Von Jacinta Nandi

Die jungen Brit*innen haben plötzlich das Recht verloren, sich EU-Bürger*innen zu nennen. Sie sind deswegen zu Recht wütend und bezeichnen diejenigen, die für den Brexit gestimmt haben, als dumm, xenophob und rassistisch. Aber für die Mehrheit der Bevölkerung –  Brexitbefürworter*innen, Nichtwähler*innen, Menschen, die zwar gegen den Brexit gestimmt haben, aber nur halbherzig – ist diese Wut nur Trotz.

© DrimaFilm / Shutterstock.com
Bis bald. © DrimaFilm / Shutterstock.com

Die junge Brit*innen, die sich jetzt in Europa-Flaggen hüllen und unangekündigt vor den Houses of Parliament demonstrieren – in den Augen der Durchschnittsengländer*innen sind sie nicht traurig, wütend und erschüttert, weil sie etwas verloren haben, das sie vorher besaßen, oder weil ihre Menschenrechte bedroht sind. Nein, in ihren Augen sind sie nur trotzig und beleidigt, so wie man eben ist, wenn die bevorzugte Fußballmannschaft verliert.

Brexit-Befürworter*innen haben für das mögliche Ende der Europäischen Union, für das mögliche Ende des Königreichs, für das eventuelle Abschieben aller in Großbritannien lebendenden EU-Migrant*innen, für das eventuelle Abschieben aller in der EU lebenden UK-Expats (Migrant*innen sind wir nie, dazu ist UK einfach zu wichtig und geil, wisst ihr), für das wahrscheinliche Ende des Friedens in Nordirland und für das definitive Verursachen von Groll und Feindseligkeit unserer EU-Nachbar*innen uns gegenüber gestimmt. Nur weil sie Immigration reduzieren und krumme Bananen essen wollen.

Weil wütende Remainer in ihrer Trauer gesagt haben, dass das bedeuten könnte, dass Brexit-Befürworter*innen eventuell ein bisschen dumm oder rassistisch sein müssen, wird behauptet, dass es die Brexit-Gegner*innen seien, die voller Hass wären.

Mehr noch: dass sie schuld wären, an all den sozialen Problemen in England, weil sie so elitär und snobistisch sind. Dass sie eigentlich die Bösen wären. Dass es böse sei, Europa zu lieben, dazu gehören zu wollen und traurig darüber zu sein, keine EU-Bürger*in mehr zu sein.

England rückt weiter und weiter nach rechts. Nicht nur nach rechts, sondern nach rechts-rechts. Eine britisch-italienische Freundin trug letzte Woche ein Trikot der italienischen Fußballnationalmannschaft und lief einfach die Straße entlang. Leute riefen ihr aus einem Auto zu: „Hau ab, geh zurück in dein eigenes Land!“ Als sie darüber auf Facebook berichtete, schrieben enge Freund*innen von ihr, das sei nicht rassistisch, nur xenophob, und habe wahrscheinlich nichts mit dem Brexit zu tun, sondern bloß mit Fußball.

„Außerdem“, kommentierte ein junger Engländer ihr Posting, „lästern Ausländer immer über unser Land. Über England darf man immer lästern! Gestern musste ich in der Arbeit Fußball mit ganz vielen Ausländern gucken und sie haben alle über England gelästert!“ Dass es fast unmöglich gewesen wäre, diesen Fußballspielern, die Millionen verdienen und wie Omis gespielt haben, zuzugucken, ohne zu lästern, hat er nicht erwähnt. „Du bist einer meiner besten Freunde“, schrieb sie zurück, „und mir ist in diesem Land so etwas noch nie passiert. Es ist mir egal, ob es mit dem Brexit zu tun hat oder nicht. Ich denke, ich habe das Recht, traurig zu sein.“

Aber nee, hat sie nicht. Eine deutsche Witwe, seit 1973 im Land, ruft weinend bei einer Radio-Talkshow an, weil Nachbarn ihre Tür mit Hundekot beschmiert haben. Mein Vater ist gestern am Flughafen „Paki“ genannt worden. „Bald werden die Pakis in der anderen Schlange stehen müssen!“, sagte einer.

Aber wir, wir, die verloren haben, dürfen nicht traurig sein. Wir müssen nicht nur diese Entscheidung, die unser Land und diesen Kontinent und unsere Welt schlimmer machen wird, akzeptieren, wir müssen sie respektieren und sogar begrüßen. Denn, eines ist klar: England ist kein rassistisches Land! England ist ein tolles Land, voller Nicht-Rassist*innen! Die Rassist*innen sind in der Minderheit! Und: Die Leave-Voter, die nicht rassistisch sind, als Rassist*innen zu bezeichnen, das ist der wahre Hass, der unser Land spaltet.

Ich persönlich halte England für ein xenophobes, ausländerfeindliches Land. Ich denke, alleine dass die Möglichkeit bestand, dieses Referendum einberufen zu dürfen, war xenophob. Es war ein Angriff gegen alle EU-Migrant*innen, die in Großbritannien wohnen, gegen alle UK-Bürger*innen, die sich in der EU aufhalten, eigentlich gegen alle Bürger*innen der EU.

Ich glaube, dass alle, die dafür gestimmt haben, die EU zu verlassen, rassistisch sind. Sie sind zumindest so rassistisch, dass es ihnen egal ist, ob wegen ihrer Entscheidung EU-Migrant*innen aus England abgeschoben werden. Manche sind davon ausgegangen, dass die Menschen, über die sie abstimmen, dann nur ein Visa benötigen würden. Gewusst haben sie es aber nicht.

Für mich ist das rassistisch genug, ehrlich gesagt. Aber selbst, wenn das nicht reichen sollte: In der Zeit vor dem Referendum haben die ach so nicht rassistischen Brexit-Befürwörter*innen, die Wahlplakate von Nigel Farages Team gesehen. „Breaking Point“ stand da auf einem Plakat, auf dem geflüchtete Menschen zu sehen waren, die eine lange Schlange bildeten.

Das ist eins zu eins angelehnt an Nazi-Propaganda. Die Leute, die sich dieses Poster angeguckt haben, und dann trotz ihrer nicht-rassistischen Seelen für den Brexit gestimmt haben – der Nicht-Rassismus dieser Leute ist mir ehrlich gesagt nichts wert.

Jacinta Nandi ist eine britische Autorin, Kolumnistin und Bloggerin. Sie wurde 1980 in Ost-London geboren und kam mit zwanzig Jahren nach Berlin. Zuletzt erschien ihr Buch „Nichts gegen blasen“ im Ullstein Verlag.

Auf Facebook habe ich gepostet, dass die Engländer*innen, wenn sie wüssten, wie kacke ihr Land im Vergleich zu Resteuropa eigentlich ist, nicht so paranoid wären, dass alle nach Großbritannien kommen wollen. Und sie hätten nicht den Frieden Euopas für ein paar Bananen riskiert. Eine Bekannte, mit der ich zur Schule gegangen bin, hat darauf regiert.

Sie schrieb:

„This is my son. Proud to be British!! Proud to wear the uniform! Proud to parade through the streets of Britain!! I am proud to be his mother! Proud that he has manners! Proud that he is not racist scum! Proud that he believes in his country! If this referendum brings on WW3 I will be proud that he may be on the front line whilst u will be begging for ur lives that you are English in order to save yourself as your country has had to before! We have won before and we will again. Long Live Britain!!!“

Das ist England. Das ist, wofür sie gestimmt haben haben. Ein zweites Referendum ist eigentlich sinnlos. England schafft sich ab, und wir in Europa müssen einfach hoffen, dass wir es überleben.