Die TV-Serie „True Blood“ nutzt den aktuellen Vampirhype zur Gesellschaftskritik und vergisst dabei nicht, die Zuschauer_innen blenden zu unterhalten.

Ja, es geht um Vampire. Ewiges Leben, ewige Liebe, Triebhaftigkeit, Projektionsfläche für Ängste, Sehnsüchte usw. Ein Konzept, welches in den letzten Jahren in Büchern, Filmen und Serien scheinbar bis aufs Äußerste ausgereizt wurde. Doch eine Serie, die bekennende Fantasy-Hasser_innen bekehrt, die von der englischen Zeitung „Daily Mail“ für ihre „Verdorbenheit, expliziten Sex an der Grenze zur Pornographie und vulgäre Sprache“ gescholten wird und dabei Emmys und Golden Globes abräumt, ließ mich neugierig werden.

Eine Inhaltsangabe von „True Blood“ zu schreiben, ohne Skeptiker_innen dabei abzuschrecken, ist nahezu unmöglich. Die Serie basiert auf der erfolgreichen Bücherreihe „The Southern Vampire Mysteries“ von Charlaine Harris und dreht sich um die junge Kellnerin Sookie Stackhouse. Diese ist in der fiktiven Südsaaten-Kleinstadt Bon Temps, Louisiana zu Hause und kann, Achtung: Gedanken lesen. So bleiben ihr die Hassgefühle, die Verdummung, der Sexismus, die Agressionen und die Angst der Kleinstadtbewohner_innen nicht verborgen. Sie verliebt sich schließlich in den ersten Mann, dessen Gedanken sie nicht lesen kann: Den Vampir Bill Compton. So weit, so abschreckend.

Umso erstaunlicher und erfreulicher, dass Alan Ball (Macher von „Six Feet Under“ und „American Beauty“) mit „True Blood“ eine vielschichtige Serie geschaffen hat, die gute TV-Unterhaltung fern ab vom „Twilight-Universum“ bietet und gleichzeitig geschickt an vielen Stellen ein Spiegelbild unserer Gesellschaft aufzeichnet. In der Show treten Vampire an die Öffentlichkeit und kämpfen für Gleichberechtigung. Möglich gemacht hat diesen Schritt die Erfindung von „True Blood“, synthetischem Blut, dass es in den verschiedenen Geschmacksrichtungen der Blutgruppen zu kaufen gibt. Die Vampire können somit auf das Trinken menschlichen Blutes verzichten und mit Hilfe der „American Vampire League“ für ihre Rechte als gleichgestellte Bürger neben den Sterblichen kämpfen. Genau an dieser Stelle wird „True Blood“ gesellschaftskritisch. Die Serie nutzt diesen Erzählstrang nämlich, um zahlreiche Parallelen zu in unserer Welt existierenden Kämpfen um Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen und Transgender (LGBT) zu ziehen und den Umgang der Mainstream-Gesellschaft mit Minderheiten aufzuzeigen. Das Setting der Sendung in den rechtskonservativen Südstaaten der USA ist dabei natürlich kein Zufall.

Schon im großartigen Vorspann bekommen die Zuschauer_innen den Spruch „God hates fangs“ (dt.: Gott hasst Reißzähne) in Anlehnung an das bekannte „God hates fags“ (dt.: Gott hasst Schwuchteln) der amerikanischen Westboro Baptist Church zu sehen. Alan Ball kokettiert damit, dass die Parallelen zwischen dem Umgang mit Vampiren in der Serie und dem Umgang z.B. mit Homosexuellen in der Gesellschaft unbeabsichtigt und ein Missverständnis seien. Doch den Schritt der Vampire, sich der Öffentlichkeit als solche zu offenbaren, „coming out of the coffin“ in Anspielung auf „coming out of  the closet“, als Ausdruck für das Outing von Homosexuellen, zu nennen, ist nur ein weiteres der zahlreichen, vollkommen beabsichtigten Beispiele für die in „True Blood“ gezeichnete Metapher: Vampire = Minderheiten in unserer Gesellschaft.

Diese Metapher ist allerdings auch vielfach kritisiert worden, da sich viele Vampire in der Serie durch ihre Mordlust und Promiskuität „auszeichnen“ und befürchtet wird, dass solche Attribute im Umkehrschluss ebenfalls auf die angesprochenen Minderheiten übertragen werden. Doch auch hier liegt, meiner Meinung nach, eine Stärke von „True Blood“. Durch die Zeichnung vielschichtiger Figuren kann in meinen Augen so eine Interpretation gar nicht zu Stande kommen. Es gibt an keiner Stelle Schwarz-Weiß-Malerei, niemand ist nur gut oder nur böse und es gibt nie nur eine Repräsentantin oder einen Repräsentanten einer Gruppe. So etwas wie der einzelne, für viele Serien oder Filme übliche, „Quoten-Schwule“ oder die, bzw. der „Quoten-Schwarze“, der eine Gruppe repräsentieren soll, ist in „True Blood“ nicht zu finden.

Darüber, wie „True Blood“ es schafft, ernste Themen wie Unterdrückung, Homophobie, Rassismus, Abhängigkeit von Religion, Sex, Drogen oder Blut (in „True Blood“ wird Vampirblut zu einer Sexdroge für Sterbliche) mit bester Unterhaltung zu verbinden, könnte man sicherlich eine Doktorarbeit schreiben. Doch an dieser Stelle will ich nur noch eines der vielen herausstechenden Aspekte der Serie kurz beleuchten: Die Geschlechterrollen.

Als ich mir Gedanken über das Frauenbild oder Rollenklischees in „True Blood“ machte, kam mir zunächst nur die blonde, zunächst relativ naive Protagonistin Sookie und der dealende, geschminkte, schwule Koch Lafayette in den Sinn. Dies sind beides Rollen, die, wenn man sie oberflächlich betrachtet, in klassische TV-Rollenmuster hineinfallen. Doch bei näherer Betrachtung fällt auf, dass der „Menschenwelt“ mit ihren Vorurteilen und klassischeren Rollenverteilungen (rein klassisch kann man die Rollenverteilung nicht nennen, da z.B. das Konzept „Familie“ in „True Blood“ nahezu völlig zusammengebrochen ist), die Welt der Vampire hinsichtlich der Gleichberechtigung von Männer, Frauen, Schwulen, Lesben usw. klar entgegengestellt ist. Vampire müssen in „True Blood“ zwar um Gleichberechtigung mit den Menschen kämpfen, doch in ihrer eigenen Gesellschaft wird kein Unterschied bei Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Gesinnung gemacht. Nicht nur, dass die zwei politisch wichtigsten Ämter in der Vampirwelt Louisanas von einer Frau und einem schwulen Mann bekleidet werden, sondern auch die Tatsache, dass nahezu alle Vampire Sexualpartner beider Geschlechter hatten/haben, diese Tatsache aber weder skandalös, noch Anlass zu Diskussionen ist und das Geschlecht nicht die geringste Rolle für das Handeln und Standing in der Gesellschaft zu haben scheint, ist geradezu erfrischend.

„True Blood“ hat im Jahr 2008 in den USA seine Premiere gefeiert und sich über mittlerweile vier Staffeln hinweg zum Kritiker- und Publikumsliebling entwickelt. Allen, die sich für die Show interessieren, kann ich nur raten, die Originalversion anzuschauen, da der Versuch, den für die  Serie charakteristischen Südstaaten-Akzent, inklusive einer Menge Flüche, ins Deutsche zu übertragen, gründlich daneben gegangen ist.

Katharina M.

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