Von Dominique Haensell

Vor drei Jahren titelte Missy noch Simonne Jones als Alleskönnerin und berichtete von den unzähligen Talenten und Projekten der in Berlin lebenden Musikerin. Malen, Instrumente umbauen, Modeln, das „Mysteriums des Universums“ ergründen und nebenbei mit Peaches auf Tour gehen standen bei der aus L.A. stammenden, damals gerade erst 25-Jährigen Jones auf der Agenda. Dass sie dazu auch einen Abschluss in Biomedizin und Kunst in der Tasche hatte, an der Erforschung des HIV-Genoms mitgearbeitet und die Uni bereits im zarten Alter von 16 Jahren besucht hatte, ließ Simonne Jones noch beeindruckender wirken.

© Universal Music
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Bei all diesen Baustellen wundert es eigentlich nicht, dass der von Missy schon mal Vorschuss-gehypte Musikrelease dann doch noch ein paar Jahre auf sich warten ließ. Dazwischen liegen unter anderem eine Kollaboration mit dem Thalia Theater in Berlin und mit dem Freiburger ORSO Orchester samt Opernsänger*innen. Bei Anhören der Ende Mai erschienenen EP wird aber klar, dass Simonne Jones nicht nur ein Händchen für Hochkultur hat, sondern auch ziemlich souverän Pop produziert. Aus den elektro-punkigen, oft an Björk erinnernden Live-Aufnahmen von damals ist nämlich lupenreiner Elektro-Pop geworden, der es in Sachen Catchiness auch mit Chartstümern wie Ellie Goulding oder Chvrches aufnehmen kann.

Hat sich Simonne Jones also von ihrer musikalische Ziehmutter Peaches emanzipiert? So einfach ist die Sache natürlich nicht. Denn obwohl Jones ihren roheren Instrumentalsound in satte Studio-Produktionen und ihren DIY-Glam in sleeke, instragramtauglichere Schwarz-Weiß-Ästhetik verwandelt hat, gibt es natürlich noch immer Überschneidungen. So betont Jones regelmäßig, wie sehr Peaches ihr Vorbild und Förderin gewesen sei. Außerdem steuert diese auch auf der aktuellen EP einen beatlastigen Remix von „Gravity“ bei.

Im Original klingt der Opener der gleichnamigen EP eher wie ein hymnischer Synthie-Mash aus Lordes „Tennis Court“ und „I love it“ von Icona Pop. Insgesamt hat sich Jones mit ihrer EP in potentiell lukratives, aber auch hartumkämpftes Terrain begeben, sodass sich beim Hören unweigerlich Vergleiche zu anderen Pop-Musiker*innen aufdrängen. Dazu trägt auch die Vielseitigkeit ihres Gesangs bei: mal flötet sie in niedlichen Höhen wie Robyn („Spooky Action“), mal croont sie kraft- und sehnsuchtsvoll wie Kelly Clarkson („No One“).

© Universal Music
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Auch ihre Produktionen spiegeln verschiedene Einflüsse wieder, die sich in ihrem trendigen Anspruch dann doch ziemlich ähneln. „Abduction“ setzt mit einem verschleppten 80s-Beat ein, der irgendwie verdächtig an „Hold On, We’re Going Home“ von Drake erinnert, obendrauf gibt’s aber noch ein bisschen Autotune. „Spooky Action“ bewegt sich irgendwo zwischen Industrial und der Art unheimlicher Soundkulisse, die gerne Witch House genannt wird – was zumindest gut zum Titel passt. Trotz der verschiedenen Elemente, eint alle Songs doch die große Pop-Geste, sowie die äußerst professionelle Produktion. Nicht erst seit Grimes wissen wir, dass dahinter kein angeheuerter Beatbastler stecken muss. Dass das Multitalent Jones (O-Ton 2013: „Ich kann mit ProTools, Logic Pro oder Ableton programmieren und bin von niemandem abhängig.“) größtenteils selbst produziert, versteht sich von selbst.

SimonneJones„Gravity“
Simonne Jones
EP, Universal, bereits erschienen

Während die Songtexte sich einerseits wie typische Liebeslieder ausgeben, macht Jones („I’m in love with the universe“) keinen Hehl daraus, wofür ihr Herz vor allem schlägt: Astrophysik, Neurobiologie, kurzum: die Naturwissenschaften. Da dient die Teilchenverschränkung der Quantenphysik als Metapher für verliebte Verbundenheit oder eben die Schwerkraft für romantische Anziehung. Dass sich hinter der glatten Oberfläche ihrer soften Lovesongs dann doch mehr harte Materie verbergen soll, verrät neben den doppeldeutigen Songtiteln auch der reddit-Thread, der sich mit einem im „Gravity“-Video versteckten Rätsel beschäftigt. So viel sei verraten: Es geht um Geo-Koordinaten, Hipster-Dreiecke und Gravitationskonstanten. Zusammen ergeben diese Clues die Namen berühmter Naturwissenschaftler. Genau. Ganz schön nerdig für einen ansonsten ziemlich konventionell dahinpluckernden Popsong.

Im Pressetext werden zwar PJ Harvey, Nine Inch Nails, Depeche Mode und Einstürzende Neubauten als musikalische Einflüsse genannt, am Ende lassen sich diese aber nur noch erahnen. Irgendwie wirkt das so, als ob die Namen als vermeintlich anspruchsvolle Credentials herhalten müssen. Aber warum nur? Genauso könnte hier Lorde, Marina and the Diamonds oder Charlie XCX stehen. Der Anspruch, mitreißende Ohrwürmer zu produzieren resultiert nicht unbedingt in musikalischer Beliebigkeit, genauso wie Feuilleton-erprobte Vorbilder keine Tiefe garantieren. Für soliden, zugänglichen Pop muss man sich nicht schämen. Denn hemmungsloses Mitträllern und -hüpfen ist allemal so gut wie bierernstes, subkulturelles Abnicken. Auffällig ist ohnehin das Kulturkapital-Gefälle zwischen größtenteils männlichen, „ernsthaften“ Musikern und einer hyperfeminisierten Popwelt (vom Zustand in den Wissenschaften ganz zu schweigen, aber das ist eine andere Geschichte). Also: Mehr Mut zur glossigen Geste!