Ein wichtiger Diskussionspunkt während des Panels „Eine weibliche Geschichte der elektronischen Musik“ ist die AutorInnenschaft, denn als Frau wird man immer noch weniger Ernst genommen als ein Mann. „Sobald auch nur ein Mann im Raum ist, kriegt er die Credits“. Antye Greie war in den 1990er Jahren so gefrustet, nur als Sängerin abgestempelt zu werden, dass sie sich kurzerhand ins Produktionsstudio zurückzog. Sie gründete ihr eigenes Label und machte fortan alles selbst.

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Gudrun Gut am Electronic Beats

Auch Dr. Tatjana Böhme-Mehner, Musikwissenschaftlerin und Journalistin, fasst dieses Frauenbild in einem Satz zusammen: „Frauen kriegen Kinder, Männer machen sie.“ Männer produzieren, die Frauen reproduzieren. Ein Irrtum, über den sie und ihre Mitstreiterinnen diskutieren. Sie sprechen über „Musik, Körper und Technik“ und warum ein Mann als Künstler nicht nach seinem Aussehen bewertet wird, eine Frau schon.

Dr. Böhme-Mehner merkt an, dass je nach Schönheit eine Künstlerin als Aufmacher einer Zeitungssseite gilt oder – sollte sie den geforderten Idealen nicht genügen – zur kleinen Meldung heruntergekürzt wird. Ein Umstand, gegen den Antye Greie ankämpft. Sie macht alle Frauen sichtbar. Die Musikerin und Produzentin rief dieses Jahr zum Muttertag mit female:pressure das gleichnamige Tumblr-Blog für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der elektronischen Musikszene ins Leben.

Ausschlaggebend für die Gründung des Tumblr-Blogs war ein Artikel von Björk, in der sie die mangelnde Dokumentation von Frauen während ihrer Arbeit beklagte. Greie forderte alle Frauen ihres Networks auf, das zu tun: DJs, Medienkünstlerinnen, Performerinnen im Bereich elektronischer Musik. Bisher folgten 1400 weibliche Künstlerinnen aus 65 Ländern ihrem Beispiel. Der Blog ist natürlich erst der Anfang. Antye Greie: „Dann könnt ihr mal durchscrollen und kieken, was geht und weiter geht`s!“

Im Gegensatz dazu machen Iris Ter Schiphorst und Jagoda Szmytka ihre Autorinnenschaft wenig präsent, denn ihre eigenwilligen Stücke spielen ein gemischtes Orchester auf der Bühne. Beiden gemeinsam ist die Reduzierung der Streich- und Schlaginstrumente sowie des Klaviers auf wenige Geräusche. Ernst Surberg schlägt die Tasten seines Klaviers nicht an, sondern fährt nur – wie es in seinem SoloAnnesley Black der Fall ist – sanft über ihre Tasten und klopft mit seinen Fingern auf das Klavier.

Anne La Berge verfolgt einen ähnlichen, wenn auch wesentlich komplexeren Weg. Für „Utter“ presst sie ihren Mund fest an ihre Querflöte, pustet, atmet, quietscht sogar etwas. Die Leinwand auf der Bühne zeigt Dias einer Geburt, einer Mutter, eines Kindes. Sie erzählt eine Geschichte. In Bildern und Worten. Über eine Mutter, die nicht mehr aufhörte zu reden, ihr Kind, das verzweifelt versuchte, zu ihr durchzudringen. „No Communication“. Bis sie verstummt. Dann stoppt la Berge. Sie nimmt ihr Smartphone und liest den gesamten Text erneut vor, dann flötet sie wieder – auf ihre Art. Im Schnelldurchlauf – wie die Dias auf der Leinwand. Stille. Applaus.

Der Höhepunkt des Samstags war wohl für viele Nic Endo von Atari Teenage Riot. Sie sorgt mit der 22-minütigen DJ-Performance „Walking – Dancing – Falling“ für ein digitales Soundgewitter, dann wird es Zeit für die elektronischen Pionierinnen.

Eingeleitet von einem acht-minütigen Ausschnitt aus dem Science-Fiction-Film „Forbidden Planet“ beginnt eine Hörstunde. Im großen Saal des Radialsystems tönen die Werke „Musik of the Spheres“ (1938) von Johanna Magdalena Beyer, Pril Smileys „Kolyosa“ (1970), Alice Shields „Study for Voice and Tape“ (1968) und Pauline Oliveros „Bye Bye Butterfly“ (1965) durch die Lautsprecher. Kaum zu glauben, dass vor fast 80 Jahren solche Soundexperimente mit Stimme und Geräuschen schon möglich waren. Der Raum ist aber zu groß für die intimen Werke, die ZuhörerInnen starren auf eine leere Bühne. Viele verlassen den Raum. Später mischt Kyoka so kräftig, dass einzelne BesucherInnen versucht sind, aufzustehen und zu tanzen. Aus Respekt bleibt das Publikum sitzen. Schließlich ist es ein Musiksymposium und keine Party. Schade eigentlich.

 

Missy präsentiert „Heroines of Sound“ – noch heute im Radialsystem V in Berlin. www.heroines-of-sound.com