Von Caren Miesenberger

Die Brasilianerin Yasmin Thayná hat vergangenes Jahr den Kurzfilm „Kbela“ gedreht (Wortspiel aus Cabelo = Haare und Beleza = Schönheit), in dem es darum geht, sich als Schwarze Frau mittels der eigenen natürlichen Haare von weißen Schönheitsidealen zu lösen. Außerdem initiierte sie Afroflix – eine Homepage, auf der Filme gesammelt werden, in denen Schwarze mindestens eine leitende Funktion einnehmen. Mit Missy sprach die 23-Jährige über die Olympischen Spiele, Rassismus in Brasilien und die Motivation hinter ihrer Arbeit.

 

Thayná (links) will Schwarze Filmkultur sichtbarer machen © Alile Dara Onawale
Thayná (links) will Schwarze Filmkultur sichtbarer machen © Alile Dara Onawale

Missy: Sie sind aus Rio de Janeiro. Was halten Sie von den olympischen Spielen, die gerade dort stattfinden?
Yasmin Thayná: Wenn ich an die Olympischen Spiele denke, denke ich an den Schmerz vieler Leute, der nicht in den Zeitungen steht. Es gab schreckliche Zwangsumsiedlungen innerhalb der Stadt, vor allem in der zentralen Region und in der Vila Autódromo. Außerdem gab es bei diesen Umsiedlungen keine partizipative, transparente und offene Politik, was bei vielen Leuten Misstrauen verursachte. Der Hafen Rios, wo weltweit mit am meisten versklavte Menschen, wurde in einem Zukunftsprojekt bestattet, das seine Vergangenheit unsichtbar macht. Das größte Vermächtnis dieser Olympiade wird die Debatte um den Bau sein. Dieses Jahr wird es Kommunalwahlen geben, da ist es entscheidend, dass wir gemeinsam darüber nachdenken, welches Rio de Janeiro wir zukünftig wollen.

Wie nehmen Sie die Spiele selbst wahr?
Ohne Zweifel: Frauen stehlen die Show. Für Brasilien heißt es, dass mehr in den Sport investiert werden muss. Es gibt bewundernswerte Sozialprojekte in den Favelas und Peripherien, die auf sehr prekäre Weise funktionieren, ohne jegliche Gelder, nur von Liebe angetrieben und die häufig öffentliche Aufgaben erfüllen. Der Fall Rafaela (Rafaela Silva, Schwarze lesbische Judoka aus peripherisierten Stadtgebiet, die die erste brasilianische Goldmedaille gewann, Anm. d. Autorin) hat viele Debatten erzeugt. Die brasilianischen Goldmedaillen spiegeln die Statistiken der Bevölkerung wider, dessen Mehrheit Schwarz ist. Dies zeigt uns einen großen Widerspruch: Es ist der Teil, der am meisten stirbt – durch Schmerz oder Schüsse. Die Olympischen Spiele zeigen meiner Meinung nach auch einen Schrei danach, dass Schwarze Leben wichtig sind. Repräsentativität ist wichtig, aber braucht Investitionen.

Ihr Film „Kbela“ handelt vom Empowerment Schwarzer Frauen mittels der eigenen Haare. In Deutschland wehren sich Schwarze gegen eine Form von Alltagsrassismus, bei der weiße ihre Haare anfassen wollen. Passiert dies auch in Brasilien?
Ja, andauernd.

Wie zeigt sich Rassismus noch?
Rassismus zeigt sich in vielen Formen. Die Gesellschaft hat sehr lange Blackfacing akzeptiert und unterstützt. Gerade erst wurde es in einer großen und respektierten Institution des Landes praktiziert. Diese Institution musste sich komplett überdenken, da die Leute es nicht akzeptierten. Rassismus manifestiert sich täglich und ständig und überall: Auf den Straßen und in den Institutionen, die wir frequentieren – Kirchen, Schulen und öffentlicher Raum allgemein. Auch im Wissen, wenn wir nur einen Teil der Geschichte lernen und keinen Zugang zu den Werken der Personen haben, die Geschichte gemacht haben, weil das eurozentristische Narrativ vorherrschend ist. Das sind nur ein paar Beispiele.

Sie machen nicht nur Filme, sondern haben auch das Onlineportal Afroflix gegründet. Wie kam es dazu?
Ich habe „Kbela“ in Salvador gezeigt, als ein Schwarzes Mädchen nach dem Screening in der Diskussion das Mikrofon ergriff und sagte: Niemals hätte ich gedacht, dass ich in einem Film den Klang krauser Haare höre, die gekämmt werden. Sie konnte sich nicht vorstellen, das gleiche Geräusch zu hören, das sie jeden Tag hört, bevor sie das Haus verlässt. Den Klang dieser Wurzel, die immer für ein Land für alle gekämpft hat, diese Wurzel, die immer und kraftvoll Lärm macht. An dem Tag und bei anderen Screenings von „Kbela“ haben die Leute viel über Filmvertrieb diskutiert. Und auch über neue Formen der Distribution von Filmen, bei denen Schwarze Personen Regie geführt haben oder Protagonist*innen sind oder die von Schwarzen produziert oder geschrieben wurden.

