von Kendra Eckhorst

Ein Prostituiertenwitz: Der Freier fragt nach dem Sex im Bordell, bei einem Glas Champagner. „Man kann sich mit dir über Politik, Geschichte und Kunst unterhalten. Wie kommt es, dass du hier gelandet bist?“ Sie antwortet: „Ich hatte einfach Glück.“

Als zufriedenstellende Arbeit begreifen die fünf Schauspielerinnen, die auch als Prostituierte ihr Geld verdienen, ihren Broterwerb. Gar von Selbstverwirklichung und „sich endlich weiblich fühlen“ ist die Rede, wenn die Frauen im Theaterstück Dream Dolls über die Bühne stöckeln. Sie spielen sich selbst, erzählen ihre Geschichten in dem Stück, das Ende Juni für sechs Vorstellungen im Club „Uebel und Gefährlich“ in Hamburg gastierte.

Für das zweite Stück des Kollektivs Union Universals interviewte Regisseurin Maria Magdalena Ludewig mit ihren KollegInnen vier Monate lang Prostituierte und Freier. Sehnsüchte und Motive galt es herauszufinden, die sich nun auf der Bühne zu einzelnen Figuren und Bildern verdichten. Die Lustbegleiterinnen, so ihre offizielle Bezeichnung, rücken den Spaß und die eigene Lust, sich zu prostituieren in den Mittelpunkt und werden als neue Weiblichkeiten im Spätkapitalismus gefeiert. Sexarbeit und Abenteuer gehören hier zusammen und patriarchale Verhältnisse scheinen der Vergangenheit anzugehören.

„Hallo, ich bin Estelle. Hallo ich bin Paula. Hallo ich bin Zoé.“ Die Frauen kommen wiegenden Schritts auf die Bühne und stellen sich vor. Ihren Namen behalten sie. Rosa, eine Frau mit braunen langen Locken, wetzt eine Treppe herauf und gibt vor einer Videokamera ihren Wunsch zu Protokoll: Sie will Prostituierte werden. Leinwände an der anderen Seite des Raums geben ihr „Ich will“ wieder. Es hallt nach in der nächsten Geschichte von Estelle, die schon immer als Prostituierte arbeiten wollte und mit der Volljährigkeit ihren Traum verwirklichte. „Ich mag es, Objekt zu sein. Ich mag es, wenn er über einzelne meiner Körperteile spricht, als wäre ich gar nicht da.“ Und sie mag Schläge lieber als Zärtlichkeit.

Klarere Grenzen zieht Paula, die wohl zwischen einer sexuellen Dienstleisterin und gesellschaftlichen Rollenbildern zu unterscheiden weiß. Sie kommt aus einer bildungsbürgerlichen Familie, in der alle „Physik oder Theologie studiert haben“ und flieht vor diesem vorgeschriebenen Lebensweg. Aber das Geständnis gegenüber den Eltern, dass sie nun als Prostituierte arbeite, führt nicht zur erhofften Provokation. Im Gegenteil schreibt ihr der Vater, dass ihre Arbeit es ihm ermögliche, seine Vorurteile abzubauen. Irgendwann behagt ihr auch die Rolle der Prostituierten nicht mehr und sie schafft als Einzige den Absprung und kehrt zur Universität zurück.

Für die Anderen wird die Arbeit im Bordell, die sexuelle Verfügbarkeit zur Selbstbestimmung, die ihnen einen Freiraum öffnet und sie zugleich betriebsblind werden lässt. Beispielsweise Zoé, die mit 13 Jahren von einem Nachbarn sexuell am Telefon belästigt wird. Später trifft sie ihn und beschreibt den Täter verständnisvoll als ein „armseliges Würstchen, das einfach nicht genug Liebe bekommen hat“.

Liebe, das ist kein Gefühl, dass die Lustbegleiterinnen verkaufen, sonst würden sie „vor die Hunde gehen“, wie Rosa in ihrem Videotagebuch festhält. Als sie sich dennoch verliebt, verlässt sie das Bordell, kehrt aber nach dem Scheitern der Beziehung dorthin zurück. Lieber Sonntagabend ein Abenteuer als Tatort gucken, sagt sie.

Die Arbeit als sexuelle Dienstleiterin wird von den Darstellerinnen als etwas Erstrebenswertes, ja Leichtes verkauft, die ebenso eigene Bedürfnisse wie die der Kunden erfüllt. Das Schimpfwort „Nutte“ wird stolz auf die Bühne gespuckt, um sich von der Masse abzusetzen. Und Sexarbeit kommt wie ein „just do it“ daher, ein einziger Spaß, der keine Grenzen von Arbeit, Körper und Begehren mehr kennt und als krisensicherer Verkaufsschlager angepriesen wird.