Von Tove Tovesson

Der Schauspieler Rupert Everett richtet im „Guardian“ warnende Worte an Eltern hinsichtlich hormoneller Behandlung von Kindern im Zusammenhang mit einer Transition oder Pubertätsverzögerung. So genau weiß man es nicht, weil Rupert Everett als kinderloser Cismann das alles auch nicht so genau weiß. The hormone thing, you know. Jedenfalls, „parents who ‚get medical‘ are scary“.

Angst vor Hormonen? Wohl eher Angst vor einer medizinischen Transition. © Tine Fetz
Angst vor Hormonen? Wohl eher Angst vor der medizinischen Transition. © Tine Fetz

Es stimmt, die medizinischen Aspekte und Möglichkeiten einer Transition sind beängstigend, sogar für die Betroffenen, wenn sie all das aus vollem Herzen wünschen. Veränderungen sind scary. Angst ist allerdings eine schlechte Ratgeberin, wenn man Veränderungen möchte. Es ist leicht, an Ängste zu appellieren, gerade im Zusammenhang mit komplexen Problemen. Kindern künstlich Hormone zuführen?! Da erkennt doch der gesunde Menschenverstand sofort, dass das nicht gut sein kann!

Ich habe festgestellt, dass meine moralische Intuition, also mein spontanes Empfinden, ob etwas nun gut und richtig oder nicht ist, ohne über tiefer gehende Informationen zu verfügen, ebenfalls eher konservativ ist und sich gerne auf Natürlichkeit (= gut) und  Gesundheit (= supergut) beruft. Und ja, damit geht es hier schon um moralische Fragen, ohne überhaupt das Thema elterliche Fürsorgepflicht und kindliche Selbstbestimmung gestreift zu haben.

Ich kann Everetts Intuition nachvollziehen. Aber mehr ist es auch nicht und deshalb ist sie als tatsächliche Empfehlung unbrauchbar. Intuition ist voreingenommen. Sich als Angehörige oder Unbetroffene aufs Bauchgefühl zu berufen reicht nicht. Denn natürlich sagt ihr Bauchgefühl „Bitte sei kein Freak, das irritiert mich“. Die Pathologisierung von etwas qua vermeintlicher Unnatürlichkeit ist eine sehr streitbare Festlegung.

Die Entscheidung, ob Kindern oder Jugendlichen eine Transition ermöglicht wird, wird nicht in einem normativ neutralen Vakuum getroffen, sondern vor dem Hintergrund einer transfeindlichen Gesellschaft mit Naturalisierungsfimmel. Everett offenbart seine eigene Transfeindlichkeit und insbesondere Transfrauenfeindlichkeit in der Art, wie er beschreibt, dass er heute eine Frau wäre, wenn die Gesellschaft während seiner Kindheit so gewesen wäre wie die heutige. Er meint es als Abschreckung. Denn offenbar ist die Vorstellung, eine Frau zu sein, für ihn katastrophal. Und so beschwört er das Bild einer grotesk misslungenen Transition herauf – ein Mann in Frauenkleidern. Eine akzeptable Art von Transweiblichkeit ist nicht vorstellbar.

An dieser Stelle ist mir sehr elend. Denn das sind Ängste, die Transpersonen berechtigterweise haben: niemals okay zu sein. Niemals anerkannt und gesehen zu werden. Diese Ängste kann man nicht bekämpfen, indem man sich einfach über die genauen Möglichkeiten einer (medizinischen) Transition informiert. Die von Everett schon – und alle, die ernsthaft diesen Weg in Erwägung ziehen, kommen gar nicht umhin, Expert*innen in eigener Sache zu werden.

Eine leichtfertige Transition ist in Deutschland und England nicht möglich. Bürokratisches Gatekeeping und Stigmatisierung machen sogar eine wohlinformierte Entscheidung zur Transition zum Hürdenlauf. Es ist möglich, die Pubertät medikamentös zu unterdrücken, um körperliche Veränderungen zu verhindern und der Entscheidungsfindung mehr Zeit einzuräumen. Es ist möglich, Hormone einzunehmen, um eine andere Pubertät herbeizuführen, als der Körper es von selbst tun würde. Es ist möglich, diese Hormone wieder abzusetzen und je nach Zeitpunkt alle oder einige ihrer Effekte zu stoppen.

Daher mein Rat als kinderlose Person mit begrenzten medizinischen Fachkenntnissen an Eltern: Passt auf, dass eure Kinder keine trans(frauen)feindlichen Cispersonen werden, die alles noch schlimmer machen.