Die USA waren immer schon an der Speerspitze des Kampfes um Gleichberechtigung. Sie hatten eine Bürgermeisterin noch bevor Frauen ab 1920 überhaupt wählen durften. Sie hatten die erste Klinik für Verhütung. Sie hatten die erste Nobelpreisträgerin (Jane Addams), die erste Investigativjournalistin (Nelly Bly) und die erste Transatlantikfliegerin (Amalia Earhardt). Sowie natürlich den Civil Rightst Act, der seit 1964 die Diskriminierung auf der Basis von race und Geschlecht verbietet.

© BuzzFeed News

Und nun sind sie wieder die ersten. Sie haben den ersten Präsidenten, der sich für seine Kleiderwahl die gleichen hämischen Kommentare anhören darf wie sie seine mächtigen Kolleginnen sie schon seit Jahren nach jedem öffentlichen Auftritt bekommen.

Nachdem Präsident Obama vergangenes Wochenende in einem hellbeigen Sommeranzug vor die Republik trat, um wichtige politische Themen wie die Wirtschaftslage, die Ukraine und den Vormarsch der Islamic State anzusprechen, war das Internet außer sich. Wegen seinem Anzug.

Der war ohne Zweifel näher an etwas, das bei Tschibo im Angebot ist denn an seiner üblichen elegant understateten Garderobe. Eine merkliche Abweichung von seinen bisherigen vestimentären Praktiken, die – wie er selbst noch vor einiger Zeit der Vanity Fair mitteilte – ganz am klassischen grau und blau orientiert sind: „I’m trying to pair down decisions. I don’t want to make decisions about what I am wearing or eating. Because I have too many other decitions to make.“

Der Rückgriff auf die Uniform als Entlastung. Als kompetenter Mensch in verantwortlicher Position – und viel verantwortlicher wird es nicht mehr – hat man schließlich Wichtigeres zu tun als morgens lang vor dem Schrank herumzustehen. Gesetzliche Krankenversicherung einführen zum Beispiel, oder Luftschläge in Syrien fliegen lassen.

Mit dieser Strategie ist Obama bislang gut gefahren, er hat es sogar geschafft, sie als Zeichen seiner Produktivität und Kompetenz zu verkaufen. Er konnte glaubhaft machen, dass sein Desinteresse an Mode im nationalen Interesse liegt – etwas, das bei US-AmerikanerInnen immer gut ankommt. Das ist nun allerdings vorbei. Er hatte offenbar am falschen Beraterposten gespart.

Irin Carmon von MSNBC war die erste, die es offen aussprach:

 

Wir haben es geschafft: Die Reduktion auf den modischen Auftritt – oder das momentäre Scheitern an Selbigem – ist nun nicht mehr alleine Privileg des weiblichen Geschlechts. Was für Frauen in mächtigen Positionen schon seit Jahren vollkommen normal ist – dass alle Welt ihre Hosenanzüge (zu bunt, zu langweilig, zu sexy, zu unsexy), ihre Frisur (zu topfig, zu bitchy, zu Vogelnest), ihre Schweißflecken, ihr Einkaufsverhalten und ihre Kleidergröße kommentiert, während sie gerade damit beschäftigt sind, DEN LADEN AM LAUFEN ZU HALTEN –, diese Form der Aufmerksamkeit kann nun auch dem Präsidenten der USA zuteil werden.

Er darf seinen Mund bewegen, seine Einschätzung der Dinge mitteilen, kompetent, mächtig und einflussreich sein – und alle reden danach über sein Outfit.

Noch besser: Seine Kleiderwahl kann nun auch politisch gegen ihn verwendet werden. Wie der Republikanische Kongressabgeordnete Peter King nämlich bemerkte, war Obamas Anzug nicht nur geschmacklos. Er war Zeichen von Weicheitum, Inkompetenz und Null Plan. „There’s no way, I don’t think, any of us can excuse what the president did yesterday,” sagte King einem rechtsorientieten Sender. „When you have the world watching. For him to walk out (…) in a light tan suit, saying that first he wants to talk about what most Americans care about the revision of second quarter numbers on the economy. This is a week after Jim Foley was beheaded and he’s trying to act like real Americans care about the economy, not about ISIS and not about terrorism.“

Wie das New York Magazine daraufhin hämisch bemerkte, soll King selbst schon in beigen Anzügen gesichtet worden sein. Aber das war natürlich vor 9/11 und nicht während einer globalen Krise, in der Islamisten dabei sind die Weltherrschaft an sich zu reißen. Insofern etwas ganz anderes.

 

Der Punkt ist: Diese Häme und Schärfe in der interpretatorischen Auslegung modischer Entscheidungen, die kannten bisher nur Hillary Clinton, Madeleine Albright, Angela Merkel und so ziemlich jede andere Frau, die in einem nicht total unwichtigen Posten öffentlich auftritt. Nun aber auch der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Meilenstein.

Natürlich sollten wir nicht so tun, als sei damit schon alles erreicht. In vielen Punkten werden mächtige Männer nach wie vor nicht gleich behandelt. So wurde Obama etwa noch nicht dafür kritisiert, dass er keinen Lippenstift trägt. Oder dass er zu viel Lippenstift trägt. Doch wir nähern uns langsam an.

Heben wir unser Glas darauf und laufen weiter in Richtung einer utopische Zukunft, in der Menschen ungeachtet ihres Geschlechts die gleiche beschissene Behandlung zuteil wird.

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