Von Hengameh Yaghoobifarah

(Inhaltshinweis: sexualisierte Gewalt, Täter-Opfer-Umkehr, R*pe-Culture)

Seit zwei Jahren läuft der Prozess um das Model und It-Girl Gina-Lisa Lohfink. Die Kurzfassung: Zwischen ihr und zwei Männern fand mutmaßlich sexualisierte Gewalt statt, die gefilmt wurde. Die Täter behaupten, der Sex sei einvernehmlich gewesen, und die mehrfachen Aufforderungen aufzuhören (in den Videos hörbar) bezogen sich nur auf die konkrete sexuelle Handlung oder das Filmen. Jedenfalls veröffentlichten die Männer die Videos und auf Lohfinks Gegenwehr zeigten sie die Überlebende wegen Verleumdung an. Darüber schrieben zuvor unter anderem Nadia Shehadeh und Mithu Sanyal.

Was ist das für 1 Lamm? K1 unschuldiges. © Flickr/GrahamPics1
Was ist das für 1 Lamm? K1 unschuldiges. © Flickr/GrahamPics1

Am 8. August fand der dritte Prozesstag im Amtsgericht Tiergarten statt. Auch dieses Mal kam ein Bündnis gegen sexualisierte Gewalt zusammen, das vor dem Gebäude einen Solidaritätsprotest veranstaltete, wenn auch in der Menge der Teilnehmenden nicht so üppig wie beim Termin im Juni. (Magda Albrecht berichtete damals für Mädchenmannschaft.net.)

An diesem dritten Tag sollte einer der beiden mutmaßlichen Täter, Sebastian Castillo Pinto, als Zeuge angehört werden. Bevor er an die Reihe kam, wurde Lohfink von zwei Angehörigen nach draußen gebracht, da sie klarmachte, dass sie ihm auf gar keinen Fall begegnen wollte. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits in Tränen aufgelöst, denn nur einen Moment davor schauten sich die Prozessbeteiligten erneut die Mitschnitte der Tatnacht an, während sie sich weggesetzt und die Ohren zugehalten hatte. Ihr Verteidiger benannte eine gewaltvolle Szene und wies die Richterin konkret auf diese hin, die beweisen sollte, dass der Akt nicht einvernehmlich hätte sein können. Die Staatsanwältin erwiderte, dass diese Szene nicht existiere, und ich, die ich diese Videos nicht kenne, fragte mich, ob so eindeutige Handlungen wie ein Schlag ins Gesicht wirklich unterschiedlich verstanden werden können oder ob die Personen auf dem Bildschirm einfach unterschiedliche Videos sahen.

Als Castillo Pinto mit seinem Anwalt den Gerichtssaal betrat, wollte er gleich zu Beginn festlegen, dass er die Videos nicht in Umlauf gebracht hätte und so etwas nie tun würde. Er inszenierte sich als unschuldigen, moralischen und durchwegs verständnisvollen Typen. „Nein heißt nein, das sehe ich auch so!“, sagte er zum Beispiel und behauptete, niemals auf die Idee zu kommen, mit einer betäubten Frau Geschlechtsverkehr zu haben. Hätte er nie getan und würde er auch nie. Sein männliches Ego baute er nicht nur um seine Good-Guy-Rhetorik auf, sondern auch durch ein Verhalten, das die Ernsthaftigkeit der Gerichtssituation völlig negierte. Er machte sich zum Witzbold des Saals – teils aufgrund klassistischer Zuschreibungen innerhalb des Presse- und Zuschauer*innenbereichs unfreiwillig, meistens aber mit Absicht. Auf die Frage, woher sein mutmaßlicher Mittäter Pardis F. in der Tatnacht seine Nummer hätte – zumal Castillo Pinto sagte, sie seien lediglich Bekannte –, antwortete er beispielsweise, dass er als Kellner in einem angesagten Club bekannt sei. „Von 3 Millionen Menschen in Berlin haben 3 Millionen meine Nummer.“ Als man ihn fragte, ob er mit Pardis F. schon einmal in einem Bordell gewesen sei, erwiderte er, dass er es nie gewesen sei, er hätte es aufgrund seines Aussehens „Gott sei Dank nicht nötig“.

