Er ist beliebt, ja geradezu geliebt – der Glatzkopf mit dem hochgeschlagenen Kragen. Auch wenn der neue griechische Finanzminister für die Eurohüter als unverschämt und unfähig gilt, sorgt Yanis Varoufakis als Persona für Furore, nicht zuletzt weil er, als Frauenschwarm gefeiert, zum weltweiten Sexsymbol avanciert. Hierzulande brachte dies Jan Böhmermann in seinem Satire-Musikclip für das „Neo Magazin Royal“ auf den Punkt, wo Varoufakis in einer pornografischen Inszenierung als Sexgott auf einem Motorrad züngelte. Wie kommt es, dass gerade ein Finanzminister so viel Sex-­Appeal evoziert?

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Illustration: Silke Werzinger

Natürlich, wir müssen uns nicht in diesen Chor einreihen, für viele ist er überhaupt nicht sexy. Die Selbstgefälligkeit des „Greek-Hot-Lover“ stellt eine Maskulinität aus, die anwidern kann. Dennoch: Die Sexualisierung von Varoufakis ist ein Fakt. Was steckt da für ein Politikerbild, was für ein Männerbild dahinter und was sagt dies über gegenwärtige Begehrensstrukturen aus, also darüber, was uns anmacht und was nicht?

Die Popisierung von Politik ist nicht neu – aber für die Griech_innen signalisiert sie mehr.
Auffällig ist, dass Varoufakis übermäßig oft mit Pop- und Film­figuren verglichen wird. Der „italienische (!) Bruce Willis“ – so die irritierende Bezeichnung bei Günther Jauch – wurde per Photoshop schon in Superman-Kostüme gesteckt und weckte Assoziationen zu Marlon Brando in „The Wild One“, zu Robin Hood oder sogar zum Fußballer Zidane. Er wurde somit als öffentlicher Celebrity statt nur als Politiker diskutiert – was nicht verwundert, denn es sind gemeinhin Popstars und nicht Politiker, die unser Begehren anfachen.

Diese Popisierung mag zwar im Zuge der medialen Spektakularisierung von Politik nicht neu sein, aber für die Griech_innen signalisiert sie mehr.
Während meiner Recherche zu Genderaspekten der Griechenlandwahl im Februar 2015 erklärte mir Antonis Sigalas, eine_r der bekanntesten LGBT-Aktivist_innen Griechenlands: „Varoufakis repräsentiert einen neuen Politikertypus, sowohl wegen des politischen als auch des ästhetischen Regelbruchs in der politischen Arena.“ Während Schäuble weiterhin für den Verwalter des Kapitals steht, performt Varoufakis den Politiker mit menschlichem Antlitz, der eher als Akademiker denn als Politiker spricht, die Krise der Repräsentation von sich fegt und das aufruft, was Popstars immer in uns aufrufen – das seltsame Gefühl, sie zu kennen, ihnen verwandt zusein.

So ist Varoufakis eine Art Wunschheld, der als eher fiktive Figur, wie aus Träumen und Filmen entsprungen, die gepeinigten Griech_innen zu retten versucht. Auf meine Frage zum Phänomen Varoufakis und der entsprechenden Genderdimension entgegnete mir Nelli Kampouri, Forscherin am Zentrum für Gender Studies an der Panteion Universität Athen: „Viel interessanter ist doch, dass er mit großem Pathos auch von den griechischen Männern abgefeiert wird, da er ihnen ihre in der Krise verlorene Männlichkeit zurückgibt.“

„Der Sexismus in der Politik ist ein Phänomen, das mit der Geburtsstunde der Politik aufgekommen ist.“
Bereits 2009 hatte Ines Kappert in ihrem Buch „Der Mann in der Krise“ auf den Zusammenhang zwischen der Männlichkeitskrise und der Finanz- oder Kapitalismus­krise hingewiesen: der westliche, heterosexuelle Familienernährer aus dem Mittelstand leidet wirtschaftlich und somit auch psychisch unter der Krise – der Wohlstands­traum vom abbezahlten Eigenheim fällt aus, es bleibt ein blasser, enteigneter Angestellter, der faktisch wie metaphorisch impotent ist. Wer sich im Namen des „kleinen Mannes“ auflehnt, rächt somit den gedemütigten männlichen Stolz eines herabgestuften und verarmenden griechischen Mittelstands.

Und da das Patriarchat tief in unser Begehren eingeschrieben ist, erfreuen sich an der wiedergewonnenen Männlichkeit auch Frauen, die einen „richtigen Mann“ begehren (und das nicht nur in Griechenland). Und sogar, wie der Kenner der griechischen Gay-Scene, Antonis Sigalas, bestätigte, ergötzen sich auch Schwule an der Varou­fakis-Männlichkeit – sie fänden ihn sexy, denn schließlich ist Macht geil.

Zumindest bei Männern, denn Frauenmacht ist nicht so geil. Obschon die griechische Regierung beschämenderweise nicht eine weibliche Ministerin stellt – ein Umstand, der für die Frauensprecherin der Syriza-Partei Gianna Kanavou den Sexismus der griechischen Gesellschaft, aber auch der Linken widerspiegelt –, hat es wenigstens eine Frau geschafft, von sich reden zu machen. Zoi Konstantopoulou ist die griechische Parlamentschefin, gilt als streng und hart, aber auf keinen Fall als sexy. In Karikaturen wird sie bezeichnenderweise als brutales, blutrünstiges Monster dargestellt, das das Parlament in Schrecken versetzt.

