Letzte Woche erregte eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Aufsehen, die erklärte, dass ein eventuell biologischer Vater eines ehelich geborenen Kindes die Möglichkeit haben müsste, auch gegen den Willen der rechtlichen Eltern die biologische Vaterschaft feststellen lassen zu können. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch gilt als Vater eines Kindes nämlich grundsätzlich der Ehemann der Mutter. Daran ändert auch eine vorgeburtliche „Anerkennung“ des Kindes durch den biologischen Vater nichts.

Die in der Entscheidung gerügte rechtliche Ungleichbehandlung zwischen unverheirateten und verheirateten Vätern wurde als Erfolg im Kampf für „Väterrechte“ bezeichnet und in einen Kontext mit Entscheidungen zum gemeinsamen Sorgerecht gestellt. Ich spüre bei diesen Themen immer ein diffuses Unbehagen, nicht zuletzt weil dem Väterrechts-Diskurs (zum Teil) antifeministische Argumentationsmuster nicht fremd sind. Und erneut ist zwar die Durchsetzung formaler Gleichbehandlung im Recht möglich, während die Ebene der materiellen Gleichheit (also zum Beispiel die Frage, wer eigentlich die Kinderbetreuung übernimmt) unterbelichtet bleibt.

Biologische Vaterschaft, soziale Vaterschaft, rechtliche Vaterschaft – die Debatte um „Väterrechte“ weist alle diese Aspekte auf. In dem diese Woche entschiedenen Fall hatte der Vater keinerlei Kontakt zu dem Kind, welches biologisch vielleicht von ihm abstammt, weil die verheiratete Mutter und der rechtliche Vater in England leben und sowohl Kontakt als auch Vaterschaftstest verweigerten. Weil ich den Langtext der Entscheidung nicht habe, kann ich nicht auf die Feinheiten der Argumentation des Gerichts eingehen. Ich will aber kurz darstellen, wie die Vaterschaft qua Ehe im Recht funktioniert. Dann will ich mich fragen, welches emanzipatorische Potenzial in Rechtskämpfen für Väterrechte liegt.

Rechtliche Vaterschaft qua Ehe und Anfechtungsmöglichkeiten des biologischen Vaters
Ist die Mutter zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes (Trennung ist dabei unwesentlich) rechtsgültig verheiratet, gilt der Ehemann auch als Vater des Kindes (§ 1592 Nr. 1 BGB). Diese rechtliche Vaterschaft des Ehemannes kann bei der Scheidung unter bestimmten Umständen „beseitigt“ werden oder die Vaterschaft muss angefochten werden (§ 1599 BGB). Auch der eventuell biologische Vater hat bisher grundsätzlich die Möglichkeit, die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anzufechten (denn er gehörte zum Kreis der Anfechtungsberechtigten gemäß § 1600 BGB). Wann darf der biologische Vater anfechten? Lustige Formulierung im Gesetz: Er muss dabei an Eides statt versichern, „der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben“ (zur Berechnung der für die Empfängnis relevanten Zeitpunkte gibt es in der juristischen Datenbank juris sogar ein Hilfsprogramm). Allerdings ist das Anfechtungsrecht dabei auf die Fälle beschränkt, in dem keine soziale Beziehung zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind besteht. Deshalb hatte der mutmaßliche Vater in dem entschiedenen Fall in Deutschland keine Anfechtung durchsetzen können, weil Mutter und Kind zusammen mit dem rechtlichen Vater leben.
Ungleichbehandlung wem gegenüber? Biologische, rechtliche und soziale Vaterschaft
In dem vorgestellten Fall liegt eine Ungleichbehandlung des eventuell biologischen unverheirateten Vaters gegenüber einem verheirateten Vater vor. Der verheiratete Vater ist immer auch der rechtliche Vater von Kindern seiner Ehefrau, hat aber die Möglichkeit der Anfechtung der Vaterschaft. In dem entschiedenen Fall sind sowohl die rechtliche Vaterschaft als auch die soziale Vaterschaft des Ehemannes der Mutter gegeben. Der mutmaßlich biologische Vater wollte seine Vaterschaft rechtlich festgestellt sehen, um dann auch Umgangsrechte mit dem Kind, also eine soziale Beziehung, aufnehmen zu können.
Gemeinsame Sorge unverheirateter Eltern
Ähnliche Erfolge vor den Gerichten gab es bereits zum Thema der gemeinsamen Sorge unverheirateter Väter. Mit der Kindschaftsrechtsreform, die zum 1. Juli 1998 in Kraft trat, wurde es für nicht verheiratete Eltern eines Kindes möglich, durch eine gemeinsame notarielle „Sorgeerklärung“ ein beiderseitiges Sorgerecht zu etablieren (§ 1626a BGB).
Damit fiel der Grundsatz, dass Väter nichtehelicher Kinder kein gemeinsames Sorgerecht mit der Mutter des Kindes erhalten dürften, weil sonst kein Anreiz bestünde, sich durch Heirat Rechte zu verschaffen. Mit diesem Argument hatte das Bundesverfassungsgericht 1981 gerechtfertigt, dass ein gemeinsames Sorgerecht für unverheiratete Eltern ausgeschlossen war: Der Mann, der die Mutter seines Kindes nicht heiraten wolle, müsse eben die Risiken seiner geringeren Rechtsposition in Kauf nehmen.
1998 war gleichzeitig aber eine Regelung eingeführt worden, die für den Fall der fehlenden gemeinsamen Sorgeerklärung der Mutter die Alleinsorge übertrug. In dieser Regelung lebte die rechtliche Zuweisung von nichtehelichen Kindern an ihre Mütter fort, die in der Bundesrepublik bis in die 1970er Jahre galt. Diese Regelung bedeutete einerseits, dass der unverheiratete Vater eines Kindes die elterliche Verantwortung nicht wahrnehmen musste, wenn er der gemeinsamen Sorgeerklärung nicht zustimmte. Andererseits konnte die unverheiratete Mutter den Vater ihres Kindes von der elterlichen Sorge ausschließen. 2003 entschied dazu das Bundesverfassungsgericht, der Gesetzgeber dürfe annehmen, dass die Mutter sich „nur ausnahmsweise und nur dann einer gemeinsamen Sorge verweigert, wenn sie dafür schwerwiegende Gründe hat, die von der Wahrung des Kindeswohls getragen werden“. Weil das die Grundannahme sei, sei auch eine fehlende gerichtliche Überprüfbarkeit ihrer Entscheidung gegen die gemeinsame Sorge akzeptabel.

