Von Hengameh Yaghoobifarah

In Bad City, einem Ort, an dem Moral schon lange keinen Maßstab mehr ist, räumt ein Vampirmädchen die Straßen auf und bringt die gruseligsten Typen ins Zittern. Ihre Liebe für Schallplatten, Katzen und Tanz kommt erst unter ihrem dichten Vorhang zum Vorschein. Mit mystischen Schwarz-Weiß-Bildern, einem vibrierenden Soundtrack und dem Genre-Mix aus Vampirfilm, Western und Romanze schafft Ana Lily Amirpour mit „A Girl Walks Home Alone“ einen Film über Lethargie, den trügenden Schein und einem Vampir auf vier Rädern.

Regisseurin Ana Lily Amirpour (Bild: mm filmpresse)
Regisseurin Ana Lily Amirpour, © mm filmpresse

Missy: Was hat Sie in erster Linie dazu inspiriert, einen iranischen Vampirfilm zu machen?
Ana Lily Amirpour: Ich hatte für einen anderen Film ein Chador an und fühlte mich sofort wie eine Fledermaus und auf eine Art übernatürlich. Dann hatte ich das Bedürfnis, mit meinem Skateboard rumzufahren. So kam mir die Idee, die Figur eines iranischen Vampirmädchens zu schreiben, das sich in ihrem Chador getarnt bewegen kann. Niemand würde von dieser Person erwarten, dass sie ein gefährlicher Vampir ist. Aus dieser Idee ist alles entstanden.

Für mich als Muslima war dieses Bild der skateboardfahrenden Chador-Trägerin sehr empowernd. So ist das Gewand nicht zwangsläufig ein Symbol der Verhüllung, sondern auch ein Kostüm mit implizierten Flügeln.
Ja, das erlaubt der Chador visuell.

Das war für mich sehr neu, ich war schon häufig in Tehran, hatte aber nie diese Superheldinnen-Assoziation.
Ich weiß, ich finde es auch verrückt, es hat mich total überrascht. Die häufigste Zuschreibung des Chadors ist Religion oder das, was viele für eine Glaubenspraxis halten. Für mich impliziert es aber auch etwas ganz anderes: Menschen neigen dazu, einander aufgrund äußerlicher Faktoren zu bewerten und zu kategorisieren. Aber das ist nur die Oberfläche. Wenn Menschen anfangen würden, einander die Oberflächen abzuziehen und zu schauen, was die nächste Schicht ist, würden bei sehr vielen Personen Geheimnisse hervorkommen. Oder unerwartete Eigenschaften. Mir ging es vielmehr um diesen Faktor als um das Stigma einer Religion. Ich habe den Film nicht gemacht, um den Chador zu revolutionieren. (Lacht.) Ich möchte nicht für andere Leute sprechen und ein Thema so besetzen.

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Verdrehte Rollen: Gruseligen Typen creept sie hinterher. © capelight pictures. A Girl Walks Home Alone At Night (Filmstill)

Hatten Sie denn einen feministischen Anspruch, als Sie den Film gemacht haben?
Ich kann mit Kategorien nicht viel anfangen, ich denke aber, dass Filme mehr über ihre Betrachter_innen als über die, die sie gemacht haben, aussagen können.

Die Protagonistin ist einfach sehr stark, mutig und weist die unheimlichen Typen der Stadt in ihre Schranken. Gleichzeitig erscheint sie wie eine Beschützerin der Sexarbeiterin im Film.
Sie bringt aber auch unschuldige Personen um – und das scheinen viele zu übersehen. Ich habe den Film nicht als feministisches Projekt gemacht, sondern als einen Teil von mir selbst. Wenn ich Filme mache, erforsche ich immer meine eigenen Gefühle und Gedanken. Für mich geht es in dem Film mehr um Einsamkeit, Langeweile und Isolation. Es geht darum, sich nichts und niemandem gegenüber verbunden zu fühlen und trotzdem versuchen zu wollen, aus Dingen eine Bedeutung zu ziehen. Wissen Sie, ich hab keinen Film über ein Mädchen gemacht, das heiraten will. (Lacht.) Vielleicht ist der Film feministisch, sagen Sie’s mir, ich weiß es wirklich nicht.

a-girl-walks-home-alone-at-night-28786-320x400A Girl Walks Home Alone At Night
USA 2014
Regie: Ana Lily Amirpour
Verleih: Capelight Pictures
Mit Sheila Vand, Arash Marandi, Marshall Manesh

Wenn ich mir diese düstere, trostlose Stadt anschaue, in der sie wohnt, kann ich sehr gut verstehen, warum sie so ist, wie sie ist.
Über sie habe ich ja auch einen Comic gemacht, da gibt es noch viele andere Abenteuer, die sie erlebt und die der Film nicht erzählt. Ich weiß alles über ihre Vergangenheit, über die ehemaligen Wohnorte. Es geht noch viel tiefer.

