Von Valerie-Siba Rousparast

Wenn es um die Benennung von Geschlechteridentitäten geht, sind wir im deutschsprachigen Raum noch etwas faul. Meistens unterteilen wir Geschlecht in zwei Kategorien: Frau und Mann. Etwas genauer geht es, wenn man zwischen Sex und Gender unterscheidet. Sex bezeichnet das biologische Geschlecht, Gender das soziale Geschlecht, erlernt durch Prägung. Aber auch das biologische Geschlecht ist etwas gesellschaftlich Konstruiertes – denn die Natur, die immer wieder gerne als Wahrheit bemüht wird, sagt nicht, dass eine Vulva per se weiblich ist und deren Träger*in eine Frau sein muss.

Gender und Sex sind nicht binär: Es gibt nicht nur Mann oder Frau und daher auch nicht nur cis oder trans. Vielmehr verlaufen beide Eigenschaften ähnlich wie ein Farbspektrum, in dem jede Schattierung möglich ist. Hä, cis? „Cis“ ist das lateinische Präfix für „auf dieser Seite, diesseits, binnen, innerhalb“. Cis bezeichnet jene, die sich mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, identifizieren und dieses Geschlecht auch ausagieren, sprich „performen“. Ist das der Fall, ist man vermutlich ein cis Mann oder eine cis Frau.

Cis zu sein bedeutet also erst mal nur, sich innerhalb der Dichotomie „Mann oder Frau“ wiederzufinden und das von der Gesellschaft als passend betrachtete biologische Geschlecht (Sex) von Ärzt*innen in die Geburtsurkunde eingetragen bekommen zu haben. Es gibt aber auch Menschen, die trans sind, sich also mit einem anderen Geschlecht identifizieren als dem, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Es gibt Menschen, die intersexuell sind, keinem oder zwei biologischen Geschlechtern angehören. Und es gibt Menschen, die sich als nicht-binär und damit – ungeachtet ihrer Genitalien – weder als Mann noch als Frau begreifen. Mal verorten sie sich „zwischen“ den Geschlechtern, mal außerhalb dieser Zweiteilung.

Die Vielfalt von Genderidentitäten lässt sich auch sprachlich abbilden, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Indem man das „*“ oder den „_“ verwendet, zeigt man, dass man nicht nur von Frauen oder Männern spricht. Wenn man zum Beispiel „Freund*innen“ statt „Freundinnen“ schreibt, meint man damit Personen verschiedener Gender.

Wie alle Genderidentitäten, ist auch cis zu sein keine Entscheidung. Es kommt vor, dass sich eine Person erst im Laufe ihres Lebens über ihre trans-, nichtbinäre oder intersexuelle Identität bewusst wird und das entsprechend äußert. Natürlich spielt dabei auch die berechtigte Angst vor Diskriminierung und Stigmatisierung eine Rolle. Cis zu sein ist nichts Sichtbares, sondern fluide.

Jeder Mensch kennt seine Gendernuance selbst am besten. Es gibt auch cis Personen, die gendernonkonform, also nicht geschlechterkonform sind. Sie performen nicht die von ihnen gesellschaftlich erwarteten geschlechterspezifischen Merkmale. Beispielsweise ist es in den meisten westlichen Ländern unüblich, dass ein Mann Röcke oder Kleider trägt. Das Tragen eines Kleides allein macht ihn aber nicht automatisch zu einer trans Person, er kann auch gendernonkonform sein und sich dennoch als cisgeschlechtlich identifizieren.

Das Pendant zu Heteronormativität, also der Annahme und Norm, dass alle Menschen heterosexuell sind, ist übrigens Cis-Normativität. Die Diskriminierung von Personen, die nicht cis sind, nennt sich Cissexismus. Cissexismus geht über Transfeindlichkeit hinaus. Gendernonkonforme cis Personen, also Menschen, die in irgendeiner Form nicht das normative Bild einer Frau oder eines Mannes repräsentieren, können nämlich auch von Cissexismus betroffen sein.

Dieser Artikel ist zuerst in Missy 01/2017 erschienen.