Auch wenn sie für Originalität kaum noch Kraft hat: Zum Buchstaben O fällt Kathrin Röggla, Autorin und Mutter,  einiges ein.

Illustration: Ana Albero
Illustration: Ana Albero

O wie Ojemine. Oder „obstruktive Ohnmacht“. Ja, das wäre es! Wo sind sie hin, die Zeiten der gepflegten Ohnmacht? Man sagt, Ohnmachtsanfälle kommen heute nicht mehr vor, aus historischen Gründen. So die Theorie, in der Praxis hätte ich einfach keine Zeit dazu. Denn ich bin gerade nicht viel mehr als eine Unfallverhinderungsmaschine. Sieht komisch aus, zugegeben.

Nein, ich rede jetzt nicht von der Kitaplatzjagd, Kämpfen mit Erzieherinnen, anderen Eltern oder Partnern, ich spreche ganz konkret von Zähnen, die ausgeschlagen werden, Finger, die von Autotüren eingeklemmt werden, Purzeleien im Treppenhaus. Ohnmachtsanfälle bei Müttern folgen daraus nicht, eher das Gegenteil einer klinischen Ohnmacht, aber das fühlt sich artverwandt an. Lassen wir das! Weiter mit O!

„Originalitätsdruck“, das fiele mir auch noch ein. Ja, endlich wieder nachts originell sein können, das wäre es! Den Müdigkeitsdruck hinter mir zu lassen. Doch originelle Dinge zur Elternschaft zu formulieren ist ein Widerspruch in sich, sage ich mir, denn entweder erzeugst du einen Wiedererkennungseffekt oder du bist jenseits der Norm, also gefährlich, und no-go.

No go? Ja, eigentlich bin ich beim Buchstaben N wie Norm hängen geblieben, wie alle Eltern. Der Originalitätsdruck ist alleine der schreibenden Version von mir gegeben, der Muttervariante weniger, also: Erwischt! Bist du wieder abgehauen?, darf ich mir sagen. Ja, gebe ich zu.

Aber aus gutem Grund, denn der Hauptanwärter für den O-Platz ist natürlich die Observation. Mütterobservation, versteht sich, obwohl es auch Väterobservation geben soll, aber ich spreche von der ganz gewöhnlichen und brutalen Mütterobservation, und auch ich mache mit, richte meine Augen automa- tisch auf die mütterlichen Reaktionen, wenn ein Kind wieder öffentlich spinnt.

Offiziell total unwettbewerbsmäßig teile ich inoffiziell denselben Automatismus des Vergleichens, Mich-über-andere-Erhebens. Ich scanne den Mutterkörper ab: Wo steckt hier die Erziehung drin? Steckt da überhaupt Erziehung drin? Schafft sie es, ihr Kind zur Raison zu bringen? Nur um dann sofort zu sagen: „Ist ja total ätzend, wie die mit ihrem Kind spricht.“

Auch ich höre mich solche Dinge sagen, und finde mich dabei natürlich unmöglich. Werde auch schon von den Komüttern so angesehen: Ist sie so eine, die andere andauernd unterbricht und Tipps wie Ohrfeigen gibt? Doch, diese Komütter sind eine fantastische Sache, sie halten nämlich das O ein wenig versteckt, an zweiter Stelle, ziehen es nur hervor, wenn es wirklich gebraucht wird. So viel ist klar, aus purer Höflichkeit, nein, mehr noch, aus echter Zugewandtheit. Oh ja!