Anne, für einen weiterführenden Aufschrei ist Dein Buch sehr nett und lustig geschrieben. Glaubst Du, dass Wut bei den Leser_innen nicht gut ankommen würde?
Wut schadet gar nicht! Ich habe im Grunde aber einfach gebloggt und so geschrieben, wie ich auch spreche. Mir ist wichtig zu zeigen, dass eine Auseinandersetzung mit Feminismus nicht extrem akademisch sein muss.

Foto: Anne Koch

Du schreibst auch, dass Du dir gerne die Fingernägel lackierst. Warum ist das von Bedeutung?
Wenn ich so etwas schreibe, habe ich Mädchen und junge Frauen im Kopf, die wegen bestimmter Stereotype denken, dass sie nicht politisch aktiv sein können, nur weil sie sich gerne schminken. Gerade nach Veranstaltungen haben mich immer wieder junge Frauen angesprochen, die ganz überrascht waren, dass grob gesagt beides geht: Feminin sein und Feminismus. Das ist eine wichtige Erkenntnis.

Ein klassisches Vorurteil. Welche gibt es da noch?
Feministinnen wollen Hausfrauen abschaffen.

Oh, wollen wir nicht? Aber das damit verbundene Abhängigkeitsverhältnis lässt sich doch eher schwer verteidigen!
Klar, wenn wir da im Detail diskutieren, würde ich natürlich das problematische Ehegattensplitting anbringen, was ja eindeutig dazu führt, dass mehr Frauen zu Hause bleiben, weil es ihnen logisch erscheint – der Mann verdient ja eh mehr. So betrachtet ist das natürlich eine mäßig freie Entscheidung und deshalb gehört das Ehegattensplitting auch abgeschafft. Aber ich würde keine Frau zum Arbeiten zwingen.

Im ersten Teil Ihres Buches beschreibst Du weitere Missstände in unserer Gesellschaft ausgesprochen lang und ausführlich – hattest Du Angst, falsch verstanden zu werden?
Das nicht, aber mir war es einfach sehr wichtig, das Problem in seiner Masse sichtbar zu machen. Sexismus ist eben nicht nur, wenn ältere Politiker das Dekolletee von Journalistinnen kommentieren, sondern Sexismus ist all das: dass die Pille danach nicht rezeptfrei erhältlich ist, dass Abtreibungen in Deutschland de facto noch illegal sind, dass an Frauen ungleich härtere Schönheitsideale als an Männer angelegt werden. Und das hängt alles miteinander zusammen und deshalb müssen wir das auch als Gesamtproblem angehen. Ich wollte zeigen, dass uns Sexismus einfach in allen Lebensbereichen einschränkt. Und wir können vor allem etwas dagegen machen.

Der bewegendste Teil des Buches ist sicherlich, als Du fast minutiös beschreibst, wie #aufschrei entstanden ist und auch einige Tweets dieser Tage aufführst. Da kommt die ganze Kraft des vergangenen Jahres noch einmal zurück. Aber es macht auch etwas traurig, weil es sich anfühlt, als sei all das wieder vergessen worden…
Es war wirklich krass zu beobachten, wie diese persönlichen Tweets in der medialen Debatte kaum noch thematisiert wurden und es eher hin zu Befindlichkeitstexten ging, die sich dann gerne mal abstrakt mit diesem Fahrstuhlbild – Mann und Frau alleine im Fahrstuhl – beschäftigt haben. Ich hab das vor allem als Taktik gesehen, um von dieser nackten Wahrheit abzulenken, die sich in dieser Masse an Tweets manifestiert. Genauso eben das Schreiben über Rainer Brüderle, der, das will ich noch mal sagen, nicht der Auslöser für #aufschrei war – das war ein zeitlicher Zufall.

