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v.l.n.r.: Barbara Mürdter, Anne Roth, Franziska Bluhm, Nicole Simon, Mary Scherpe, Birte Goldt. Illustration: Anja Stiehler.

Geht man nach einschlägigen Rankings, sind es vor allem Männer, die »relevante« Inhalte im Netz produzieren. Bloggende Frauen mögen das nicht glauben und fragen immer wieder: Wer bestimmt, was hier relevant ist? Schließlich bloggen und twittern auch Frauen äußerst sichtbar über Politik, Mode, Technik oder Feminismus. Verena Reygers, selbst Bloggerin auf maedchenmannschaft.net, stellt zur Web-2.0-Konferenz re:publica ihre persönliche Relevanzliste vor.

Anne Roths Blogkarriere bestimmte ein spezielles Ereignis: Im Juli 2007 wird ihr Freund Andrej Holm in der gemeinsamen Wohnung als Terrorist festgenommen. Trotz späterer Aufhebung des Haftbefehls bleiben Holm und Roth unter Beobachtung. »Über diesen Alltag fing ich an zu bloggen, weil ich mitten in der Debatte Freiheit vs. Sicherheit auch andere wissen lassen wollte, wie das im Alltag für die aussieht, die davon betroffen sind«, sagt Roth. Auf annalist.noblogs.org behandelt die Journalistin aber auch innenpolitische und feministische Themen. Zuletzt hat sie die Diskussion über die Wahrnehmung von Bloggerinnen wieder neu angestoßen, denn sie stellt eindeutig weniger Aufmerksamkeit für weibliche Meinungen im Netz fest. Wenn in den Blogcharts auf den ersten 35 Plätzen nur Männer auftauchen, dann liege das auch daran, dass Frauen »nicht verlinkt oder weniger gelesen« werden, so Roth. In vielen Rankings bestimmt die Anzahl der Links die Relevanz eines Blogs. »Offenbar findet im Netz noch viel ausgeprägter statt, was feministische Theorie schon seit Jahrzehnten auch im realen Leben beschreibt: Männer stützen sich gegenseitig und blenden Frauen aus.« Das geschehe zwar unabsichtlich, aber mit Unterstützung der Frauen, die ebenfalls mehr darauf achteten, was die Männer täten.

Franziska Bluhm ist eine der wenigen Bloggerinnen, die in den Blogrolls der sogenannten Alphablogger auftaucht, also der am meisten gelesenen und verlinkten Netzautoren. Das liegt wohl auch daran, dass sie ihr Blog franziskript.de schon seit 2003 betreibt. Bluhm beschäftigt sich viel mit der Blogosphäre und liest auch die Blogcharts. Die meisten Blogs liest sie aber nicht, weil sie in irgendwelchen Charts auftauchen, sondern aufgrund von Empfehlungen. So etwa auch Anke Gröner und Carolin Buchheim – beides Bloggerinnen, die wie Bluhm über eine kleine Szene hinaus bekannt sind. Warum Bloggerinnen in den Hitlisten des Webs kaum auftauchen, erklärt sie so: »Wenn man sich die Blogcharts anschaut, sieht man, dass die Blogs, die die Liste anführen,mit Politik, Recht, Medien oder Internetkram zu tun haben. Ich weiß nicht, ob es gute Blogautorinnen gibt, die genau zu diesen Themen schreiben.« Web 2.0 bedeutet für Bluhm nicht bloß bloggen. Sie twittert, nutzt Facebook und betreibt einen wöchentlichen Podcast, der auf Antenne Düsseldorf und RP-Online ausgestrahlt wird. In »Die Sendung mit dem Internet «erklärt sie Trends, Tools und Lustiges aus dem Netz. Auf das Wissen anderer zurückzugreifen, um sich schneller zu informieren, ist für Bluhm ein wesentlicher Vorteil des Web 2.0, das sie als »herrlich kommunikativ, informativ, schlicht bereichernd« empfindet.

