Von Sophie Charlotte Rieger

Während die Berlinale für mich nun langsam zu Ende geht, fängt sie für das Festivalpublikum noch einmal so richtig an. Am Wochenende laufen zahlreiche Wiederholungen von Filmen aller Sektionen und am Sonntag, dem Berlinale-Publikumstag, sind auch die Tickets deutlich billiger. Aus diesem Anlass möchte ich zum Abschluss meines Berlinale-Tagebuchs noch eine Reihe interessanter und sehenswerter Filme vorstellen. Alle Zeiten und Kinos findet ihr hier.

 201719049_1 The Misandrists Panorama 2017 DEU 2017 von: Bruce LaBruce Olivia Kundisch, Susanne Sachsse, Viva Ruiz, Grete Gehrke © Jürgen Brüning Filmproduktion / J.Jackie Baier
Schadet nie: feministische Selbstironie. Im neuen Film von Bruce LaBruce gibt es davon jede Menge. © Jürgen Brüning Filmproduktion / J. Jackie Baier

The Misandrists

Bruce LaBruce, bekannt als Ikone des queeren Pornos, präsentiert dieses Jahr in der Panorama-Sektion eine feministische Satire. Mit kleinem Budget erzählt er die Geschichte einer fundamentalistischen, lesbischen und feministischen Terrorzelle, die sich im Umland von Berlin auf die Weltherrschaft vorbereitet. Das ist genauso trashig, wie es klingt, und macht großen Spaß. Von den gestelzten und mit Fachbegriffen gespickten Dialogen sollte sich übrigens niemand abschrecken lassen. Aber Vorsicht: Es braucht definitiv eine gehörige Portion feministische Selbstironie, um mit „The Misandrists“ richtig Spaß zu haben. Aber die schadet ja ohnehin nicht!

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Patricia Clarkson und Bruno Ganz feiern eine Party. © Adventure Pictures Limited 2017

 The Party

Der Berlinale-Wettbewerb wurde auch in diesem Jahr von Filmen dominiert, die in der Regel nicht sonderlich stimmungshebend wirken. Umso erfrischender gestaltete sich Sally Potters komödiantisches Kammerspiel „The Party“ über eine – wie der Titel bereits andeutet – eskalierende Dinner-Runde. Die frisch gebackene Gesundheitsministerin Janet (Kristin Scott Thomas) lädt ihren Freund*innenkreis ein, um ihren beruflichen Erfolg zu zelebrieren. Leider reihen sich Hiobsbotschaften an Beziehungskrisen, so dass zum Feiern irgendwie keine Zeit bleibt. Mit herrlich bissigen Dialogen gehen sich die Protagonist*innen gegenseitig an die Gurgel und führen einander, jede*r ein wandelndes Stereotyp, gnadenlos vor. Die 71 Filmminuten sind viel zu schnell vorbei.

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Auf Schatzsuche. © Cine Ermitaño / Gerardo Barroso / Lisa Tillinger

Tesoros

Mein diesjähriger Lieblingsfilm der Sektion Generation ist der mexikanische Kinderfilm „Tesoros“ von María Novaro. Gemeinsam mit seinen Freund*innen macht sich hier der kleine Protagonist Dylan auf die Suche nach einem Piratenschatz. Die Geschichte spielt vor der Kulisse des tropischen Barra de Potosí und die pädagogisch wertvolle Moral von der Geschichte ist die Bedeutung der Natur. „Tesoros“, also Schätze, sind hier keine Goldstücke, sondern Tiere und Pflanzen, aber auch Freundschaft und familiärer Zusammenhalt. Das Besondere an diesem Film ist die Nähe zu den Kinderdarsteller*innen. „Tesoros“ wirkt, als habe Novaro viel mit Improvisation gearbeitet: Kindliche Logik dominiert die Narration und die Szenen wirken verspielt und ungemein authentisch.

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Emily Browning als Praktikantin Naomi. © Sean Price Williams

Golden Exits

Eine junge Praktikantin bringt gleich mehrere Beziehungen aus dem Gleichgewicht – das könnte der Stoff für eine ziemlich platte Beziehungskomödie sein. Aber Regisseur Alex Ross Perry nutzt die Erwartungshaltung seines Publikums lediglich, um sie zu enttäuschen. Vergeblich warten die Zuschauer*innen auf die so stereotype Eskalation, wenn endlich alle Geheimnisse ans Licht kommen, die Menschen auf der Leinwand schreien und sich dann heulend in die Arme fallen. Aber nix da! „Golden Exits“ ist ein gelungenes Beispiel dafür, was passiert, wenn eine Geschichte von Liebe, Beziehung und Sehnsucht ohne Klischees erzählt wird und sich ein Film nicht auf kulturelle Mythen von notgeilen Männern und hysterischen Ehefrauen verlässt, sondern komplexe Charaktere inszeniert. Es geht weniger spannend, weil weniger explosiv zu, dafür authentischer und berührender. An trüben Tagen sollte sich jedoch niemand diesen Film ansehen, denn auch das kitschige Happy Ending gehört zu den Klischees, die Axel Ross Perry mutig aussortiert.

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Regisseurin Ashley McKenzie. © Christopher Wahl

Werewolf

In blassen Bildern und großer Nähe zu ihre Figuren – im übertragenen, wie auch im technischen Sinne – verfilmt Ashley McKenzie eine Geschichte von Liebe und Sucht. Die extremen Close-ups, die uns statt eines umfassenden Blicks auf die Szenerie immer nur einzelne Elemente zeigen, geben Einblick in die Perspektive der Protagonist*innen, die sich orientierungs- und hilflos von der Welt verlassen fühlen. In anderen Momenten wiederum spiegeln die ungewöhnlichen Bilder, beispielsweise halbnahe Kameraeinstellungen mit angeschnittenen Gesichtern, den ignoranten Blick der Menschen auf die Filmheld*innen wider. Die beiden jungen Heroinabhängigen kämpfen vor allem darum, gesehen zu werden – von potenziellen Unterstützer*innen, aber durchaus auch voneinander. „Werewolf“ ist kein klassisches Drogendrama, sondern eher eine kleine, zärtliche Coming-of-Age-Geschichte über eine junge Frau, die sich gleich doppelt emanzipieren muss: von einer Droge und von ihrem süchtigen Partner.

 Sophie Charlotte Rieger arbeitet als freie Filmkritikerin und Journalistin. Auf ihrem Blog „Filmlöwin“ widmet sie sich ganz dem feministischen Blick auf Film. Dieses Jahr ist sie für uns auf der Berlinale unterwegs und führt ein Festivaltagebuch.

Mit diesen letzten Filmtipps für das Berlinale-Wochenende verabschiede ich mich vom diesjährigen Festivaltagebuch und wünsche allen Lesenden viel Spaß im Kino. Wer sich ausführlicher über die einzelnen Filme aus meinen Berlinale-Tagebüchern informieren möchte, kann übrigens auf meinem Blog „filmloewin.de“ Langkritiken zu fast allen von mir im Laufe des Festivals vorgestellten Filmen nachlesen.