 

Mittlerweile hast Du dich öffentlich nicht nur als Feministin, sondern auch als Ostdeutsche positioniert. Wann bist Du dir dieser Identität bewusst geworden?
Da gab es einen Moment, den beschreibe ich auch im Buch, als wir meine Westverwandtschaft das erste Mal besuchen gefahren sind – fast alle Frauen da waren Hausfrauen. Das habe ich überhaupt nicht verstanden. Die einzige Hausfrau, die ich bis dahin kannte, war meine Oma, eine Rentnerin.

Spielen Frauen aus Ostdeutschland eine besondere Rolle im Feminismus der vergangenen Jahre?
Das kann ich nicht sagen, man erkennt uns ja nicht! Unsere Generation geht mit ihrer Herkunft nicht hausieren. Es spielt auch nicht mehr so eine große Rolle, aber gerade, wenn wir darüber sprechen, was uns beeinflusst hat, kommt die Herkunft zum Vorschein. Die Mauer ist zwar vor 25 Jahren gefallen, aber dadurch ist nicht alles verschwunden, was mit dem Osten zu tun hat. Das war mir auch ein Wunsch mit dem Buch: sichtbar zu machen, dass sich in der DDR Dinge bewegt haben, die aber mittlerweile vollkommen vom Radar verschwunden sind. Ich möchte mir auch keine Geschichte überstülpen, die ich nicht teile – im Gegensatz zu westdeutschen Feministinnen wollte ich mich nie von meiner Mutter abgrenzen, sondern finde es toll, was sie gemacht und erreicht hat.

Zu diesem Thema gibt es noch einiges an Redebedarf. Statt dessen drehen sich die meisten feministischen Diskussionen im Netz um Themen aus den USA oder Großbritannien. Warum gibt es bei uns gefühlt nur einen wichtigen Hashtag pro Jahr, während dort zehn pro Monat entstehen?
Wir sind in Deutschland einfach noch sehr hinterher, was Social Media oder Online-Aktivismus an sich angeht. Da haben noch nicht alle verstanden, was für ein nützliches politisches Werkzeug ein Hashtag sein kann. Deshalb war es mir auch damals wichtig, als ich #aufschrei vorgeschlagen habe, einen deutschen Begriff zu wählen. Wir müssen unsere eigene Sprache finden und auch benutzen. Dass es funktionieren kann, zeigen ja auch Hashtags wie #wiesmarties zur Debatte über die Pille danach oder #schauhin zu Alltagsrassismus.

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Solche Hashtags generieren schnell eine große Öffentlichkeit, die oft auch zu Hass-Mails führt, also Beschimpfungen und Drohungen per E-Mail. Wie schützt Du dich davor?
Aus der Erfahrung von #aufschrei habe ich mir im Vorfeld der Buchveröffentlichung schon überlegt, wie ich damit umgehen will – auf welchen Kanälen kann ich mich wie schützen? Das geht nur mit Menschen, die meinen Twitter- oder E-Mail-Account filtern. Bei letzterem übernimmt das zum Beispiel mein Freund. Der leitet mir wichtige Sachen weiter und alles andere sieht nur er.

Dann ist die Strategie, den Hass zu teilen?
Ja. Es war mir vor allem aber auch wichtig, dass das Männer sind, die das Filtern, weil es einfach einen Unterschied macht, so etwas zu lesen, wenn man selbst nicht von Sexismus betroffen ist. Das funktioniert gerade ganz gut. So viel Negativität, wie ich in der Hochphase von #aufschrei mitbekommen habe, ist einfach nicht gesund.

Liest Du die Kommentare unter den Texten etwa auf Stern.de oder Spiegel Online über dich?
Nein. Das habe ich auch bei #aufschrei schon nicht gemacht. Das verbessert das Leben ungemein. Das Problem ist ja bekannt, aber die Kapazitäten meistens nicht da, um ausreichend zu moderieren. Von daher finde ich das, was die Süddeutsche jetzt gemacht hat, die Kommentarfunktion abzustellen, eigentlich ganz konsequent als Experiment. Stattdessen gibt es intensiv moderierte Diskussionsforen zu bestimmten Themen. Ich bin gespannt, wie sich das weiter entwickelt.