2006 gründete Mary Scherpe zusammen mit Dario Natale ihr Streetstyle-Blog stilinberlin.blogspot.com. Streetstyle, das sind die auf den Straßen der Szenemetropolen fotografierten Outfits, die meist näher am Trend sind als die Moderedaktionen von Zeitschriften. Das zeigte sich auch, als 2009 eine Frauenzeitschrift Marys Bilder als eigene Modestrecke veröffentlichte -allerdings ohne Rücksicht auf ihr Urheberrecht -, was über die Blogosphäre hinaus für Protest sorgte. Scherpe sieht den Einfluss der Modeblogs wachsen, auch weil einige ModebloggerInnen mittlerweile eher als Journalisten oder Fotografen gälten. Sie selber bekommt durch das Blog mehr Aufträge für Fotostrecken, Lookbooks oder Porträts. Die braucht sie auch, denn selbst wenn Stil in Berlin monatlich 150.000 Besuche zählt – Werbeeinnahmen erzielen Mary und ihr Partner damit erst seit Kurzem. In den deutschen Blogcharts taucht Stil in Berlin nicht auf. Die Begründung: Scherpe bloggt auf Englisch. Aber wie sie selbst sagt: »Ich habe mich nie sonderlich um die Zugehörigkeit zur deutschen Blogosphäre bemüht, um die Verlinkung mit den großen deutschen Bloggern oder das Auftauchen im Programmheft der re:publica.« Der Kontakt mit anderen ModebloggerInnen wie etwa den AutorInnen von stylebubble.typepad.com oder fnart.org ist ihr wichtiger, auch weil sich dadurch ihr Netzwerk erweitert und Jobs außerhalb des Web 2.0 ergeben. Über Persönliches bloggt Mary Scherpe in ihrem Zweitblog pudri.blogspot.com.

Nicole Simon kann das Vorurteil, Frauen im Internet scheiterten an der Technik, nur belächeln. Die Bloggerin war als Teenager schon im Bildschirmtext unterwegs – seit 1998 hilft sie als Medientrainerin und -Beraterin auch anderen, das Internet zu verstehen und zu nutzen. Sie selber bloggt auf beissholz.de über alles, was sie interessiert – Social Media, Twitter, Facebook und Co. Außerdem hat sie die Girl-Geek-Dinner nach Deutschland gebracht: regelmäßige Bloggerinnentreffen, zu denen auch Männer eingeladen sind. Aber nur, wenn eine Frau sie mitbringt. »Damit ist ein Frauenanteil von 50 Prozent sichergestellt, und das scheint die magische Grenze zu sein, jenseits der Frauen sich endlich auch mal trauen, zu so einer Veranstaltung zu kommen«, sagt sie. Technisches Wissen sieht Simon als Voraussetzung, um sich im Internet zu bewegen. Dass viele Frauen sich dafür nicht interessierten, sei ein großes Problem. »Ich erlebe immer wieder, dass Frauen technisch hinterher sind«, erzählt sie. »Kombiniert mit einer passiven Grundhaltung lassen sich die Frauen die Butter vom Brot nehmen. Das mag bei Themen wie Fußball okay sein, aber effizient einen Computer bedienen oder Blogs und soziale Netzwerke nutzen zu können, gehört schon zum Grundwissen. « In der Debatte um die vermeintlich allmächtigen Alphablogger wünscht sie sich mehr Selbstbewusstsein. Schließlich seien die doch auch nur auf einem beschränkten Gebiet Experten – und hätten auch nur dort wirklichen Einfluss.