Wie gestaltet sich der Filmvertrieb in Brasilien?
Er wird der Diversität nicht gerecht. Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung wird vom brasilianischen Film und Fernsehen nicht repräsentiert – weder vor, noch hinter der Kamera. Wir haben ein veraltetes, traditionelles Distributionsmodell, was kommerzielle Wege wie Fernsehen und die großen Kinonetzwerke umfasst oder die Logik der Festivals, die meistens eurozentristische Sprache privilegiert. Das produziert Bilder, die eurozentristisch sind.
Heute haben wir aber das Internet, das in Sachen Entertainment sehr wächst. Ich denke, dass es an der Zeit ist, dort hin zu sehen und in die neuen Narrative und Narrator*innen zu investieren. Da gibt es schon Vlogs und Sendungen, die nur für das Internet produziert werden. Es gibt auch einen zweiten Bereich: Die Eigenproduktionen für Afroflix. Dort haben wir schon den Film Batalhas, in dem es um die erste Funk-Show im Stadttheater Rio de Janeiros geht.

Wie finanzieren Sie Afroflix?
Wir machen die Plattform unabhängig, was bedeutet, dass wir keine Investor*innen haben. Es gibt kein Geld, wir machen es aus unserem eigenen Schweiß. Aber irgendwann werden wir Geld brauchen. Die Idee ist, dass Afroflix die Drehbücher Schwarzer produziert. Wir lieben „House of Cards“ und andere amerikanische Serien, weshalb also nicht brasilianische Serien gucken, die von denjenigen produziert wurden, die mehr als 50 Prozent der Bevölkerung stellen? Bei Diskussionsrunden frage ich eingangs oft: „Kann hier irgendwer 10 Schwarze brasilianische Filmschaffende nennen?“ – und bis heute habe ich nie auch nur eine Hand gehoben gesehen, die nicht von Schwarzen Cineasten oder Produzent*innen ist, die selbst tief in diesem Feld stecken. Es gibt mehr als 10 Schwarze Cineasten, aber die Leute kennen sie nicht! Deshalb machen wir Afroflix: Um Sichtbarkeit für diese Produktionen und Produzierenden zu schaffen, von denen es viel mehr als zehn im Lande gibt – und die auch schon Filme gemacht haben, bevor ich geboren wurde. Afroflix ist keine Plattform nur für Schwarze, sondern für alle. Es muss nur bei jedem Film mindestens eine Schwarze Person Regie geführt, das Drehbuch geschrieben, an der Produktion beteiligt oder eine Hauptrolle gespielt haben. Letztens hat hat mir ein Regisseur, dessen Film auf der Plattform ist, gesagt, dass sein Kanal eine Höchstzahl an Aufrufen hat, seitdem es Afroflix gibt. Das heißt: Neue Leute greifen auf seine Inhalte zu.

Audiovisuelle Inhalte zu produzieren ist eine sehr ernste Angelegenheit. Neben der Romantisierung dieses Kunstfeldes gibt es Assoziationen damit, dass es „glamourös“ ist. Das ist es nicht. Narrative zu produzieren bedeutet, Sinn über das Leben, eine soziale Gruppe, Menschen, Orte, Länder, und so weiter zu produzieren. Das ist sehr ernst. Es ist ernst, wenn Menschen bestimmte Positionen mit vorbestimmter Hautfarbe lesen. Wenn ich von einer „Führungskraft einer großen Firma“ spreche, denken wir automatisch an einen weißen Mann mit Anzug und Krawatte, der einen Aktenkoffer in der Hand hat. Wenn wir „Hausangestellte“, „Fahrer“ oder „Bandit“ sagen, assoziieren wir das mit Schwarzen. Bei allem Respekt für Hausangestellte und Fahrer*innen, auch, weil mein Vater Maurer ist und meine Mutter Hausangestellte: Es ist sehr ernst, wenn wir keine anderen Bilder über einen bestimmten Typ Mensch machen können, Schwarze. Ich komme aus der Vorstadt Rio de Janeiros und hoffe, dass ich ein weiterer Kopf sein kann, der neue Formen der Produktion von Narrativen für unsere Vorstadt und unser Land schaffen kann. Das hat nicht nur mit „Sozialem“ zu tun, sondern auch mit Demokratie, Bildung und Wirtschaft.

Sie haben mit „Kbela“ sehr viel Aufmerksamkeit erhalten und konnten den Film in Kap Verde und Europa zeigen. Welche neuen Möglichkeiten haben sich dadurch für Sie eröffnet?
Die Möglichkeit, mit Leuten zusammenzudenken und zu arbeiten, die erkennen, dass es wichtig ist, ein anderes Bild über Schwarze in Brasilien zu kreieren. Die Wahrnehmung, wer wir sind, muss sich ändern. Wir müssen uns auf die wertschätzenden Blicke unserer Vorfahren beziehen. Es darf nicht Rassismus sein, der unser Schwarzsein definiert. Unsere Erinnerung und Kreativität, die wir immer hatten und nun haben, um zu leben und glücklich zu sein, sollte dies definieren. Das Schaffen neuer Bilder – sei es in Telenovelas oder im Kino – ist dabei fundamental. Heute haben wir Praktiken, Vorstellungen und sagen Dinge, die Spuren in der Zeit der Versklavung haben. Das ist auch das Ergebnis davon, dass das Fernsehen und das Kino dies als normal etabliert hat. Das spiegelt sich überall wider, vor allem in unseren sozialen Beziehungen, in denen Menschen durch Schüsse oder Unsichtbarkeit sterben.