfter vor, dass es umgekehrt läuft und Pollari um ein Foto gebeten wird. Ist dies der Fall, hat sie dann schon so einiges in der Hand. „Bei einem Auftrag, da hast du schon einen gewissen Einfluss. Auch wenn das Modell ein CEO einer berühmten Schweizer Firma ist und 20’000 Franken im Monat verdient, vor der Kamera macht er, was ich ihm sage.“ Und dass sie das tun, diese CEOs und weiteren Modelle, scheint Pollari immer wieder zu überraschen. Zum Beispiel, wenn sie von einem Kunden erzählt, der auf ihren Vorschlag hin in den Socken auf die Lehne seines Sofas geklettert sei, damit sie ein gutes Foto von ihm machen konnte. Pollari erklärt dies mit dem Vertrauen, das die Modelle ihr als Fotografin und ihrem somit geschulten Auge für gute Bilder entgegenbringen.

„Ich versuche vor allem, eine angenehme Stimmung zu erzeugen.“ Eine Stimmung, in der man schnell mal aus den Schuhen steigt, scheint doch einiges an Sozialkompetenz von der Seite der Fotografin zu fordern. Pollari beschreibt zwar, dass FotografInnen oft „EigenbrötlerInnen“ seien und nicht unbedingt gewohnt im Team zu arbeiten, sie selbst aber empfindet dies eher als ein Nachteil an ihrem Beruf. Vielleicht sind der fehlende Umgang mit einem Team und der seltene Austausch mit BerufskollegInnen der Grund dafür, dass für sie der Kontakt mit Menschen am wichtigsten ist für einen interessanten Auftrag.

„Manchmal heißt es, ‚wir wollen dich, weil du so einen guten Umgang mit den Kunden hast’“, erzählt sie. So kann es im männerdominierten Business der Fotografie ein Vorteil sein, eine sozial kompetente, junge, zierliche Frau wie Pollari zu sein. Darauf angesprochen, ob sie diese Merkmale auch schon als Nachteil erlebt habe, gibt Pollari ihre These wieder. Weil Fotografie immer noch als ein technischer Beruf, als Handwerk wahrgenommen werde, werde einem Mann in diesem Beruf manchmal automatisch mehr zugetraut. Sie habe auf jeden Fall schon den Eindruck gehabt, oder „ein bisschen einen Komplex“, wie sie es beschreibt, dass manche Aufträge eher an einen älteren, männlichen Kollegen vergeben wurden als an sie. Aber eben, es gibt auch den oben erwähnten Fall, in dem Pollari mehr Vorteile hat. Klischees bestehen also vermutlich für beide Geschlechter im Business und können, müssen aber nicht die Auftragsvergabe beeinflussen.

Mit der Auftragsvergabe hat aber auch die Fähigkeit sich verkaufen zu können zu tun. Diese ist für Pollari eine „Frage des Charakters“, gleichzeitig sieht sie aber Unterschiede im Umgang mit Selbstzweifel, die diese Fähigkeit ja auch beeinflussen können. Männliche Kollegen, so Pollari, haben oftmals weniger Selbstzweifel als ihre weiblichen, und sie lassen diese dann auch weniger durchblicken als sie selbst. Doch obwohl sie selbst dieses Problem kennt, fordert sie alles andere als Zurückhaltung von ihren Geschlechtergenossinnen.

„Klar ist es so, dass sich manche Männer immer noch zum ‚stärkeren’ Geschlecht gehörig fühlen. Ich aber habe das Gefühl, dass wir hier jetzt in unserer Kultur es ziemlich ausgeglichen haben. Ich als Frau habe Möglichkeiten, alles zu tun, jede Frau hier kann das auch und ich erwarte, dass auch Frauen den Mund aufmachen, wenn ihnen etwas nicht passt und nicht einfach schweigen und zuschauen.“ Das erwartet sie auch von ihrer Interviewerin, die sie im Anschluss an diese Erklärung mit der Frage „Und was denkst du denn dazu?“ überrumpelt. Langsam beginne ich zu erahnen, wie ein hohes Tier der Schweizer Wirtschaft sich plötzlich in seinen Socken auf dem Sofa stehend wiederfand. Ich stimme Linda Pollaris Haltung zu, und denke, dass es wichtig ist zu betonen, dass „wir hier jetzt in unserer Kultur“ von uns sprechen. Es gibt immer noch viele Aspekte, auch „hier“, welche es Frauen verunmöglichen, den Mund überhaupt aufzumachen.

Dass Unterschiede zwischen Mann und Frau bestehen, ist für Pollari jedoch klar, und dabei kommt sie aufs Schminken zu sprechen. „Mir hat mal jemand gesagt, Frauen schminken sich nicht für Männer, sie schminken sich für die anderen Frauen.“ Sie findet, dass das stimme, denn es falle doch den wenigsten Männern auf, ob sie nun geschminkt und sorgfältig frisiert sei oder nicht, meint sie, hingegen einem weiblichen Gegenüber schon.

Viele der Frauen jedenfalls, denen Pollari mit ihrer Kamera gegenüber stand, wirken ausgesprochen natürlich und sind kaum geschminkt. Unter ihren Portraitierten sind es eher die Männer, welche sorgfältig zurechtgemacht sind und spezielle Sorge zu ihrem Äußeren zu tragen scheinen. Gut ersichtlich schreckt Pollari nicht davor zurück, Konventionen zu durchbrechen. Der halbnackte Mann mit Bierbauch, den sie auf einem Mülleimer sitzend fotografiert hat, sieht geradezu aufreizend aus.

„Ich gebe schon auch Anweisungen oder Vorschläge, aber ich nehme die Leute, wie sie sind“, meint Pollari. Dazu passt ein weiterer Satz, der sich auf ihrer Website befindet: „Linda Pollari macht sich kein festes Bild von der Welt.“ Diese Sätze, die aus verschiedensten Rückmeldungen auf ihre Arbeit entstanden sind, scheinen aussagekräftig für ihre Haltung der Welt gegenüber, auch grundsätzlich. Obwohl Fotografieren bedeutet, einen Moment, den Eindruck eines Menschen festzuhalten, für immer beinahe, scheint ihre Arbeit nicht auf Linda Pollaris Weltbetrachtung abgefärbt zu haben. Wie auf ihrer Website, findet sich bei ihr für alles einen Platz.