Von Sonja Eismann

Was passiert, wenn sich rechte Parteien in ­Europa ­feministische Forderungen zu eigen machen? Die in ­London lehrende italienische Soziologin Sara R. ­Farris ­versucht eine Annäherung mit dem Begriff Femonationalismus.

© Daniela Burger
© Daniela Burger

Missy: Wie kann es sein, dass Feminismus als emanzipatorische Bewegung von Rechten angeeignet wird? Ist es dann überhaupt noch Feminismus?
Sara R. Farris: Für viele FeministInnen, auch für mich, sind diese rassistischen Vereinnahmungen absolut niederschmetternd. Viele von ihnen haben bereits die Heuchelei rechter Parteien angeprangert, die nun auf einmal behaupten, sie würden sich für Frauenrechte oder die Situation muslimischer oder migrantischer Frauen einsetzen. In ihrem rassistischen Vokabular heißt es dann, sie wollten Frauen von der Unterdrückung durch rückständige, gewaltbereite Muslime befreien. Wie wir wissen, befürworten diese Parteien in Wirklichkeit nicht nur eine antifeministische Politik, …

… indem sie etwa gegen die Öffnung der Ehe, Aufklärungsunterricht und das Recht auf Abtreibung arbeiten.
Genau, und sie befürworten auch harsche, rassistische Migrationsgesetze, die einen extrem negativen Einfluss auf das Leben aller Frauen haben. Dennoch sollte uns bewusst sein, dass einige Feminist*innen antimuslimische Slogans befürworten. Denken Sie nur mal an Alice Schwarzer. Natürlich behaupten diese Leute, dass sie muslimische Frauen vom Joch einer patriarchalen, unterdrückerischen Kultur befreien wollen. Aber in Wirklichkeit machen sie damit das Leben dieser Frauen nur schlechter: erstens, weil Islamofeindlichkeit und andere Rassismen schreckliche Auswirkungen auf deren tägliches Leben haben, und zweitens, weil diese Frauen dadurch bevormundet werden, statt dass ihre selbst gewählten Lebensstile, Überzeugungen und Emanzipationsbestrebungen respektiert würden.

Können Sie konkrete Beispiele femonationalistischer Strategien nennen?


Da fallen mir sofort zahllose Beispiele ein! Seit Marine Le Pen 2011 Vorsitzende des Front National wurde, hat sie die Idee von Frauenrechten explizit gegen die französische muslimische Bevölkerung in Stellung gebracht. In einem Interview mit der Zeitschrift „Elle“ sagte sie 2012 beispielsweise, dass Sexismus nur bei Migranten und Muslimen auftrete, nicht aber bei Franzosen. In den Niederlanden hat der Gründer der Freiheitspartei, Geert Wilders, mehrmals betont, dass der Islam als Religion vor allem durch die Unterdrückung von Frauen gekennzeichnet sei. Am 8. März 2013, am internationalen Frauentag, veröffentlichte er ein Dokument mit dem Titel „Gewalt gegen Frauen im Islam“, in dem er behauptet, dass es im Islam nur um die Unter­werfung des weiblichen Geschlechts gehe.

Woher kommt das Bild vom „gewaltbereiten“ muslimischen Mann, das so viel stärker angstbesetzt ist als das von der „anpassungsfähigeren“ muslimischen Frau?
Es ist wichtig zu betonen, dass die Identifizierung…