Ihr Zimmer strahlt im Gegensatz zur tristen Außenwelt ja auch viel Wärme, Gemütlichkeit und Kultur aus. Das ist so unerwartet, verglichen mit anderen Orten, die es im Film zu sehen gibt.
Das zeigt auch wieder, dass du Dinge nicht nur oberflächlich betrachten sollst. Warum sollte es sich ausschließen, dass eine Person auf der Straße nicht auffällt und zuhause etwas ganz anderes ausstrahlt?
Das Äußere zieht vielleicht die einen Zuschreibungen an, das Innere, das Zuhause, kann trotzdem komplett anders sein. Ihr Zimmer ist auch eine Höhle, in der sie sich versteckt. Draußen konfrontiert man sich mit dem Weltschmerz, Zuhause befinden sich Dinge, die einem Wärme und Sicherheit geben. Zum Beispiel Musik! Gerade als unsterblicher, einsamer Vampir brauchst du Musik, weil sie dir eine stetige Begleiterin sein kann.

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Schwarzer Kajal und roter Lippenstift sind ihre Kriegsbemalung. © capelight pictures. A Girl Walks Home Alone At Night (Filmstill)

Ob Heldin oder Anti-Heldin, das Mädchen scheint ein Gespür für Gerechtigkeit zu haben – auch wenn sie einige Unschuldige umbringt.
Sie ist schließlich ein Vampir, Vampire bringen Menschen um, so sind sie nun mal konstruiert. Es ist ihre Sucht. Wir neigen dazu, Dinge in „gut“ und „schlecht“ aufzuteilen. Die Gefahr von solchen Zweiteilungen ist, dass sie ausblenden, inwiefern etwas im Verhältnis zu anderen Dingen ist. Etwas kann nur so lange gut sein, wie etwas Schlechtes dem gegenübersteht. Wenn du plötzlich etwas Besseres daneben stellst, wird das Gute zum Schlechten.

In ihrer Stadt Bad City ist es schwer, etwas Gutes zu finden, alles scheint so schlecht. Ein Teil der immensen Aversion, die sie so erfüllt, kann ja auch aus ihrer Langeweile kommen.
Auf jeden Fall. Sie ist aber auch sehr neugierig. Es geht sie eigentlich nichts an, wie die anderen Leute in der Stadt drauf sind. (lacht)

Oh ja, zum Beispiel, als sie der Sexarbeiterin ihre Lust am Beruf absprechen will.
Ja, sie sollte sich erst mal um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern, anstatt anderen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben.

Foto: capelight pictures. A Girl Walks Home Alone At Night (Filmstill)
Nicht alles, was nach Vampir aussieht, ist auch Vampir. Und umgekehrt. © capelight pictures. A Girl Walks Home Alone At Night (Filmstill)

Die Schwaz-Weiß-Ästhetik lässt den Film zeitlos erscheinen, es ist schwer zu sagen, ob er in den 70ern oder aktuell spielt.
Das war mir sehr wichtig. Meine liebsten Filme sind wie Märchen und finden in einer anderen Zeitrechnung an einem Traumort statt. Die monochromen Farbeinstellungen lassen zu, dass der Film wie eine Traumsequenz ist und sich von der Realität klar abhebt. Das war eine bewusste Konstruktion. Filme müssen auch keinen Sinn ergeben, sie sind keiner Form der Logik verschuldet, sondern können neue Regeln haben, können anders sein als die Realität.

Wo haben Sie eigentlich gedreht?
Das war in einer kleinen Ölstadt namens Taft in California. Natürlich nicht im Iran selbst.

Vielen Dank fürs Gespräch und für diesen wunderbaren Film!
Es freut mich, dass der Film so gut ankommt, vielen Dank!