„Eine Entemotionalisierung der Debatte wäre dringend notwendig“ und „Wir müssen das Thema angesichts der Umstände endlich sachlich diskutieren“ – das sind so Redewendungen, die Kolumnist*innen und Kommentator*innen gerne verwenden. Besonders gerne, wenn es um heiße Eisen und Klick-Magneten wie Rassismus und Feminismus geht.

 

© Tine Fetz
Nicht alle reagieren auf Emotionen so gelassen wie diese Cyborg-Frau. © Tine Fetz

Spannenderweise sind die, die Sachlichkeit einfordern, oft weiße, gut situierte und von den sogenannten „Umständen“ wenig betroffene Männer. Aber unabhängig davon – die Autor*innen der Entemotionalisierungsreden inszenieren sich durch eben jene als besonnene, rationale Stimme, die im Wirrwarr der Gefühle und Reaktionen zu bestimmten Ereignissen das Ideal der Vernunft hochhält.

Ich sage: Das mit dem Entemotionalisierungsgerede ist – erstens – ein billiger rhetorischer Trick fauler Journalist*innen. Und zweitens schlichtweg falsch, aus mehreren Gründen. Zunächst stecken in einer grundsätzlichen Ablehnung von Emotionalität misogyne Vorstellungen. Die Konnotationen sind wie folgt: Emotional, schwach, weiblich. Rational, stark, männlich. Daher solle eins besonders bei kontroversen Themen unbedingt „vernünftig“ bleiben, die Worte bedacht wählen und mitnichten Betroffenheit, Empathie oder gar Erregung zeigen.

Die Kulturgeschichte der Emotion ist vielfältig. Emotionalität wurde nicht immer als Kitsch, Träumerei und Leichtsinn abgestempelt. Rousseau etwa meinte, dass Frauen gar nicht zu Emotion fähig seien, sondern nur zu Intrige und Manipulation (Politik also?).

Auch Kant sah in der „Empfindsamkeit“ ein wichtiges Gut – das natürlich nur Männer unter sich teilen können. In den berühmten, nicht umsonst so betitelten literarischen Epochen wie Sturm und Drang oder Romantik spezialisierten sich Autor*innen wie Goethe, Schiller und Hoffmann auf die Schilderung und das Hervorrufen menschlicher Gefühlswelten. (Sorry, dass hier beispielhaft nur Dudes aufgezählt wurden, aber das unterstreicht gleich mal zusätzlich die Tatsache, dass Liebe und Emotion – eigentlich seit der Antike – meist nur eines bedeuteten: Bromance.)

Zu viel Emotionalität wird gerade Frauen, Migrant*innen und LGBTQI-Personen beim Kampf um ihre Rechte und den dabei entstehenden Debatten vorgeworfen. Die Message: Wer fühlt, kann nicht im Recht sein. Wer betroffen ist, lässt an (dem männlichen Monopol und Heiligtum) Objektivität vermissen. Es handelt sich hier um eine falsche Dichotomie: Rationalität und Emotionalität schließen einander mitnichten aus. Ich kann zum Beispiel eine durchdachte Analyse auch in feurigem Pathos darbringen – die Form schmälert die Relevanz des Inhaltes doch keineswegs. Es geht hier also um ein Policing von Gefühlen (ganz besonders Wut). Eigentlich ist der Ruf nach Sachlichkeit nicht der vernünftige Appell, der er gerne wäre, sondern eine Absage an jede weitere Diskussion: „Mit dir kann man offenbar eh nicht reden, du bist gerade hysterisch.“

Da haben die Entemotionalisierer*innen und ich vielleicht sogar etwas gemeinsam: Ehrlich gesagt denke ich, dass es bei manchen Themen schon viel zu spät ist für eine sachliche Auseinandersetzung. Zumal die meisten Menschen für Argumente gar nicht zugänglich sind, da ihre Vorstellungen fest in vorgefertigten und vorgekäuten Narrativen ankern. Dissens wird ignoriert oder durch latent Verschwörerisches (Lügenpresse! Glaube keiner Statistik die du nicht selbst gefälscht hast, lol!) abgetan.

Ich jedenfalls habe schon lange aufgehört, etwa auf Twitter oder Facebook „sachlich“ zu diskutieren. Es ist zeitintensiv, nervenaufreibend und verbraucht mehr meiner Ressourcen, als mir lieb ist. Viele (Online-)Diskussionen dienen gar nicht dem Austausch von Argumenten oder gar einem Eingehen aufeinander, sondern einer Verfestigung der eigenen Vorstellung. Die Twitter-Diskussion beispielsweise ist ein Festschreiben des Selbst, ein Mantra, ein Gebet fast, und erfüllt somit wahrscheinlich nicht einmal die Grundvoraussetzungen für Kommunikation. (Das gilt übrigens auch ganz besonders für die Linke™).

Im politischen Diskurs ist Emotionalität nur abzulehnen, wenn ein Machtgefälle besteht – das unterscheidet etwa die Wutbürger*innen und die Wutoma von der Wut Unterdrückter und marginalisierter Menschen. Sachlichkeit ist überschätzt, Vernunft ist mittlerweile wenig mehr als ein von Dudebros besetztes hohes Ross. Es gilt, die Ambivalenz von ernstzunehmendem politischen Engagement und emotionaler Betroffenheit auszuhalten.