Neuregelung der gemeinsamen elterlichen Sorge notwendig
Im Jahr 2009 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass der im Vergleich zu Müttern und geschiedenen Vätern ungleiche Zugang zur gemeinsamen Sorge für nichteheliche Väter ein Verstoß gegen die Art. 8 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist. Das Bundesverfassungsgericht zog nach und entschied, es verletze das Elternrecht des Vaters, dass er ohne die Zustimmung der Mutter von der elterlichen Sorge ausgeschlossen sei, ohne gerichtlich überprüfen lassen zu können, ob aus Gründen des Kindeswohls die gemeinsame elterliche Sorge oder die Alleinsorge durch den Vater notwendig sei. Bisher gibt es keine gesetzliche Neuregelung. Der Deutsche Juristinnenbund hat darauf hingewiesen, dass es Fallkonstellationen gibt, in denen die gemeinsame Sorge nicht dem Kindeswohl entspricht.
Väterrechte vs. Mütterrechte?
Auf dem diesjährigen Feministischen Juristinnentag argumentierte eine Kollegin, die Argumente für „Väterrechte“ beim Sorgerecht wären letztlich nur eine Fortsetzung eines Diskurses, in dem Männer in der Logik von Eigentum und Besitz über Frauen und Kinder denken. Nachdem die Scheidungs- und Familienrechtsreformen das Eigentum an den Frauen beseitigt hätten, ginge es nun an Besitz an den Kindern. Mir persönlich hat an dieser Argumentation nicht gefallen, dass sie emanzipatorisches Potenzial neuer Rollen für Männer, die sich partnerschaftlich mit Frauen die Sorgearbeit teilen, gar nicht zulässt.
Andererseits sind mir die antifeministischen Argumentationsmuster von Vätergruppen nicht fremd, die zwar Gleichheit fordern, aber gleichzeitig „die Mütter“ , „die Feministinnen“ und „den Staat“ in einer Allianz sehen, die ihnen mit den Mitteln des Rechts „ihre“ Kinder vorenthält. Im vorgestellten Fall ist natürlich vor allem auch das traditionelle Eheverständnis mit zu kritisieren, welches rechtliche Vaterschaft ganz grundsätzlich an den Familienstand knüpft.

Und was mir in der Diskussion fehlt: Es gibt kaum Möglichkeiten der überwiegend betreuenden Elternteile (also in der Regel der Mütter), gegen den Willen von (biologischen, rechtlichen oder sozialen) Vätern deren gleiche Beteiligung an der Sorgearbeit durchzusetzen. Ja, nicht einmal eine Umgangspflicht eines umgangsunwilligen Vaters mochte das Bundesverfassungsgericht mit Zwangsmitteln durchsetzen (in einem 2008 entschiedenen Fall wollte der Vater eines nichtehelichen Kindes aus Angst um seine bestehende Ehe keinen Umgang mit seinem Kind, das Gericht sah zwar eine Pflicht des Vaters zum Umgang als gegeben an, meinte aber, die Durchsetzung dieses Umgangs mit Zwangsmitteln entspreche in der Regel nicht dem Kindeswohl).

Biologische Vaterschaft überbewertet?

Schließlich finde ich es problematisch, wenn als Grundsatz immer unumstrittener etabliert wird, dass dem Kindeswohl eine Beziehung zu zwei biologischen, verschiedengeschlechtlichen Eltern am ehesten entspricht. Auf der einen Seite wird biologische Elternschaft gegenüber der sozialen Vaterschaft gestärkt. Auf der anderen Seite finde ich die Botschaft an Alleinerziehende schwierig – denn natürlich wachsen viele und immer mehr Kinder in Einelternfamilien auf, nicht alle mit regelmäßigen und verlässlichen Kontakten zum biologischen Vater. Von den Gerichten wird argumentiert, Kinder haben eine Interesse an der Kenntnis ihrer biologischen Herkunft. Ich finde aber, man kann darüber diskutieren, ob biologische Vaterschaft nicht überbewertet wird. Ich bin gespannt, was ihr dazu meint.