Barbara Mürdter begann 2006 mit dem Bloggen, »um Dinge, die ich interessant fand, mit anderen zu teilen«. Auf popkontext.de geht es deshalb um Popkultur mit dem Schwerpunkt Musik. Mürdter sieht darin auch ein explizit politisches Anliegen, schließlich durchdringe die Popkultur heute alle Teile der Gesellschaft. Allerdings beschränke sich die mediale Berichterstattung viel zu oft auf männliche Protagonisten,weswegen Mürdter ihr Blog auch als Ergänzung und Erweiterung dessen sieht, was über Popkultur sonst so geschrieben wird. »Mir fehlt zum Beispiel die weibliche Perspektive sehr und auch die von nicht weißen Menschen«, erklärt sie. Für die freie Journalistin ist ihr Blog nicht bloß ein Hobby, sondern eine gute Möglichkeit, ihre Arbeit zu präsentieren. Deshalb finden sich dort neben Terminankündigungen und Rezensionen auch längere Interviews und Texte, die Hintergründe und Zusammenhänge aufzeigen sollen. Damit verstößt Mürdter bewusst gegen die Regeln des schnelllebigen Internets, das für Aussagen oft nicht mehr Platz bietet, als ein Twitterfeed lang ist. Mürdter glaubt, dass »es immer mehr Internet-NutzerInnen gibt, die von der Schnelligkeit des Netzes überfordert sind und durchaus auch mal einen guten, längeren, anspruchsvolleren Text online lesen. « Damit stellt sie sich auch bewusst gegen das Vorurteil, der Output von BloggerInnen sei oberflächlich. Sie glaubt, dass Blogs wie Fachmagazine zu lesen seien, die spezielle Interessen bedienen können, welche der Mainstream gar nicht abdecken kann.

2006 hat Birte Goldt maedchenblog.blogsport.de gegründet – ein Blogkollektiv, für das etwa ein Dutzend AutorInnen rege über Feminismus und Gender schreibt. Inspiriert von ihrem Studium der Gender Studies wollte Goldt die »queer-feministischen Inhalte, Erfahrungen und Kritikansätze« ihres feministischen Werdegangs einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Aus der ursprünglichen Idee, ein Printmagazin für Jugendliche zu machen, wurde spontan das Mädchenblog: »Ich habe mich einfach hineingestürzt, ohne eine genaue Idee, wie sich das Blog entwickeln würde.« Dass der Feminismus im Internet eine gewisse Aufmerksamkeit generiert hat, das beobachtet Goldt durchaus. »Ich habe den Eindruck, dass da langsam etwas ins Rollen kommt«, sagt sie. »Auch wenn die Bewegung, die sich online abzeichnet, leider noch recht wenig Rückkopplungen mit dem Offline-Feminismus hat.« Der Ansatz, im Kollektiv zu bloggen, habe viele Vorteile, sagt Goldt, so unter anderem auch eine bessere Wahrnehmung: »Durch das kollektive Bloggen wird den einzelnen AutorInnen viel mehr Gehör geschenkt als einzeln. Mit dem Mädchenblog sind wir eines der bestbesuchten Blogs unseres Providers Blogsport.de«, erzählt sie. Ebenfalls toll am Selber-Bloggen: Bei Diskussionen mit verletzenden Kommentaren »bestimmen wir als BlogbetreiberInnen selbst, wo die Grenzen zu ziehen sind.«

Die re:publica ist eine Konferenz rund um das Web 2.0, speziell Weblogs, soziale Medien und die Digitale Gesellschaft. Sie wird seit 2007 jährlich in Berlin veranstaltet und findet das nächste Mal vom 14. bis zum 16. April 2010 statt. Nachdem in den vergangenen Jahren chronisch wenige Frauen vertreten waren, hat sich das deutsche Bloggerinnen-Netzwerk Girls on Web Society dieses Jahr vorgenommen, die Quote aufzubessern.

Noch mehr interessante Bloggerinnen findet ihr auf der Seite der maedchenmannschaft. Dort hat Lantzschi eine Liste der 100 must-read deutschsprachigen Bloggerinnen“ begonnen, die noch weiter ergänzt werden kann.