Die Juristin hat am 8. März die berühmte Bewegung der arbeitslosen Putzfrauen im Parlament sprechen lassen und den vorherigen Premier Samaras für seine sexistischen Äußerungen öffentlich abgemahnt. Auch wenn man auf sie stolz ist, gilt sie als hässlich und als – wie bei Feministinnen oft der Fall – „ungefickt“, wie der griechische Volksmund sagt.

Während Varoufakis quasi übersexualisiert gelesen und dargestellt wird, wird Konstantopoulou die Sexualität abgesprochen. Am Aussehen kann das nicht liegen, beide sehen eher ulkig denn besonders schön oder hässlich aus. Naheliegend ist der Gedanke, dass Durchschlagskraft und Intellekt bei Frauen als sexuell abstoßend gelten. „Der Sexismus in der Politik ist ein Phänomen, das mit der Geburtsstunde der Politik aufgekommen ist“, so die Kommentatorin Elleana Ioannidou in einer der wenigen feministischen Analysen über die Regierung im bekannten griechischen Nachrichtenmagazin „tvxs“. Sexyness, so die Autorin, wird im Zusammenhang mit Frauenpolitikerinnen eher als Mittel zur Abwertung ihrer professionellen Fähigkeiten ins Spiel gebracht – ganz anders als bei Varoufakis, der seinen Sex-Appeal seinem Mut und Intellekt zu verdanken hat.

Macht ist geil. Zumindest bei Männern. Durchschlagkraft und Intellekt gelten bei Frauen als sexuell abstoßend.
Doch mit der Formel „Mann + Macht = sexy!“ lässt sich nicht alles erklären. Denn bei den viel mächtigeren Schäuble oder Dijsselbloem kann frau lange nach dem Sex suchen. Hegemoniale Männlichkeit, so Raewyn Connell in ihrem einflussreichen Werk „Masculinities“, ist diejenige, die sich durch einen privilegierten Zugang zur Macht im Patriarchat auszeichnet. Dabei ist die höchstrangige männliche Macht an gesellschaft­liche und ökonomische Macht gekoppelt.

Varoufakis ist zwar mächtig, jedoch ohne ökonomische Macht. Er ist im europäischen Spiel der Underdog. Sein Sex-Appeal besteht darin, dass er ein Rebell ist, dass er den Mut hat, Herrschaft herauszufordern (z. B. die Troika). Mit Connell könnte man hier von einer untergeordneten Männlichkeit spre­chen, also derjenigen, die wegen Abweichungen in Klasse, Rasse oder Sexualität keinen Platz in
der herrschenden Männlichkeit hat und zur Unzufriedenheit der Anteilseigner des Patriarchats hegemoniale Männlichkeit schwächt oder untergräbt.

Ich bin selbst Griechin und fragte zur Sexyness von Varoufakis bei meiner Mutter nach, da sie für mich als das ultimative Barometer für die öffentliche griechische Meinung gilt. Sie meinte sichtlich berührt: „Varoufakis ist sexy, weil er uns [sam id=“5″ codes=“true“] unsere Würde zurückgegeben hat und uns wieder träumen lässt!“ Sigalas spricht von einem sanften, zugänglichen Varoufakis, der die Welt mit seinem schiefen Lächeln verändern kann. Nicht durch Härte wird die Würde zurückerlangt, sondern durch den Charme der Abweichung, der Revolte. Während die nackte Macht des Geldes, etwa im Video von Jan Böhmermann, als grau und langweilig dargestellt wird, ist die untergeordnete Männlichkeit sympathisch und lädt ein, sich näherzukommen – wirkt also attraktiv.

Untergeordnete Männlichkeiten, so Connell, werden oft in die Nähe zur Weiblichkeit gerückt. Der modebewusste Varoufakis im Blumenhemd vereinigt in sich auch sanfte und damit traditionell weibliche Eigenschaften. Deswegen wird er sexualisiert wahrgenommen, so könnte eine These lauten. Syriza-Feministinnen meinen, dass die Diskussion um seinen Sex-Appeal nur dazu genutzt wird, Inhalte zu verdecken und ihn als Sexobjekt zu degradieren – also genau wie bei Frauen.

Die griechische Bevölkerung wird von den Neoliberalen „gefickt“ – Varoufakis fickt zurück.
Erfreuen können wir uns hier also an Widersprüchen: Auf der einen Seite wertet Varoufakis krisenhaft verletzte Männlichkeit auf und rekonstruiert den starken, potenten Mann – auch wenn er eher als Popheld und Traumfigur denn als Ökonom erfolgreich ist. Gleichzeitig ist es die (weiblich konnotierte) Sanftheit des Untergeordneten, die ihn zum Liebling macht. Beides jedoch ist eingebettet in eine gegenderte Begehrensstruktur, denn all diese Rollenbilder würden für eine Finanzministerin nie infrage kommen.

Nelli Kampuri bemerkt, dass vielleicht auch die Sexualitätsrhetorik eine Rolle spielt, die zur Beschreibung der Dominanzverhältnisse in der EU geläufig ist. Ungefähr so also: Die griechische Bevölkerung wird von den europäischen Neoliberalen „gefickt“. Dann hat Varoufakis versucht, sie „zurückzuficken“. Als Günter Jauch dazu anhob, ihn zu „kastrieren“, ging es auch um eine sexualisierte Geste des Mittelfingers, mit der Varoufakis zu sagen schien: „Deutsche Gläubiger, fickt euch selbst.“

Also braucht es vielleicht zur Lösung des Schuldenregimes in Europa ein multiples Ficken zwischen Varoufakis, Schäuble und den Gläubigerbanken? Die soziale Befreiung würde so jedenfalls zu einem wahrhaft angenehmen queeren Akt.