Für das neue Album hab ich noch mal ganz von vorne angefangen. Es handelt davon, wo ich zu dieser Zeit war. Von den Zweifeln, die ich hatte, ob ich jemals wieder singen würde. Ich bin morgens aufgewacht und habe mich gefragt, was ich mit mir anfangen sollte. Und das nicht in einem philosophischen Sinne, sondern ganz praktisch: Was mache ich heute? Wie schreibt man denn eigentlich einen Song?

Foto: Holly Andres

Ich ging dann regelmäßig ins Studio, aber ich wusste nicht, worüber ich schreiben sollte. Eine Freundin fragte mich, was ich in meinem Studio so habe. Ich meinte: einen Computer, ein paar Trommeln, Verstärker. Sie fragte: Hast du auch Bücher, Magazine oder Kunst? Da habe ich begriffen, dass die Zeit im Studio nicht nur dafür da ist, ein Produkt fertigzustellen, sondern auch dafür, eine Welt voller Ideen entstehen zu lassen. Also hing ich ein Bild von Charlie Chaplin auf, stellte ein paar Schmuckstücke auf wie diese Ganesh-Statue aus Indien.

Und ich habe angefangen, mich mit anderen MusikerInnen auseinanderzusetzen, vor allem anderen Frauen. Ich habe Interviews gelesen, um mir besser vorstellen zu können, wie ihr Leben so ist, und zu verstehen, wie sie arbeiten. Ich will gar keinen kategorischen Unterschied zwischen Männern und Frauen ausmachen, aber ich glaube, es ist etwas sehr Spezielles, eine Musikerin zu sein und dabei das Gefühl zu haben, dass man wirklich man selbst sein kann – also auch schrullig und unangepasst, wie es bei männlichen Musikern durchaus normal ist.

Künstlerinnen wie Laurie Anderson, Bonnie Raitt oder Annie Lennox sind seltsam. Leute sagen: Waaas, warum trägt sie einen Anzug? Warum sieht ihre Frisur so komisch aus? Warum macht sie ein seltsames Spoken-Word-Gedicht? Heute ist das anders, weil diese Künstlerinnen inzwischen berühmt sind und Leute sie kennen. Es muss herausfordernd sein, sie zu sein.

Früher dachte ich noch: Wie seltsam!

Das erste Mal von Laurie Anderson gehört habe ich, als eine Freundin von der Uni mir was von ihr vorspielte. Zu der Zeit dachte ich noch: Wie seltsam! Aber kurz danach fing sie an, mich zu faszinieren, weil sie eine der wenigen KünstlerInnen ist, die die Grenzen der eigenen Kunstform überschreiten. Sie macht Theater, Performance, Poesie, Kunst, Musik, Popmusik ohne jegliche Grenzen dazwischen.

Irgendwann hatte ich dann die Gelegenheit, sie kennenzulernen, über eine gemeinsame Freundin. Das war im Januar 2013, kurz bevor ich mit der Arbeit an dem Album anfing. Wir verabredeten uns also und ich war peinlich spät dran, aber sie war nicht sauer. Also redeten wir eine Weile und um elf Uhr sagte sie, dass es ihr leid tue, sie jetzt aber gehen müsse. Sie hatte nicht etwa eine Verabredung mit jemand anders, sondern mit sich selbst – um ins Studio zu gehen. Das hat sich in meinen Kopf gebrannt.

Laurie Anderson hat die Karriere, die ich gerne hätte. Sie kann Kunst machen – aber mit einer gewissen Disziplin. Jemand meinte mal, dass man Musik nicht als Job bezeichnen dürfe, weil es dann so klinge, als würde es einem keinen Spaß mehr machen. Aber eigentlich ist es genau anders herum. Ich bin so dankbar, dass genau das mein Job ist. Und ich sollte da hingehen, wie andere Leute auch zur Arbeit gehen. Protokoll: Katrin Gottschalk

Wenn Merrill Garbus aka tUnE-yArDs singt, klingt das wie zehn Menschen gleichzeitig. Die Songs „Bizness“ und „Gangsta“ waren 2011 kleine Hits. Anfang Mai erschien das neue Album „Nikki Nack“ (Beggars/Indigo), das laut aufgedreht am besten klingt.

///

Laurie Anderson spannte schon in den 1970ern Magnetband statt Rosshaar auf ihre Geige. In ihrer
Arbeit verbindet sie immer wieder Bilder, Video, Licht, Sound und Elektronik.