Von Sonja Eismann

Anfang dieses Jahres erschienen in kurzem Abstand zwei Artikel in der Schweizer Frauenzeitschrift „annabelle“ – über zwei Personen, die die meisten Menschen wohl als „sehr dick“ wahrnehmen würden. Im ersten war Bertram Eisenhauer der Protagonist, ein „FAS“-Redakteur, der mit „Weil ich ein Dicker bin. Szenen eines Lebensgefühls“ ein Buch über seinen Kampf mit der Adipositas geschrieben hat. Drei Hefte später folgte ein Porträt der Hamburger Beraterin für Essstörungen Nicole Jäger, Autorin von „Die Fettlöserin“, die auf dem Titelblatt als „Die Frau, die 170 Kilo abspeckte“ angeteasert wurde.

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Florale Prints sind im Trend – und wirken nicht nur an weiblichen Rundungen sehr stylisch. ©ivanthefutureboy

(Bildbeschreibung: Portait des Modebloggers IvanTheFutureBoy, der einen schwarzen Pullover mit buntem Rosenprint trägt und mit geneigtem Kopf auf den Boden schaut.)

Die beiden Texte hätten von Ton und Aufmachung nicht unterschiedlicher sein können: Eisenhauer wurde als hochintelligenter Trauerkloß im sackartigen Pullover gezeigt, der außer dem Essen fast allen irdischen Freuden entsagen muss und davon überzeugt ist, sich aufgrund seiner Körperfülle nie mehr für die Liebe öffnen zu können. Jäger erschien als lebensfrohe Powerfrau im knallroten Wickelkleid, die ihre Rundungen weder versteckt noch jemals Probleme hat, Liebespartner zu finden.

Verdutzt mag sich da manch eine am Kopf kratzen: Wird nicht weibliche Fettheit von Öffentlichkeit und Medien viel härter abgestraft als männliche? Weil übermäßiges Raumeinnehmen nach wie vor ein männliches Privileg ist und Frauen seit Jahrhunderten darauf getrimmt wurden, sich für die Ansprüche des männlichen Blicks zu disziplinieren und klein zu halten?

Auch die Erfahrungsberichte unzähliger Fatshionistas im Netz, Shaming-Kampagnen wie „Women Who Eat On Tubes“ (Frauen, die in der U-Bahn essen) oder die Werke der Künstlerin Haley Morris-Cafiero, die in Fotos die angewiderten Blicke von Passant*innen auf ihren dicken Körper festhält, erzählen davon, wie viel Abscheu und Zorn ausladende Frauenkörper, zumal selbstbewusst modisch oder sexy gekleidete, immer noch hervorrufen. Doch genau das Bewusstsein um diese massive Diskriminierung trägt dazu bei, dass sich eine kritische Gegenerzählung entwickelt, die weibliche Fatshion als Ermächtigung feiert und langsam bis in den Mainstream vordringt.

Da Männerkörper jedoch weder so streng überwacht noch so stark sexualisiert werden, steht ihr Umfang kaum im Fokus. Die Idee, dass Männer weniger über Körper denn über symbolisches oder wirtschaftliches Kapital beeindrucken, führt unter anderem dazu, dass männliches Fett weniger Thema ist. Zuschreibungen wie „Stattlichkeit“ oder Hashtags wie #dadbod, die dem männli…