Von Christina Mohr

Live-Platten sind oftmals verzichtbar: Hat man wirklich was davon, Jahre nach dem eigentlichen Event ein aus verschiedenen Gigs zusammengezimmertes Quasi-Best-of-Album plus austauschbarer Künstler*innen-Ansagen à la „You’re a great audience!“ anzuhören? Meistens nicht.

© Jason Williamson
© Jason Williamson

Es sei denn, es handelt sich um das erste Live-Album von Sleater-Kinney, aufgenommen am 20. März 2015 im legendären Pariser Club La Cigale. Kurz zuvor hatten Carrie Brownstein, Corin Tucker und Janet Weiss ihre starke Comebackplatte „No Cities To Love“ herausgebracht, nach fast zehn Jahren Bandpause. Das allein war für Fans der US-amerikanischen Post-Riot-Grrrls schon überwältigend, die Aussicht auf Konzerte noch mehr – diese aufgekratzte, spannungsgeladene Stimmung bei Publikum und Band ist auf „Live In Paris“ in jeder Sekunde spürbar.

Sleater-Kinney starten mit „Price Tag“ – dass überwiegend Stücke von „No Cities To Love“ und „The Woods“, also aus der jüngeren Bandhistorie, zu hören sind, zeigt, dass die Band eben nicht nur von frühen Erfolgen zehrt. Das Trio ist auch anno 2015 hungrig, laut und voller Power, vom ersten bis zum letzten Ton. Wie immer ohne Bass, mit treibenden Gitarren (Carrie Brownstein und Tourmitglied Katie Harkin), superdruckvollem Schlagzeugspiel von Janet Weiss und natürlich Corin Tucker, die mit unvergleichlichem Vibrato in der Stimme singt und schreit – und vor allem etwas zu sagen hat: In Zeiten, in denen die USA von einem sexistischen, rassistischen Betrüger regiert werden, sind Zeilen wie „We win, we lose, only together do we break the rules“ („Surface Envy“) ein wichtiger, feministischer, aufrührerischer Weckruf.

Sleater-Kinney „Live In Paris“
(Sub Pop/Cargo Records)

Sleater-Kinneys unkaputtbare, wütende Punkrock-Energie überträgt sich auch in der Konserve. Man will Teil dieser so coolen wie wilden Grrrl-Gang sein oder auf die Straße gehen mit tausend anderen Fans und gegen die Verhältnisse anschreien – wie viel positive Kraft Musik haben und entfesseln kann, stellt „Live In Paris“ eindrucksvoll unter Beweis, selbst wenn man nicht dabei war an jenem Märzabend. Ach, und ein paar alte Riot-Hymnen sind doch drauf: Mit „Dig Me Out“ und „Modern Girl“ endet diese Platte, die man sofort noch mal auflegt. Verzichtbares Live-Album? Unverzichtbar!