Von Olja Alvir

Heute muss ich ganz klischeehaft anfangen: Damals, vor dem Internet, da haben wir jungen Leute uns noch ganz anders Informationen beschaffen müssen. Was Sex angeht, war beispielsweise das bekannte Jugendblatt „Bravo“ mit seiner Dr.-Sommer-Sektion tatsächlich eine wichtige Quelle. Hier konnten Leser*innen der Redaktion unverblümt Fragen stellen, die sie sich sonst niemanden zu fragen trauten. Allein schon die Tatsache, dass eine solche Rubrik derart wichtig war, zeugt übrigens von den Fehlern und Mängeln der Reproduktions- und Sexualpädagogik an Schulen.

© Tine Fetz
So stellt sich die „Bravo“ dein erstes Mal vor. © Tine Fetz

Eine besonders häufig beantwortete Frage war hierbei jegliche Variation von: „Wie ist das erste Mal – und tut es weh?“ Dr. Sommer, beziehungsweise die „Bravo“-Redaktion, beantworteten diese Fragen immer mit den gleichen Stehsätzen: Mädchen hätten ein Jungfernhäutchen, das beim ersten Mal Penetration vom Penis durchbrochen werde. Es könne hierbei zu Blutungen kommen. Wenn das Jungfernhäutchen reiße, tue es meistens (ein bisschen) weh.

Mir hat das erste Mal nicht wehgetan. Auch habe ich nicht gespürt, wie etwas gerissen wäre, Blutung gab es ebenfalls keine. Ich dachte immer, das wäre ein extrem seltener Glücksfall gewesen, doch heute weiß ich, dass die Ausführungen von Dr. Sommer sich lediglich in (cis-)sexistische Tendenzen in der Sexualpädagogik einreihen, die Menschen mit Vulva – aber auch anderen – Unrecht tun. Warum wird Mädchen versichert, dass Sex wehtut (und dass sie es trotzdem über sich ergehen lassen sollen), und Jungen nicht eingetrichtert, dass sie gefälligst vorsichtig sein sollen? Ganz abgesehen von der Tatsache, dass ein „erstes Mal“ auch ohne Penis auskommen kann, aber gut.

Die Sexual- und Reproduktionspädagogik im deutschsprachigen Raum ist einerseits einige Jahrzehnte lang überholt, und andererseits wird dieses ohnehin schon schüttere Wissen – in Schulen wie auch in den Medien – sehr mangelhaft kommuniziert. Komplett fehlen Ausführungen zu Gender als soziales Konstrukt sowie die Information über verschiedene Begehren und Identitäten. Wenn Homosexualität auch nur mit einem Wort erwähnt wird, dann ist das schon als progressiv zu verstehen. Während trans- und intergeschlechtliche Personen sowie Narrative in der Unterhaltungsindustrie Hollywoods langsam Einzug halten, wissen die meisten jungen (und alten) Menschen nun doch nicht so genau, was sie ausmacht und mit welchen Definitionen gearbeitet wird. Mittlerweile gibt es feministische Bilder- und Kinderbücher, die um einiges fortschrittlicher sind als Biologie-Lehrbücher mit ihren kruden Ausführungen zu „männlicher und weiblicher Anatomie“.

Die „Bravo“ spielt heute, als Printmedium, eine immer kleinere Rolle, aber das Problem bleibt dasselbe. Viele junge Menschen lernen wohl hauptsächlich über das Internet und Pornografie über Sex. Ohne Pornografie verteufeln zu wollen: Eine realistische und vertrauensvolle Quelle für dieses gerade in der Pubertät brennend interessante Thema stellt sie wohl nicht dar. Auch die Eltern mögen nicht immer die beste Ansprechpartner*in sein – soweit vorhanden. Viele werden Sex auch noch immer durch die herkömmlichste und wohl umwegreichste Methode kennenlernen, durch Trial and Error nämlich. All diese Umstände führen dazu, dass patriarchale Machtstrukturen und vor allem auch Rape Culture zementiert werden.

Das Wichtigste – beim Sex wie auch im Leben – würde ich mich trauen zu sagen: Information und Kommunikation. Für eine fortschrittliche, feministische Praxis, und zwar hopp, hopp! Denn Sexualpädagogik bedeutet auch Emanzipation.