„Wie sieht der Zusammenhang zwischen Geschlechterbildern und gesellschaftlichen Umbrüchen aus?“ fragt jemand. Als Antwort kommt eine historische Erzählung über Dorfstrukturen zu Zeiten der russischen Revolution. Dicht an dicht, auf Stühlen und auf dem Fußboden sitzen die Menschen. Nebenan läuft ein Vortrag über „Anders leben und wirtschaften im queer-feministischen Alltag“. Reinkommen ist unmöglich. Auch dieser Raum ist überfüllt.

Zeitweise 400 Menschen diskutierten über Queerfeminismus und Ökonomiekritik auf dem Event „Who cares?“ vom 4. bis 6. März in Berlin. Mit „Geil!“ und „Das war fett!“ kommentieren die Macher_innen das Event, das gewollt keine Konferenz war. Nach fast zweijähriger Vorbereitungszeit standen 27 Veranstaltungen auf dem Programm, die aus verschiedenen Ecken fragten, wie Queerfeminismus und Ökonomiekritik zusammen zu denken sind. Nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch. Feminist_innen, Queers, Sozialarbeiter_innen und Forscher_innen saßen zusammen auf den Podien und im Publikum und mühten sich, gemeinsame politische Forderungen zu formulieren – ein ausgesprochenes Anliegen des Vorbereitungskreises, das mehr noch als Inhalte vermitteln einen Raum für Austausch, Vernetzung und solidarische Bündnisse schaffen wollte.

Ob und wie diese Bündnisse entstehen und aussehen, wird sich erst in Zukunft zeigen. Aber ein erster Schritt über den eigenen Gartenzaun, um unterschiedliche Positionen, Identitäten und Praxen miteinander ins Gespräch zu bringen, wurde auf dem Event getan. Entlang der drei Themenblöcke „Gewaltökonomien“, „Reproduktionsverhältnisse im 21. Jahrhundert“ und „Alternative Ökonomien und queere Lebensentwürfe“ trafen Mitarbeiter_innen von Beratungsstellen und Stadtteilinitiativen auf Theoretiker_innen. Mit Marx und gegen Marx, für den feministischen Materialismus und für queertheoretische Perspektiven wurde diskutiert, es wurden aber auch ganz praktisch die Geschlechterverhältnisse im Einkommenssteuerrecht und die Arbeitsbedingungen von Haushaltsarbeiter_innen, Illegalisierten und Pflegearbeiter_innen analysiert.

„Was ist Reproduktionsarbeit?“ Diese Frage eines jüngeren Teilnehmers weist vor allem auf ihre Aktualität hin. Nach wie vor werden Tätigkeiten wie Putzen, sich um Kinder kümmern oder die Pflege von alten Menschen schlecht bezahlt und gering angesehen. Obwohl der Bedarf stetig zunimmt und diese Aufgaben immer weniger in der Familie aufgeteilt werden. Fragen nach Sichtbarkeit, Bezahlung und Organisierung in der Haushalts- und Pflegearbeit sind somit wieder im Gespräch. Statt Work-Life-Balance à la Brigitte die Frage: Wer versorgt wen? Und zu welchen Bedingungen? Folgerichtig nahm der Umgang mit Reproduktionsarbeit einen Großteil des Events ein. Wie sehen die Arbeitsbedingungen im Pflegeheim oder die einer Tagesmutter aus? Warum werten die hier Arbeitenden ihre Arbeit selbst ab? Und warum streiken sie nicht gegen den moralischen Imperativ und für mehr Lohn? Die Antworten fallen nicht überraschend aus. Nach wie vor fehlt es an Berufsbildern und Qualifizierungsmöglichkeiten. Ein Vielfaches der Arbeit wird an nachbarschaftliche Einrichtungen oder migrantische Arbeiter_innen delegiert und verschwindet aus der öffentlichen Diskussion.

Eine Menge Fragen wurde aufgeworfen, die sich an dem bewusst schwammig gehaltenen Begriff der Ökonomie rieben und ihn zu füllen versuchten. Als strategischen Begriff gab ihn der Vorbereitungskreis aus, der als Gegenentwurf zum Begriff des Kapitalismus einen Raum öffnen sollte: auch für Identitäten, Begehrensformen und politische Interventionen jenseits traditioneller Frau-Mann-Bilder.

Wie Kämpfe von Umverteilung und um kulturelle Anerkennung kurzgeschlossen werden können, konnte selbstredend nicht gelöst werden. Aber über unterschiedliche Formate wie Erzählcafé, Workshop oder auch klassische Vorträge kamen wieder Szenen miteinander ins Gespräch, die ansonsten nur in ihrem eigenen Dunstkreis wahrgenommen werden. Praktisches und theoretisches Wissen wurde mitgebracht und ausgebreitet. Das sprach sogar eine Rentnerin an, die enthusiastisch über Utopien eines queer-feministischen Kommunismus mitdiskutierte. Auch über die Wahl der Räume in der „Werkstatt der Kulturen“ oder der „Manege“ wurden nicht nur linkspolitische Szenekenner_innen angesprochen. Veranstaltungen, Publikationen und Kontakte werden bleiben und hoffentlich ausgebaut. Um dies zu forcieren, wäre ein weniger volles Programm besser gewesen. Auch eine Abschlussveranstaltung, die die einzelnen Diskussionen  und Forderungen bündelt, hätte das Event abgerundet. Dennoch: das Anliegen, Queerfeminismus und Ökonomiekritik zu einem Thema zu machen, ist auf dem Event gelungen.

Text: Kendra Eckhorst