Von Hengameh Yaghoobifarah

Es ist Juni und wie jedes Jahr zu dieser Zeit ist Pride-Monat. Nicht alle CSD-Veranstaltungen finden jetzt statt, manche gab es bereits im Mai und andere erst im August, doch zwischen den miefigen Staatsflaggen der Männerfußball-EM-Saison wehen nun auch einige Regenbögen. Für viele LGBTQIA-Personen ist dieser Monat ein Anlass, auf die Straße oder in die Clubs zu gehen, zu feiern und sichtbar zu sein. Für andere steht ein politischeres Bewusstsein, Reflexion und Selbstkritik im Vordergrund. Manche kombinieren beides.

© Wikimedia-Commons/Libertinus/CC-BY-SA-2.0
© Wikimedia-Commons/Libertinus/CC-BY-SA-2.0

In einer Großstadt wie Berlin gibt es den Luxus, mehrere Pride-Events zur Auswahl zu haben oder sogar auf Pride verzichten zu können, weil es das Jahr über queere Räume und Widerstandsmomente gibt. So gibt es nicht nur den großen CSD, der in queerfeministischen und antirassistischen Szenen als zu kommerziell, assimiliert, apolitisch, transfeindlich und rassistisch gilt und bei Sponsor*innen mit der Angabe, ein „starkes Zeichen für Vielfalt und Akzeptanz“ zu setzen, wirbt, sondern auch den X*CSD.

Obwohl es auch hier von Aktivist*innen Kritik gibt, sammelt sich ein großer Teil der queerfeministischen Community und organisiert durch Kreuzberg eine Demonstration, die sich als Alternative zum großen Event versteht. Unter dem Motto „Yallah auf die Straße – queer bleibt radikal!“ ruft die Gruppe zum Protestmarsch gegen steigende Mieten, Instrumentalisierung von sexualisierter Gewalt für eine rassistische Agenda, Racial Profiling, rassistische Polizeigewalt und gegen die Kriminalisierung des Kottbusser Tors, kurz „Kotti“ auf. Politische Parteien und Konzerne dürfen nicht teilnehmen, stattdessen sind unter anderem politische Gruppen wie Hydra e.V., Gladt e.V., Soli Tsoli, die Berliner Lesbenberatung oder TransInterQueer e.V. sowie die Rattenbar, das SO36, der Südblock und das Ballhaus Naunynstraße dabei.

Ich treffe Tülin und Peymaneh, zwei Personen aus dem Organisationsteam, auf eine Limo im Südblock am Kotti – mitten in der vermeintlichen Dangerzone also. „Es findet durch Medienberichterstattungen und Einzelpersonen hier eine Kriminalisierung statt, die überhaupt nicht der Realität entspricht. Der Kotti wird als migrantisches Problemkiez inszeniert. Der Realität entspricht, dass hier sehr viele Queers extra hinkommen, weil es sonst nichts gibt für sie. Alle kommen aus anderen Bezirken an den Kotti. Das ist ein Freiraum für Menschen und das wird hier verdreht“, erzählt Peymaneh über die diesjährigen Forderungen.

Der X*CSD stellt sich nicht nur gegen Diskriminierungsformen wie Sexismus und Heteronormativität, Rassismus, Antisemitismus und Klassismus in der Dominanzgesellschaft, sondern auch innerhalb der eigenen Communitys. Ausgrenzung, Wohnraum, Abschottung, Deportationen und Ausbeutung seien auch queere Themen, betont Tülin, und deshalb müssen sie klar und deutlich ausformuliert werden. „Radikale Queers dürfen diese Position nicht verlieren.“ Zwar existieren unter den Organisator*innen unterschiedliche politische Praxen, doch kommen alle unter einem Minmalkonsens von radikal queerfeministischen, staatskritischen Perspektiven zusammen.

© X_CSD
© X_CSD

Tülin sei es auch wichtig, dass queere Geflüchtete sich eingeladen fühlen: „Sie gehören zu der queeren Szene, zu uns. Wir machen das nicht für sie, sondern wir machen das zusammen. Auch wenn wir unterschiedliche Privilegien haben, darf es nicht so eine Mitleidsnummer werden. Wir wollen auch mal eine andere Art des Zusammenhalts präsentieren, eine, die auf Augenhöhe stattfindet.“

© X_CSDX*CSD
25. Juni 2016
Beginnt 16 Uhr Oranienplatz
Abschlusskundgebung 18 Uhr Heinrichplatz
Alle Infos gibt es hier zum Nachlesen.

Obwohl sich die Gruppe jedes Mal neu zusammensetzt, nehmen die beiden die Rassismuskritik an den Organisationsstrukturen der vorherigen Jahre sehr ernst. „Ich kann es überhaupt nicht ausstehen, wenn im Namen von anderen gesprochen wird. Alle Forderungen und Haltungen bezüglich einer bestimmen Gruppe sollen auch von den Betroffenen kommen“, sagt Tülin. Peymaneh ergänzt: „Wenn wir merken, dass es eine weiße Dominanz innerhalb der Strukturen gibt, müssen wir uns auch damit auseinandersetzen.“