Der Richterin und Lohfinks beiden Verteidigern gegenüber hatte er vor allem Aggression und Respektlosigkeit zu bieten. Unterbrechungen, Unsachlichkeit, versehentliches Duzen oder freche Gegenfragen gaben mir das Gefühl, für ihn sei das Verfahren schon geklärt, bevor er überhaupt aussagte. Als hätte er das Ding bereits in der Tasche und müsse sich nicht zusammenreißen. Im Gegensatz zu Lohfink ließ er sich in keinem Moment Angst oder Unsicherheit anmerken.

Seine Macho-Scherze und die Aggressivität ließen in mir vor allem die Frage aufstoßen, wer in einer solchen Gerichtsverhandlung Witze reißen und sich weit aus dem Fenster lehnen kann und wer nicht. Wer zitternd und weinend zusammenbricht, den Saal verlassen muss und sich nicht darauf verlassen kann, dass ihr Wort für wahr genommen wird, und wer sich ohne jegliche Angst vor Konsequenzen in seiner Glaubwürdigkeit auch nach der zehnten Abmahnung der Richterin nicht verpflichtet fühlt, sich an die Raumregeln zu halten. Und wer für jede Kleinigkeit einen handfesten Beweis vorlegen muss und wer nicht – schließlich behauptete Castillo Pinto, mit Betäubungsmitteln nichts am Hut zu haben, verweigerte aber den von Lohfinks Verteidiger vorgeschlagenen Drogentest. Aussagen seiner Exfreundin zufolge, die ihn mehrfach wegen unterschiedlichen Formen von Gewalt angezeigt hatte, sei er konstant unter Drogeneinfluss, doch dies machte weder die Richterin noch die Staatsanwältin stutzig. (Was ich angesichts der Tatsache, dass ihm auch der Einsatz von Betäubungsmitteln während der Tatnacht vorgeworfen wird, extrem merkwürdig und auffällig gutgläubig finde. Insbesondere auch deshalb, weil er vor Gericht sehr aggressiv und größenwahnsinnig performte.)

Wenn die Richterin oder die Verteidiger ihm kritische Fragen stellten, reagierten viele im Saal mit empörtem Aufstöhnen, sodass sehr klar war, wem die Mehrheit im Raum glaubte und wem nicht. Die Leute waren da, um den Beweis dafür zu sehen, dass Gina-Lisa Lohfink sich die ganze Geschichte der Medienaufmerksamkeit wegen ausgedacht hätte. Als sei das Outing als Überlebende sexualisierter Gewalt jemals ein sonniges Erfolgsrezept für Frauen gewesen und nicht etwa mit Scham, Schuldumkehrung und Dämonisierung verbunden.

Als Lohfinks Verteidiger ihn mit weiteren Gewaltvorwürfen von zwei unterschiedlichen Frauen konfrontierten, negierte beziehungsweise relativierte er diese. Nach seiner Anhörung kam eine der beiden Betroffenen zu Wort, was die Staatsanwältin übrigens zunächst für unnötig hielt und verhindern wollte. An diesem Punkt fragte ich mich, ob der Staat, den sie in ihrer Rolle verteidigt, ein gewaltvoller cis Typ sein muss, da sie sexualisierte Gewalt doch so sehr verfechtet?

Die Überlebende kam also dazu und schilderte einen Vorfall aus dem Jahr 2004, bei dem sie – sehr ähnlich wie Gina-Lisa Lohfink – von Castillo Pinto in einem Club mit K.O.-Tropfen im Getränk betäubt wurde und anschließend vergewaltigt worden sein musste. Den anschließenden Indizien, ihrem Filmriss und von ihr damals befragten Personen zufolge musste so etwas passiert sein. Alles, was sie mit ruhiger Stimme sagte, passte zusammen und klang nach einem Musterbuchbeispiel für sexualisierte Gewalt. Sie hätte damals nur mit ihrer besten Freundin konkret darüber gesprochen, weil sie befürchtet hatte, dass ihr niemand glauben würde. Und auch hier ließ sich die Richterin nicht nehmen zu fragen, warum sie denn damals nicht zur Polizei gegangen sei, wenn der Fall so klar war. An diesem Zeitpunkt musste ich gehen und konnte das restliche Verfahren nicht mehr verfolgen.

Herauskristallisiert hat sich in diesen Stunden für mich nur weiterhin, wie unterschiedlich Unschuld und Glaubwürdigkeit in Kontexten sexualisierter Gewalt bewertet wird. Und dass die Tatsache, dass Frauen in den Positionen der Richterin und Staatsanwältin sitzen, kein Garant für eine feministische oder zumindest empathische Verhandlung eines solchen Falls ist.