Aber dann kommen immer die Leute, die sagen, dass starke Moderationen die Meinungsfreiheit einschränken…
Das ist Quatsch. Diese Debatte fehlt auch vollkommen! Was ist denn diese Meinungsfreiheit wert, wenn in solchen Kommentaren gegen Menschen gehetzt wird, die sich daraufhin gar nicht mehr trauen, sich zu äußern. Wessen Meinungsfreiheit wird denn dann beschnitten, wenn wir diese Art von Kommentaren erlauben? Was ist „Freiheit statt Angst“ wert, wenn es eh nur um die Freiheit von weißen Chaos-Computer-Club-Nerds geht und eindeutige Probleme wie Online-Misogynie komplett ausgeklammert werden? Was ist das für ein Freiheitsbegriff?

Neben diesem schroffen Ton im Netz, gerade gegenüber Frauen, mehren sich ja auch Diskussionen um den so genannten Genderwahn, Gender Professor_innen werden Opfer von Hasskommentaren, Frauen, die Sexismus in der Spieleindustrie ansprechen, bekommen Morddrohungen. Wie oft ist Dir in den letzten Monaten das Wort Backlash in den Sinn gekommen?
Sehr oft, oh ja! Das alles zu verstehen, dabei hat mir ein toller Artikel der britischen Bloggerin Laurie Penny geholfen. Sie meinte, dass all das extrem ist, aber eben auch ein Zeichen, dass sich da ein paar Leute mit Händen und Füßen wehren, weil die Welt um sie herum sich verändert und sie nicht wissen, warum. Gerade im Zuge der Angriffe gegen Anita Sarkeesian, die sich in Webvideos mit Sexismus in der Spieleindustrie beschäftigt, war es schön, dass sich Leute wie der bekannte US-amerikanische Regisseur Joss Whedon solidarisch gezeigt haben. Da ist mir das Herz aufgegangen! Und das machen immer mehr Leute, die früher nichts gesagt haben. Deshalb sehe ich nicht nur den Backlash, sondern auch die breitere Unterstützung. Der Wandel ist auf dem Weg und nicht zu stoppen.

 

Glaubst Du, dass Feministinnen abhängig von der Unterstützung der Männer sind?
Es ist natürlich wichtig, dass wir an einem Strang ziehen. Es gibt ja viele Männer, die keine Lust auf diese sexistische Struktur haben, aber denken, dass sie darüber nicht reden dürfen, nur weil sie Männer sind. Die braucht es aber, um das Thema noch sichtbarer zu machen. Ich glaube nicht, dass Feministinnen in dem Sinne abhängig sind, aber es geht eben einfach viel schneller so.

Anderthalb Jahre nach #aufschrei scheint bei den meisten Männern nicht viel davon im Gedächtnis geblieben zu sein. Nach einer anzüglichen Bemerkung folgt der Zusatz “…aber das darf ich ja nicht sagen.“ Siehst Du das anders?
Wenn ich nicht daran glauben würde, dass Männer durchaus offen sind für solche Themen und auch bereit sind, darüber zu diskutieren und sich dafür einzusetzen, würde ich das alles hier gar nicht machen können. Allein die Männer in meinem Umfeld sind der beste Beweis dafür, dass das geht. Wichtig ist: Wir müssen wegkommen von diesem Lippenbekenntnis: „Ohja, da ist etwas schlimm.“ Hin zu: „Ich kann selbst etwas tun und Teil dieses Wandels sein!“ Und das passiert häufiger, als wir denken. Diese Männer sind auch etwas stiller und es treten mehr die lauten Feuilletonisten in Erscheinung, die mit Veränderung ein Problem haben und ihre Herrenwitze behalten wollen. Es gibt aber eben auch die Leute, die mit der Frage „Darf ich das jetzt überhaupt noch sagen?“ eine gewisse Unsicherheit ausdrücken. Und Unsicherheit finde ich erst einmal gut, denn sie zeigt: Die Leute sind aus dem Konzept gekommen, in dem es ok war, bestimmte Sachen zu sagen oder zu tun.